„Dem Kind die Ohren zuhalten“

Berlin-Tegel, der Flughafen mitten in der Stadt / Johannes Hauenstein von der BI gegen das Luftkreuz Berlin beschreibt die „Freiheit“ eines Lebens in der Einflugschneise  ■  I N T E R V I E W

taz: Seit gut eineinhalb Jahren kämpft eure Bürgerinitiative gegen Umweltverschmutzung und Lärm durch den Flugverkehr. Ist das nicht in jeder Stadt so, daß die Leute, die den Flughafen direkt vor der Nase haben, dagegen protestieren, während die anderen munter um die Welt fliegen?

Johannes Hauenstein: Das besondere am Berliner Flughafen ist, daß er mitten in der Stadt liegt, während die anderen Flughäfen meist weit draußen gebaut wurden. Vom Stadtzentrum bis zum Flughafen Tegel sind es in Berlin acht bis zehn Kilometer, die nächste Einfamilienhaussiedlung liegt 200 Meter von der Start- und Landebahn entfernt, bis zur Hauptgeschäftsstraße sind es 500 Meter - das gibt es in kaum einer anderen Stadt. Der Flughafen ist lückenlos eingeschlossen von Wohn- und Erholungsgebieten, und gerade auf diese Erholungsgebiete sind die Berliner ja viel mehr angewiesen als Leute in anderen Städten, weil wir nicht so leicht raus können.

Du selber wohnst in der Einflugschneise dieses Flughafens, was bedeutet das Tag für Tag?

Die Dinger kommen hier mit über 100 Dezibel rübergedonnert, und du weißt nie, wann eine von diesen Kisten hochkommt, du hörst ein Rauschen, das wird immer lauter und lauter, und wenn du auf der Straße oder im Garten bist, mußt du das Gespräch unterbrechen oder den anderen anschreien. Ich muß meinem kleinen Sohn dann einfach die Ohren zuhalten. Der hat in erster Zeit völlig panisch zu schreien angefangen. Im Moment haben wir rund 290 Starts und Landungen pro Tag. Die erste Maschine kommt morgens um sechs und die letzte nachts gegen 23 Uhr und später. Zwischendrin geht das dann im Ein-, Zweiminutentakt über unsere Köpfe hinweg. Wenn wir kein Wohngebiet wären, sondern eine Fabrik, dann müßte man uns aus gesundheitlichen Gründen Lärmschutz-Kopfhörer vorschreiben. Das ist einfach menschenunwürdig.

Gibt es Leute, die deswegen ihre Häuser aufgeben oder wegziehen?

Bei uns in der Initiative gibt es zwei Leute, die deswegen ihr Haus verkauft haben. Obwohl die nicht einmal direkt in der Einflugschneise wohnten, haben sie es einfach nicht mehr ausgehalten.

Künftig 36 Flüge weniger pro Tag - ändert das überhaupt etwas an der Situation?

Die Verringerung würden wir durchaus spüren, weil die Streichung ja fast nur Flüge mit diesen alten lauten Maschinen betrifft. Das wäre schon eine Entlastung, die die Menschen auch merken würden.

Eure Initiative hat zusammen mit einer anderen BI im Frühjahr ein Bürgerbegehren zur Reduzierung des Berlin Flugverkehrs durchgeführt. 77.000 BürgerInnen, das sind 20 Prozent der Wahlberechtigten der beiden meist betroffenen Stadtbezirke, haben dieses Begehren aktiv unterstützt. Glaubst du denn, daß die BewohnerInnen die jetzt allenthalben gescholtene Initiative des Berliner Senats politisch auch honorieren?

Ich denke schon, daß der Senat da die Unterstützung in diesen Bezirken hat und sich das auch bei möglichen Wahlentscheidungen niederschlagen wird.

Eure Initiative hat noch vor zwei Monaten eine recht bittere Bilanz der bisherigen Luftverkehrspolitik dieses Senats gezogen.

Wir hatten den Eindruck, daß eher aus Versehen ein Teil der Forderungen unserer Bürgerinitiative im Koalititionsvertrag gelandet ist. Das war ungeheuer halbherzig. Und zwei Monate lang hat der rot-grüne Senat nicht viel anderes gemacht als der alte auch.

Aber nun scheint es doch ernst zu werden mit der Reduzierung des Flugverkehrs.

Wir haben uns ja auch Mühe gegeben, da weiter Druck auszuüben.

Jetzt steht der Senat dafür ganz kräftig unter Druck von anderer Seite.

Wir haben am Wochenende in einer Presseerklärung die angekündigte Streichung der Flüge begrüßt. Wir meinen, daß das ein kleiner konkreter Schritt in die richtige Richtung ist, um die Lärm- und Schadstoffbelastung in Berlin zu verringern. In dem Zusammenhang ist für mich völlig unbegreifbar, wie der Diepgen und der Buwitt von der CDU weiterhin völlig stur fordern können, den Flughafen weiter auszubauen und keine Flüge zu streichen. Die haben offenbar immer noch nicht begriffen, daß sie nicht mehr an der Regierung sind und daß sie - nicht nur, aber auch - wegen ihrer menschenverachtenden Luftverkehrspolitik ihre Macht verloren haben. Die Luftverkehrspolitik war einer von den vielen kleinen Bausteinen, über die der CDU/FDP-Senat letztendlich gestolpert ist. Das begreifen die offenbar noch nicht.

Und bei allem Druck, den er jetzt abkriegt, wäre der rot -grüne Senat gut beraten, sich vor Augen zu führen, daß er mit Sicherheit nicht von der Industrie- und Handelskammer gewählt worden ist, nicht von der Berliner Flughafengesellschaft und auch nicht von der Bundesregierung. Er ist von den Menschen hier gewählt worden - wegen ganz konkreter Versprechen. Da ist er einfach in der Pflicht, diese Versprechungen zu erfüllen, und da, wo er Unterstützung braucht, werden wir ihm die auch geben.

Interview: Vera Gaserow