Erfolgreiche Aids-Frühbekämpfung durch AZT?

US-Immunologe Fauci legt Studie über den erfolgreichen Früheinsatz des Aids-Medikamentes AZT vor / Patienten-Kohorte wurde schon vor dem Ausbruch der Krankheit behandelt / Nebenwirkungen sollen bei einer frühen Verabreichung sehr viel geringer sein  ■  Aus Berlin Manfred Kriener

Eine „sehr, sehr aufregende Studie“ hat der amerikanische Immunologe und Aids-Spezialist Anthony Fauci am Freitag in Berlin vorgestellt. Er berichtete auf dem siebten Immunologie-Weltkongreß im Internationalen Congress Centrum und vor Wissenschaftlern und Studenten im Robert-Koch -Institut von einer klinischen Untersuchung zum Früheinsatz von AZT (Azidotymidin, Handelsname „Retrovir“). AZT gilt als bisher wirksamstes Medikament gegen Aids. Sein Fazit: Mit AZT könne HIV-infizierten Patienten schon zu einem sehr viel früheren Zeitpunkt geholfen und das Fortschreiten der Krankheit wirksam aufgehalten werden.

Anthony Fauci kam mit einem Tag Verspätung nach Berlin. Erst am Tag zuvor hatte er die AZT-Studie, an der 29 Forschungszentren beteiligt waren, in den USA vorgelegt. 713 Patienten, aufgeteilt in zwei Gruppen, waren seit August 1987 beobachtet worden. Bei den Patienten war die Krankheit noch nicht ausgebrochen, aber es waren ein oder zwei HIV -typische Symptome wie zum Beispiel ein Pilzbefall, Fieber oder eine Leukoplakie vorhanden. Die Zahl der T-4-Zellen, wichtiger Indikator für die Stabilität des Immunsystems, war zwar reduziert, aber noch nicht so stark abgefallen, daß nach den bisher geltenden Maßstäben - eine Medikation mit AZT angezeigt wäre. Wegen der starken Nebenwirkungen von AZT erfolgte die Verordnung bisher eher zurückhaltend und meist nur bei Patienten in fortgeschrittenem Krankheitsstadium.

Einer Gruppe aus Faucis Kohorte wurde nun dennoch AZT verabreicht, die andere Gruppe erhielt ein Placebo. Ergebnis: Innerhalb der zwei Jahre seit Beginn der Studie brach bei 50 der 713 Patienten das Vollbild der Krankheit Aids aus oder das Vorstadium ARC (Aids-Related-Komplex). Unter diesen 50 Patienten, bei denen sich das Krankheitsbild stark verschlechterte, befanden sich 36 Personen aus der Placebo-Gruppe und nur 14 aus der AZT-Gruppe. Für Fauci ist dies ein „hochsignifikantes Ergebnis“, das die Wirksamkeit von AZT schon zu einem frühen Zeitpunkt beweise.

Der US-Wissenschaftler kündigte an, daß in seinem Land die Empfehlungen für den Einsatz von AZT korrigiert würden. Das Arzneimittel solle künftig nicht erst bei einem Absinken der T-4-Zellen unter 200 (je Kubikmillimeter) eingesetzt werden, sondern schon, wenn weniger als 500 T-4-Zellen gemessen werden. Damit werde die Zahl der AZT-Patienten in den USA von bisher 20.000 auf 200.000 ansteigen, schätzt Fauci.

Als besonders wichtiges Teilergebnis der Untersuchung berichtete Fauci auch von den reduzierten Nebenwirkungen der AZT-Medikation. Danach seien die befürchteten schweren Nebenwirkungen beim Früheinsatz von AZT nicht in dem Maße aufgetreten wie bisher beobachtet. Fauci nannte die Zahl von fünf Prozent der Patienten mit starken toxischen Nebenwirkungen. (AZT führt unter anderem häufig zu schweren Anämien). Dieser erstaunlich niedrigen Zahl wurde allerdings im Robert-Koch-Institut widersprochen. Der Berliner Arzt Manfred Lage berichtete, daß in Berlin bei ähnlichen Versuchen mit einer frühzeitigen Therapie mit AZT in sehr viel stärkerem Ausmaß schwere Nebenwirkungen aufgetreten seien. Fauci beharrte auf den fünf Prozent und wies darauf hin, daß in jedem Fall die Nebenwirkungen insgesamt weniger gravierend seien als bei einem Späteinsatz. Die Patienten in der US-Kohorte hatten dabei dieselbe Dosis erhalten wie sie beim „normalen“ AZT-Einsatz bei Patienten mit voll ausgebrochener Krankheit üblich ist: alle vier Stunden 200 Milligramm.

Der Zeitpunkt zum Einsatz von AZT wird möglicherweise noch weiter vorverlegt, wenn eine weitere Studie ausgewertet wird. Der US-Immunologe berichtete von insgesamt 3.000 HIV -Infizierten, die keine Symptome zeigen und allein aufgrund ihres Positiven-Status mit AZT behandelt würden. Hier lägen aber noch keine Ergebnisse vor.

Wer AZT frühzeitig einsetzen will, muß auch frühzeitig über seinen HIV-Status Bescheid wissen, muß also zum Test gegangen sein. Werden die Ergebnisse der neuen US-Studie also eine neue Test-Politik auslösen? Von der taz auf dieses Problem angesprochen, sprach sich Fauci für eine „frühes, breites, aber freiwilliges Testen“ aus. Erstmals könne man den Positiv-Getesteten jetzt frühzeitige Therapiemöglichkeiten anbieten. Dieser Aussicht steht auf der anderen Seite der ungeheure Streß von Positiv-Getesteten gegenüber. Einige Wissenschaftler vermuten, daß die Krankheit bei Getesteten deshalb auch schneller ausbricht.