Das Kreuz mit dem Luftkreuz

■ Die Berlin-Flüge haben seit 1987 um 50 Prozent zugenommen - ein Drittel davon will der Senat streichen

Die einen sehen die Freizügigkeit der Berliner in Gefahr, die anderen die freie Marktwirtschaft. Dritte mutmaßen wiederum, künftig müßten Kongreßteilnehmer wohl mit dem Fahrrad in die Mauerstadt reisen. Von Springers 'Bild‘ bis zum konservativ-liberalen 'Tagesspiegel‘, von der CSU bis zum SPD-Bundestagsabgeordneten Penner - nichts als hysterische Schelte bekommt der rot-grüne Berliner Senat für seine Pläne, von den täglich rund 280 Flügen 36 zu streichen. Dabei ist bekannt, daß manche Flieger mit nur zehn Passagieren an Bord krachend in die ohnehin verpestete Berliner Luft-Luft-Luft abheben und daß die Mauerstadt bessere Flugverbindungen hat als manch andere Stadt Busverbindungen. Argumente aus der Ära des Kalten Krieges werden heraufbeschworen, wo es um ganz anderes geht: den Konkurrenzkampf zwischen den Fluggesellschaften und Stimmungsmache gegen Rot-Grün.

Wäre es die Aufgabe des Berlin-Flugverkehrs, den „freien und unkontrollierten Zugang“ zur Mauerstadt zu gewährleisten, dann würde eine Handvoll von Flügen pro Woche vollkommen ausreichen. Denn die Zahl derjenigen, denen die DDR es verwehrt, über die Transitautobahnen Berlin zu besuchen oder zu verlassen, war schon nach der Schätzung des alten CDU-FDP -Senats gerade mal „gut vierstellig“.

Und ginge es wirklich darum, den Passagierandrang zu bewältigen, dann könnte der Senat noch weit mehr streichen als die schlappe Zahl von 36 Flügen: Als 1987 die Westdeutschen zu Hunderttausenden nach Berlin zur 750 -Jahrfeier stürmten, da boten ihnen die alliierten Fluggesellschaften täglich im Durchschnitt 185 Flüge. Heute gibt es gut 280 - 50 Prozent mehr -, während die Passagierzahlen kaum gestiegen sind.

Es war nicht die 750-Jahrfeier, sondern ein anderes Ereignis des Jahres 1987, das den Berlin-Flugverkehr zum Abheben brachte: Ronald Reagans Rede bei seinem Berlin -Besuch, in der er Berlin als künftiges „Luftkreuz Europas“ anpries. Sie stieß einen Prozeß an, dessen negative Folgen Reagan eigentlich aus seinem eigenen Land kennen müßte: eine „Deregulierung“ des Flugverkehrs.

Die drei Fluggesellschaften PanAm, British Airways und Air France hatten in den 70er Jahren die Strecken unter sich aufgeteilt, nachdem 1971 das Transitabkommen die Flugzeuge zugunsten der Autobahnen geleert hatte.

Doch im Sommer vergangenen Jahres machten der damalige Senat und die US-Regierung eine Kehrtwende: Nach vielen Klagen über mangelnde Pünktlichkeit und Service bei den monopolgeschützten Linien sollten die Fluggesellschaften wieder in den Wettbewerb geschickt werden. Mit der Zulassung zweier neuer US-Gesellschaften - TWA und American Airlines sollte vor allem der tantigen PanAm eingeheizt werden.

Der CDU/FDP-Senat versprach den Berlinern das Blaue vom Himmel: Die Marktmechanismen sollten nicht nur Verspätungen und Schlamperei beseitigen, sondern die Gesellschaften auch in Zugzwang bringen, moderne Flüsterjets einzusetzen.

Erreicht wurde nichts von alledem, im Gegenteil. Der Wettbewerb zwang die Gesellschaften, sich auf die profitablen Strecken zu konzentrieren, vor allem nach Frankfurt und München. Zu manchen Tageszeiten bieten die konkurrierenden Gesellschaften den Fluggästen hier einen Fünf-Minuten-Takt - besser als die meisten Berliner Buslinien. Gleichzeitig strichen PanAm und British Airways ihre Flugpläne zu weniger lukrativen Zielen wie Nürnberg oder Hamburg zusammen; die neu hinzugekommenen Gesellschaften hatten sich von vornherein auf die profitablen Strecken beschränkt.

Und nicht nur das Angebot verschlechterte sich, sondern auch die Pünktlichkeit ließ weiter nach: Seit dem letzten Jahr leisten die Berlin-Flieger einen verstärkten Beitrag zur Überfüllung des Luftraums über Frankfurt und München, in dessen Warteschleifen sie dann selbst hängenbleiben.

Als hohl erwies sich auch das Versprechen des CDU/FDP -Senats, nun seien die leisen Maschinen im Anflug. PanAm holte nicht etwa zusätzliche Airbusse in den Flugplan, sondern weitere laute Maschinen; fest eingeplante neu angeschaffte Airbusse wurden woanders eingesetzt. Und TWA bediente die 200.000 Flughafen-Anwohner vom Start weg mit uralten Boeing 727. Der stellvertretende Deutschland -Direktor von British Airways weihte die konservativen Senatspolitiker im letzten Herbst in ökonomische Grundregeln ein: Eine Flottenerneuerung, so Wolfgang Grund, gebe es nur dort, „wo man Geld verdient“.

Doch das ist im Berlin-Flugverkehr nicht mehr zu holen. Mit einer durchschnittlichen Auslastung von 51,2 Prozent unterfliegen die Maschinen im Berlin-Flugverkehr mittlerweile locker die Rentabilitätsschwelle. Und bei den Flugpaaren, die der neue Senat jetzt streichen möchte, liegt die Auslastung sogar unter 30 Prozent.

Der Luftkrieg über Berlin bewirkte aber auch Positives: Ausgerechnet zum 40jährigen Jubiläum der „Luftbrücke“ demontierten die drei westlichen Alliierten den Mythos, sie würden die Kontrolle über den Flugverkehr als uneigennützige „Schutzmächte“ ausüben. Als sich ihre Luftfahrtattaches im vergangenen Jahr über die Zulassung neuer amerikanischer Gesellschaften einigen sollten, fürchteten Briten und Franzosen einen Verdrängungswettbewerb zuungunsten ihrer Airlines.

Ergebnis des langen Tauziehens war der Einstieg von EuroBerlin-France, einer Tochtergesellschaft von Air France und Lufthansa, ins Berlin-Geschäft. Sowohl die Bonner Regierung als auch der alte Senat warnten damals die Alliierten, sie sollten durch ihren Streit nicht den „einzigen unkontrollierten Zugang“ gefährden. Und derselbe Bonner Regierungssprecher Schmülling, der heute den rot -grünen Senat wegen der Flugstreichungen geißelt, erinnerte noch im letzten Sommer an die Gefahren eines „Verdrängungswettbewerbes“ und sprach von zunehmender „Luftraumbelastung“.

Die unmittelbar Leidtragenden - etwa 200.000 Flughafen -Anwohner - spielten bei alledem keine Rolle. Zwar unterstützte nicht nur die AL, sondern auch die SPD ihre Forderung, den Flugverkehr wieder zu reduzieren; doch hätten die Sozialdemokraten geahnt, daß sie nach den Wahlen vom Januar dieses Jahres dies als Regierungspartei würden umsetzen müssen, wären sie wohl vorsichtiger geblieben.

Tatsächlich passierte nach der Amtsübernahme des SPD-AL -Senats erst einmal gar nichts. Es bedurfte sogar erst eines Aufstandes der SPD-Abgeordneten aus den umliegenden Bezirken, damit der Regierende Bürgermeister Momper an seinem Wahlkampfversprechen festhielt und den vom alten Senat geplanten Ausbau des Flughafens Tegel stoppte.

Und ginge es nach der Koalitionsvereinbarung, dann müßten nicht 36, sondern rund 100 Flüge aus dem Programm gestrichen werden: Dort haben AL und SPD sich nämlich verpflichtet, die Zahl der Berlin-Flüge auf den Stand von 1987 zurückzuschrauben.

Hans-Martin Tillack