Bananendrama beim Populistenduell

Borussia Dortmund - FC St. Pauli 3:1 / Ratlosigkeit bei unserem mißgelaunten Korrespondenten  ■  Aus Dortmund Chr.Biermann

Plötzlich hatte ich schlechte Laune. Ein blödes Gefühl, denn so richtig klar war mir nicht, warum ich mißmutig auf meinem Notizblock herumkrakelte. Der Stoff war doch großartig. Auf dem Rasen spielten die Lieblinge der bundesdeutschen Fußballfans gegeneinander. Dazu 43.110 zahlende Zuschauer an einem lauschigen Freitag abend im Westfalenstadion, der Rahmen war so prächtig, wie er nur sein konnte.

Na gut, das Spiel lieferte nicht viele Höhepunkte im Umgang mit dem Ball, aber die Konter von St.Pauli waren doch gelegentlich sehr schön anzusehen. Eigentlich sogar vorbildlich, wenn man sich überlegt, daß diese Mannschaft, mit Ausnahme des sechzig Minuten lang brillanten Andre Golke, alles in allem eher durchschnittliche Spieler präsentierte.

Und da war auch noch die 73.Minute, die den dramaturgischen Höhepunkt des Spieles lieferte. Frank Mill humpelte angeschlagen vom Platz, ein Neunzehnjähriger namens Martin Driller kam für ihn ins Spiel. 28 Sekunden später flog dieser Driller in eine Flanke von Murdo MacLeod, erzielte sein erstes Bundesligator und sorgte für die Entscheidung. Wie herrlich aufgeregt er nach dem Spiel war, so rotbäckig, und wie er sein Glück heraussprudeln ließ. Das wäre alles ganz toll, und er würde bestimmt wieder einmal eine Chance bekommen, und er würde in Ruhe aufgebaut, und überhaupt.

Trotzdem diese schlechte Laune... Wo kam sie nur her? Vielleicht hatte sie sich schon bei der Ankunft am Stadion unbemerkt eingeschlichen. Da war diese fünf Meter hohe Plastikbanane auf dem Stadionvorplatz, mit der ein Sponsor den besten Fans der Liga ein Stückchen Identitätsverwirrung anbot. Erklärte diese Banane dem Publikum doch: „Ich bin ein Borusse.“ Im Hintergrund hörte man schon die anderen besten Fans der Liga ihr „Ole, Ole, Ole, Ole, Super-Hamburg, St.Pauliii“ quäken. Das wird einem im Auftrag einer Boulevardzeitung in Hamburg zur Zeit von jeder zweiten Plakatwand aufs Auge gedrückt. Populismus im Systemvergleich sozusagen. Hier Bananen, dort Totenkopfflaggen. Hier schwarz -goldenes Pathos, dort braun-weiße Ironie. In Dortmund ist Fußball eine „soap opera“ in der Variante Bananendrama, bei St.Pauli nur mehr Vorwand zur Party.

Und alle, alle lieben das! Denn schließlich ist das auf beiden Seiten durch viel „street credibility“ gut abgesichert. St.Pauli bietet das Milieu, Einbindung in den Stadtteil, den Witz der kleinen Leute und einen Hauch von Widerstand. Ein Traum von Hobbysoziologen von einem Häppchen guter Welt. Und Dortmund liefert den großen Entwurf. Den Niedergang einer Industrieregion, hohe Arbeitslosigkeit und einen Verein, der die Stadt mit einem Traum von Größe versorgt, an dem jeder partizipieren kann. Dortmund als Liverpool, das Stadion als Theater des kleinen Mannes, und so weiter, und so weiter.

Ist das denn nicht wunderbar? Sind das nicht gleich zwei Gegenmodelle zur technokratischen Erfolgsplanung von Bayern München? Stars zum Anfassen oder Stars zum Träumen versus Stars, die an einem fernen Sternenhimmel funkeln, ist das nicht die Frage?

Und ich sitze knötterig in der Gegend herum und schiebe schlechte Laune. Vielleicht deshalb, weil die Rezeptur der Populisten bis zum Erbrechen beschrieben, bejubelt, abgefüllt und berichtet worden ist? Vielleicht, weil mir Fan -Omas am Millerntor und schwarz-gelbe Traditionsstutzen einfach zum Halse raushängen? Vielleicht, weil ich doch noch ins Stadion gehe, um ein gutes spannendes Spiel zu sehen? Vielleicht, weil sich bei Borussia und St.Pauli die meisten Interessierten eben gar nicht für das interessieren?

Das komische Gefühl bleibt, die Fragen bleiben unbeantwortet. Der Abend liefert an anderer Stelle noch eine Fußnote zum Thema, die auch eine Überschrift sein könnte. Zur gleichen Zeit treffen sich in einem 25 Kilometer entfernten Stadion 37.000 Zuschauer, um ein Zweitligaspiel zu sehen. Eine Mannschaft heißt Eintracht Braunschweig. Die interessiert dort niemanden. Die andere heißt Schalke 04. Bei denen ist die Popularität nicht entschlüsselt, da ist sie blanker Irrsinn. Deshalb verliert Schalke auch noch 1:5. Kopfschütteln! Ende der Fahnenstange.

DORTMUND: De Beer - Kroth - Kutowski, Helmer - Breitzke (65. Rummenigge), Möller, Zorc, MacLeod, Schulz - Wegmann, Mill (71. Driller)

ST.PAULI: Ippig - Kocian - Trulsen, Duve - Gronau, Dahms, Knäbel, Zander, Flad - Golke, Steubing (80. Wenzel)

TORE: 1:0 Mill (8.), 1:1 Golke (21.), 2:1 Zorc (29.), 3:1 Driller (73.)