Der Tod des letzten Dreyfusards

Hubert Beuve-Mery, Gründer der französischen Tageszeitung 'Le Monde‘, starb 87jährig  ■ N A C H R U F

Aus Paris Alexander Smoltczyk

Als es leicht war zu lügen, schrieb er gegen die Heuchler; als die Realpolitik surreal wurde, lehnte er sich auf gegen die Anbeter des Götzen Sachzwang: mit Hubert Beuve-Mery hat Frankreich einen seiner alten „Dreyfusards“ in der Tradition des Alphonse Zola verloren. „Rufen Sie doch den Deutschen nicht noch zu, daß ihnen der Weg offen steht, daß sie schon im voraus die Krokodilstränen an den Augenbrauen tragen, die sie über Prag vergießen werden, wenn es gefallen ist“, schrieb Beuve-Mery im Mai 1938, damals Prager Korrespondent der honorigen 'Temps‘, an seinen Herausgeber, als dieser den Beistandspakt zwischen Frankreich und der Tschechoslowakei für null und nichtig erklärte und so dem Philisterabkommen von München einen Persilschein verpaßte. Der Herausgeber wurde wenig später, als Hitler Prag längst eingenommen hatte, Justizminister des Vichy-Regimes.

Beuve-Mery kündigte und zog nach Lyon, wo er neben seiner Arbeit als außenpolitischer Redakteur der Wochenzeitung 'Temps nouveau‘ damit begann, Flugblätter gegen die Kollaboration zu verbreiten. 1941 erhält er einen Lehrauftrag an der Verwaltungshochschule von Uriage, einer Tarnadresse für eine Kaderschmiede der Resistance. Als Premierminister Laval die Schule 1942 auflöst, geht Beuve -Mery in den Untergrund, bis zur Befreiung Frankreichs 1944. Der 'Temps‘ ist inzwischen tot - politisch und juristisch. Beuve-Mery mietet die alten Redaktionsräume in der Rue des Italiens und gibt am 19. Dezember die erste Nummer der 'Le Monde‘ heraus, die von ihrer Vorgängerin nur die gothische Fraktur-Schrift im Titel behält - und den gemessenen Tonfall, den die abendschwere 'Le Monde‘ gegenüber der morgenleichten 'Liberation‘ bis heute auszeichnet. Bilder haben in dieser Zeitung nichts zu suchen. Information wird als Schrift, als reine Sprache vermittelt. Und dem „Ausland“ sollte in der Seitenfolge der Vortritt vor den nationalen Angelegenheiten gebühren.

Als im März 1957 nicht länger verheimlicht werden kann, daß in Algerien „im Namen der Republik“ gefoltert wird, schreibt Beuve-Mery unter seinem stadtbekannten Pseudonym „Sirius“: „Von jetzt an müssen die Franzosen wissen, daß sie das Niederbrennen von Oradour (durch die Nazis, d. Red.) und die Folterknechte der Gestapo nicht mehr in den gleichen Worten verdammen können wie noch vor zehn Jahren.“ Zehn Jahre später wird die Zeitung noch einmal von den Ereignissen in die Höhe gehoben: als 1968 der Generalstreik ausgerufen wird, erreicht 'Le Monde‘ dank freiwilliger Verteiler die Rekordauflage von 800.000 Stück, das doppelte der derzeitigen Auflage. Das Blatt geht zur Hälfte in den Besitz der Redaktion über.

Am 25.Geburtstag seiner Zeitung zog sich Beuve-Mery zurück und wurde zum täglich wiederkehrenden Namen unterhalb des Schriftzugs auf Seite 1 - von allen gelesen, von immer wenigeren gekannt. Am Sonntag abend starb Hubert Beuve-Mery im Alter von 87 Jahren. Und von heute an wird ein Kreuz hinter seinem Namen - unter dem Titel Frankreichs bester Tageszeitung stehen.