Wem gehören die tiefgefrorenen Embryonen?

In Blount County im US-Bundesstaat Tennessee beginnt heute ein Scheidungsprozeß besonderer Art / Das Paar Davis streitet sich um sieben befruchtete Eier, die tiefgefroren schlummern / Sie will das Sorgerecht, er die „Kontrolle über sein Fortpflanzungsleben wahren“  ■  Von Silvia Sanides

Washington (taz) - Richter Dale Young vom Bezirksgericht Blount County (Tennessee) ist über das Aufsehen um seinen heute anlaufenden Scheidungsprozeß wenig erbaut. Die Fernsehkameras, so ordnete er an, müssen vor der Tür bleiben, wenn die Rechtsanwälte von Lewis und Mary Sue Davis ihren Fall vortragen. Dabei ist die Scheidung eine weitgehend abgeschlossene Sache, das gemeinsame Hab und Gut aufgeteilt. Es bleibt nur die eine, bisher noch vor keinem US-amerikanischen Gericht verhandelte Angelegenheit: Was geschieht mit den sieben gefrorenen Embryonen? Die liegen vorerst noch in der Tiefkühltruhe des Fort Sanders Medical Center im etwas nördlich gelegenen Knoxville, jedes von ihnen das Reagenzglas-Vereinigungsprodukt einer Eizelle von Frau Davis und einer Samenzelle von Herrn Davis. Herr und Frau Davis sind über die Zukunft der Embryonen zutiefst zerstritten. Frau Davis fordert das Sorgerecht. Sie ist 28 und versucht seit sechs Jahren schwanger zu werden. Sie möchte sich die Embryonen einpflanzen lassen, um ein Kind zu bekommen. Auf Unterhaltsgeld oder andere Zuwendungen des biologischen Vaters für die so gezeugten Kinder will sie vertraglich verzichten.

Lewis Davis will aber nicht Vater werden. Weder seine geschiedene Frau noch irgendeine andere Frau solle seine Kinder gebären. Davis, heißt es in den Prozeßpapieren, möchte die „Kontrolle über sein Fortpflanzungsleben wahren“. Das klingt ganz nach den Argumenten derer, die die Abtreibungsfreiheit für Frauen fordern. Davis‘ Rechtsanwalt wirbt noch mit weiteren frauenfreundlichen Forderungen für seinen Mandanten: „Es ist nicht richtig, Herrn Davis aus der Angelegenheit auszuschalten, wenn wir andererseits heute bemüht sind, Väter zu Partnern mit gleicher Verantwortung für die Nachkommen zu erziehen.“

Mary Sue Davis‘ Rechtsanwältin hält dem entgegen, daß Lewis Davis die Entscheidung, Kinder zu bekommen, bereits traf, als er sich zur Reagenzglasbefruchtung bereit erklärte. „Der Ehemann, der den Samen spendet, bekundet seine Einwilligung zur Fortpflanzung“, so die Anwältin. Und sie spinnt den Gedanken weiter: „Kein Mann würde auf die Idee kommen, seine Frau auf traditionellem Weg zu schwängern und dann, nachdem er die Scheidung eingereicht hat, sie zur Abtreibung aufzufordern.“

Sechs Jahre lang versuchte das Ehepaar ein Kind zu bekommen. Fünf natürliche Schwangerschaften, in denen sich der Fötus im Eileiter anstatt in der Gebärmutter entwickelte, mußten abgebrochen werden. Dann entschlossen sie sich, es mit Reagenzglasbefruchtung zu versuchen. Danach wurden die befruchteten Eier in die Gebärmutter von Frau Davis eingepflanzt. Sechsmal ließ Mary Sue Davis den schmerzhaften Eingriff vornehmen, sechsmal ohne Erfolg. Die sieben Embryonen stammen vom letzten dieser Versuche. Die Ärzte froren sie ein, um die Behandlung zu einem späteren Zeitpunkt wiederaufzunehmen. „Das ist doch Beweis genug, wie sehr ich mir ein Kind wünsche“, meint Mary Sue Davis, wenn sie auf die Strapazen der letzten sechs Jahre zurückblickt.

Die Bemühungen des Ehepaares Davis, mit Hilfe der modernen Reproduktionstechnologie zum eigenen Kind zu kommen, sind keine Ausnahme. Etwa 2,5 Millionen amerikanische Paare sind unfruchtbar. 1987 flossen über eine Milliarde Dollar in die Kassen der Ärzte, die mit den modernen Wundermitteln den Kinderwunsch erfüllen sollen. Nicht selten führen wie im Fall Davis jahrelange Eingriffe und Zehntausende von Dollar nicht zum Erfolg. Oft locken die Ärzte ihre Patienten mit falschen oder irreführenden Zahlen über Erfolgsraten in ihren Kliniken. Eine Zahl ist jedoch unmißverständlich und sollte ausreichen, die Kunden der Reproduktionstechnologen zur Vorsicht zu mahnen: Von den 169 in den USA betriebenen Kliniken für Reagenzglasbefruchtung hat über die Hälfte noch kein Baby zur Welt gebracht. Trotzdem sind inzwischen etwa 15.000 Reagenzglasbabys weltweit, davon 5.000 in den USA, geboren worden. Zahlreiche der von der American Fertility Society geschätzten 3.700 im Lande eingefrorenen Embryonen befinden sich im gesetzlichen Vakuum.

Ein amerikanisches Paar, das bei einem Flugzeugabsturz ums Leben kam, hinterließ ein beachtliches Vermögen - und zwei befruchtete Eier in einer Tiefkühltruhe in Australien. Damals entschieden australische Richter, daß die Embryonen einer passenden Empfängerin eingepflanzt werden können. Weder sie noch die Kinder dürfen jedoch das Vermögen erben. Zwei weitere amerikanische Paare, die gemeinsame Embryonen besitzen, sind inzwischen geschieden, und die Zukunft des tiefgefrorenen Nachwuchses oder Eigentums bleibt unklar. „Zu diesem Dilemma kommt es“, meint der Experte für biomedizinische Ethik, Alexander Capron, „weil wir etwas kreieren, das weder Kind noch Möbelstück ist.“ Lewis Davis will, daß die befruchteten Eier als einfaches „Besitztum“ definiert werden, während seine Noch-Frau von „einer Form potentiellen Lebens“ spricht.

Die Frage, ob ein eingefrorener Embryo Eigentum oder aber Nachkomme ist, wird im Herbst in einem weiteren Fall die Gerichte beschäftigen. Es geht um das Recht des Ehepaars Risa und Steven York an ihrem gemeinsamen Embryo. Die Yorks hatten 1986 ein Reagenzglas-Befruchtungsprogramm in der von Howard und Georgeanna Jones geleiteten Klinik an der amerikanischen Ostküste begonnen. Als das Paar ein Jahr später nach Kalifornien umzog und die Behandlung dort fortsetzen wollte, weigerte sich die Jones-Klinik, den Yorks ihren tiefgefrorenen Embryo zu überlassen. Der Rechtsanwalt der Yorks muß nun beweisen, daß ein zwischen der Jones -Klinik und den Yorks abgeschlossener Vertrag rechtlich nicht gültig ist. Die Yorks hatten anfänglich sogar vom „Kidnapping“ ihres befruchteten Eis gesprochen.