Dubcek fordert Entschuldigung für die Invasion von 1968

■ Fünf Warschauer-Pakt-Staaten sollen sich für die Liquidierung des Prager Frühlings entschuldigen / Mlynar skeptisch gegenüber Moskaus Toleranz hinsichtlich Polen

Rom/Budapest (afp/ap/taz) - Der ehemalige tschechoslowakische Parteichef Alexander Dubcek forciert seine Kampagne zur Rehabilitierung des Prager Frühlings und seiner Repräsentanten.

Nachdem er sich vor einigen Tagen in einem offenen Brief an das Zentralkomitee der KPC für die Rehabilitierung der nach 1970 ausgeschlossenen Parteimitglieder eingesetzt hatte, wendet er sich jetzt in einer Botschaft an die Führungen der fünf Interventionsmächte, die am 21.August 1968 dem Prager Reformexperiment mit ihren Panzern ein Ende gemacht hatten. Zusammen mit seinem damaligen Ministerpräsidenten Oldrich Cernik betont Dubcek in seinem Brief, daß es in den osteuropäischen Ländern keine glaubwürdigen Reformen geben könne, solange die Ereignisse von 1968 nicht offiziell neubewertet seien.

In diesem Sinne fordern Dubcek und Cernik von den Warschauer-Pakt-Staaten die Verurteilung der Intervention. Die Botschaft ist an die Regierungen und KPs der UdSSR, Polens, der DDR, Bul gariens, Ungarns und der CSSR gerichtet.

Es sei an der Zeit, heißt es in dem Brief weiter, eine „mutige histo rische Revision der Ereignisse von 1968“ vorzunehmen und die Breschnew-Doktrin über die begrenzte Souveränität sozialistischer Staaten zu verurteilen. Ansonsten blieben die Zweifel bestehen, ob nicht auch heute noch die gewaltsame Niederschlagung von Reformbewegungen möglich sei.

Bislang ist die wenige Wochen vor der Intervention unterzeichnete Breschnew-Doktrin, die als Legitimation des Einmarsches diente, nicht offiziell widerrufen worden. Allerdings deutet die derzeit gebrauchte Formel von der eigenständigen Entwicklung der sozialistischen Länder - die heute ironischerweise den reformunwilligen Staaten als Rechtfertigung ihres Stagnationskurses dient - die stillschweigende Aufhebung der Breschnew-Doktrin an.

Dennoch scheint einem der führenden Protagonisten des Prager Experiments von 1968, Zdenek Mlynar, in dieser Frage Vorsicht angebracht.

In einem Interview mit der Budapester Nachrichtenagentur 'mti‘ meint Mlynar, der führende Theoretiker des Prager Frühlings, es sei keineswegs sicher, wie hoch Moskaus Toleranzschwelle beispielsweise bei einer möglichen Machtkrise in Polen sei. Mlynar, der während seines mehrjährigen Studiums in Moskau das Zimmer mit Gorbatschow teilte, glaubt zwar, daß die Repräsentanten von 1968 heute keine prominente politische Rolle mehr spielen können, doch verlangt er ebenso wie Dubcek ihre politische Rehabilitierung.

Wenn die Bevölkerung in der CSSR heute eine vorsichtig abwartende Position einnehme, so gründe dies in den Erfahrungen von 1968. Der Pessimismus sei freilich das einzige, was Führung und Volk in der CSSR miteinander verbinde.

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