Vom Schrottreaktor zur „Vorzeigeanlage“

Das AKW Jülich, dienstältester Hochtemperaturreaktor der Republik, wird möglicherweise weiterbetrieben / HTR-Exportwirtschaft meldet Interesse an / Betreiber einigten sich erst vergangenes Jahr auf Stillegung  ■  Von Gerd Rosenkranz

Der vor über 20 Jahren in Betrieb genommene Versuchsreaktor AVR in Jülich soll trotz eines Stillegungsantrags der gegenwärtigen Betreiber zu einem „zweiten atomaren Leben“ erweckt werden. Das befürchten die nordrhein-westfälischen Grünen, nachdem Firmen aus der Atomwirtschaft ihr Interesse an einer Übernahme der jeweils 12,5prozentigen Anteile der Stadtwerke Bremen und München an dem Hochtemperatur -Versuchsreaktor angemeldet haben.

Der Bremer Senat antwortete auf eine parlamentarische Anfrage, es gebe „zur Zeit Interessenten, die bestrebt sind, von den Gesellschaftern Beteiligungsrechte am AVR zu erwerben. Die Stadtwerke vermuten, daß dahinter Interessenten stehen, die eine Weiterbetreibung dieses Versuchsreaktors beabsichtigen“. Die Stadtwerke der Hansestadt haben es allerdings bisher abgelehnt, ihre Anteile an dem bis auf einen symbolischen Wert von einer Mark abgeschriebenen Versuchsreaktor abzugeben. Ende vergangenen Jahres hatten sich die AVR-Betreiber, sämtlich kommunale und regionale Stadtwerke, auf die endgültige Stilllegung geeinigt.

Nach Informationen der nordrhein-westfälischen Grünen handelt es sich bei den „Interessenten“ um die Firma „ENRO“, eine Tochter der „Energie-Verwaltungsgesellschaft mbH“ (EVG), die wiederum 25,3 Prozent der „Vereinigten Elektrizitätswerke Westfalen“ (VEW) hält. Die VEW sind Hauptgesellschafter des Hochtemperaturreaktors THTR 300 in Hamm-Uentrop. Die EVG nimmt bei der Entwicklung der Hochtemperaturtechnologie und insbesondere bei den HTR -Exportplänen eine Schlüsselstellung ein. Über ihre Tochter „Innotec - Gesellschaft für Spitzentechnologien und Technologietransfer“ soll ein HTR-Geschäft mit der Volksrepublik China abgewickelt werden, das unter anderem den Bau eines HTR-Heizwerkes in der Universität von Peking vorsieht.

Der umweltpolitische Sprecher der nordrhein-westfälischen Grünen, Harry Kunz, erklärte, die Atomwirtschaft wolle nach dem Scheitern des THTR 300 mit dem Jülicher Versuchsreaktor die „mageren Jahre überdauern, bis die atomaren Wolkenschlösser vom Export von Hochtemperaturreaktoren Wirklichkeit werden“. Es dürfte nur noch eine Frage der Zeit sein, bis der Stillegungsantrag von Dezember 1988 zurückgezogen werde, fürchtet Kunz. Damit ergäbe sich sich die „absurde Situation“, daß der seit 1968 betriebene 15 -Megawatt-Reaktor trotz schwerwiegender Sicherheitsmängel als „Vorzeigeanlage“ bis in das nächste Jahrtausend weiterbetrieben werden solle. Kunz verlangte von der Düsseldorfer Landesregierung die „endgültige Stillegung des maroden Schrottreaktors“, der wegen Materialversprödung schon heute nicht mehr im Vollastbetrieb gefahren werde.