Völlig losgelöst über die Rampe

Skateboarder okkupieren bei der Weltmeisterschaft für ein Wochenende die Stadt Münster  ■  Von Michael Ertel

Im Stadtbild waren sie unübersehbar. Ganze Heerscharen von skateboardbegeisterten Kids und die Top-Athleten kurvten mit ihren Brettern durch die sonst so fahrradverwöhnte City, der motorisierte Verkehr kam dabei schon einmal zum Erliegen. Für vier Tage war Münster der Nabel der Skateboard-Welt, als Gastgeberin für die dritte Weltmeisterschaft im Skateboard und Rollerskates am vergangenen Wochenende.

In den Abendstunden trafen sich die bunten Gestalten zu Skateboard-Sessions, am liebsten am oder im Hauptbahnhof, und zogen dabei nicht nur reges Interesse der Passanten auf sich, sondern provozierten auch staatliches, bahnpolizeiliches Einschreiten. „Skateboard is no crime“, schallte es den Uniformen entgegen, eine Parole der Rollerszene, die auch auf Boards und T-Shirts zu lesen ist weil auch im Mutterland USA sich die Kids auf ihren Rollen von den Cops drangsaliert fühlen.

Knapp dreihundert Aktive aus sechsundzwanzig Ländern waren am Start, darunter auch Teilnehmer aus Neuseeland, Brasilien, Nigeria und sozialistischen Ländern, allen voran natürlich die führende Skate-Nation USA. Das ist nicht weiter verwunderlich, denn dort entstand nicht nur das Skateboardfahren, sondern die Staaten bieten auch mit zahlreichen Skateboard-Parks optimalen Trainingsmöglichkeiten. Klar, woher auch die meisten Profis dieser Weltmeisterschaft waren.

Dabei auch der hocheingeschätzte Tony Hawk, Favorit in der Halfpipe. Der 21jährige reist wie ein Tennisstar, mit eigenem Manager und Betreuerteam, und avancierte bei den wichtigsten Wettbewerben der letzten Zeit zum ständigen Sieger. Mit seinen Tricks läßt er nicht nur den Atem der Zuschauer stocken, sondern auch den der Konkurrenz. Und der Junge läßt sich seine Kunst auch ordentlich bezahlen. Auf 250.000 Dollar werden seine jährlichen Einnahmen geschätzt, zusammengesetzt hauptsächlich aus Werbeverträgen und Showfahren.

Preisgelder wie die 5.000 Mark, die die Sieger der einzelenen Disziplinen in Münster mitnehmen konnten, spielen da eine eher untergeordnete Rolle. Für bundesdeutsche Verhältnisse sind solche Summen allerdings beträchtlich. Wie lange noch? Für Florian Böhm, einen der deutschen Profis in der Halfpipe, bedeutet Profi zu sein „in erster Linie, mich voll aufs Fahren konzentrieren zu können“. Aber mit zunehmendem Interesse einer breiten Öffentlichkeit und der Medien am Skateboard wird auch hierzulande das Sponsoring zunehmen.

Schon heute ist die extreme Markenfixierung der Kids unübersehbar: T-Shirts, Schuhe und vor allem das Board muß das Zeichen eines renommierten Herstellers zieren. Alles andere wäre „pogo“. Ein augenfälliger Gegensatz zu dem ursprünglichen Gedanken des Skatens als ganz eigenem Ausdruck von Freiheit, völlig losgelöst: Asphalt-Surfen ohne Regeln, in den Hinterhöfen und auf den Straßen der Stadt, keine Show. In den USA beispielsweise treiben sich schon längst Skatergruppen durch die Vororte, auf der Suche nach leeren Swimmingpools oder Häusern, deren Bewohner in Urlaub sind: dann wird das Wasser ausgeschöpft und der Pool zum Skater-Center umfunktioniert.

Pubertäre Mode?

Daß Skateboardfahren mehr ist als eine pubertäre Mode, davon konnten sich am Wochenende über 17.000 Besucher der Halle Münsterland überzeugen. Wie immer war die spektakulärste Disziplin die Halfpipe (oder Ramp). Ein langgezogenes u -förmiges Halbrohr, auf dessen Kanten die Fahrer ihre Tricks demonstrieren: saltoähnliche Drehungen hoch in der Luft, von den Gesetzen der Gravitation scheinbar befreit, einarmige Handstände und atemberaubendes Tempo. Das ist nicht mehr nur Effekthascherei, sondern Hochleistungssport. Dabei wird nicht, wie in anderen Sportarten, nach festgelegten Plänen trainiert, selbst bei den Spitzenfahrern dominiert noch das Lustprinzip. Gymnastik? Ein bißchen Aufwärmen vor dem Start, o.k., aber das ist auch alles. Kraftübungen? Nein danke. Aber fahren tun sie verdammt gerne, und wenn sie dann zum Training in die Röhre steigen, kommen sie vor drei, vier Stunden nicht mehr heraus.

Ganz eindeutig dominierten hier die Amerikaner, und wie erwartet belegte Tony Hawk den ersten Platz vor zwei Landsleuten (Florian Böhm wurde 24.). Und eine der wenigen Überaschungen gab es im Streetstyle, dem Versuch, das alltägliche Straßenfahren mit allen gegebenen Hindernissen auf den Wettkampf zu übertragen. Hier gewann nämlich der 16jährige Schüler Jan Wage aus Hamburg in der Gruppe der Amateure, wo doch die Skater mit 20 erst ins beste Alter kommen. Er flitzte am besten durch all die aufgebauten Rampen, Bänke, Poller, Schienen und Treppen, wobei mit Vorliebe über alles gesprungen wird.

Frauen sieht man nur wenige unter den Skatern, auch bei dieser Meisterschaft. Gerade vier rollten durch die Halle, was „Gogo“ Spreiter aus der Schweiz im wesentlichen darauf zurückführt, daß viele potentielle weibliche Skater durch das coole und machohafte Verhalten der männlichen Konkurrenz abgeschreckt werden. Die 26jährige startete im Freestyle, das in weiten Strecken mit seinen Tricks an eine Eiskunstlaufkür erinnert, und landete auf Platz11 der Amateure.

Doch das eifersüchtige Gezänk und die Intrigen des Eislaufens fehlen hier. Wenn die fünf Wertungsrichter ihre Punkte vergeben fließen keine Tränen, die Klassifizierungen werden akzeptiert. Vielleicht trägt auch dies dazu bei, neben all den artistischen und sportlichen Höchstleitungen, das Skateboardfahren in der BRD populärer zu machen. Und möglicherweise die Kommunen zu bewegen, entsprechende Gelegenheiten zum Fahren und Trainieren anzubieten.

Einen ersten Schritt in diese Richtung hat die Stadt Münster - 1963 bei der Einführung der Fußball-Bundesliga immerhin dabei - mit der Einrichtung des ersten deutschen Skateparks getan. So wird die Stadt auch über die WM hinaus die Skateboard-Metropole bleiben.