Der hohe, scharfe Mountain-Klang

■ Die Osborne Brothers und Bill Monroe: Ein Bluegrass-Abend in Streekermoor

Selten eine seltsamere Szenerie beobachtet als letzte Woche im Gasthof „Zur neuen Heimat“ in 2907 Streekermoor bei Oldenburg. Was bringt gestandene Familienväter dazu, sich im Glitzer-Cowboy-Anzug zur Schau zu stellen? Was führt Jugendliche mit dem irren Blick der Neofaschisten und Hippieveteranen allen Teilen der Bundesrepublik zusammen? Ein Bluegrass-Festival!

Bluegrass-Musik wird auch von vielen, die sonst der Country -music verbunden sind, für eine anstrengende Pflichtübung gehalten. Das Instrumentarium ist auf Banjo, Mandoline, Westerngitarre, Fiddle und Kontrabaß beschränkt, die Songs sind simpel, meist uralte Drei-Akkorde-Langweiler, die Themen sind das „Old Kentucky Home“, das „Clinch Mountain Home“ oder das „Old Cabin Home“ sowie sämtliche Wundertaten des Herrgotts. Nicht selten sieht man direkt in die häßliche Fratze des 19.Jahrhunderts.

Die beiden Topacts des Festivals, die Osborne Brothers und Bill Monroe & The Bluegrass Boys, räumten mit Vorurteilen allerdings gründlich auf. Die zwei Osbornes, Bobby (Jahrgang 1931) an der Mandoline und Sonny (Jahrgang 1937) am Banjo, gelten in der Bluegrass-Szene als Anarchisten. Schließlich haben sie des öfteren mit elektrischen Instrumenten, ja sogar mit Schlagzeug herumexperimentiert. Der optische Eindruck war schon mal überwältigend: Während Sonny die Gelassenheit, den Humor und die Spiritualität eines kurz vor der Pensionierung stehenden Lateinlehrers verströmte, war von dem Gesicht seines Bruders Bobby unter einem ausladenden Stetson wenig zu sehen: ein Backenbart wie bei Dagobert Duck plus Sonnenbrille wie bei Jaruzelski verdeckten das meiste. Begleiten ließen sich die beiden von drei frisch rekrutierten sauber gescheitelten Jugendlichen an Baß, Fiddle und Gitarre.

Diese interessante Ansammlung von Charakterköpfen präsentierte sich in allerbester Spiellaune. Besonders Sonny Osborne hatte einen guten Tag erwischt. Seine perfekte Banjotechnik nutze er immer wieder, um die Haltbarkeit der relativ starren Songgerüste auf harte Proben zu stellen. Ein Thelonious Monk der Bluegrass-Musik: Keine Dissonanz war ihm dissonant genug, kein Gegenrhythmus zu störend, und nach jeder besonders gelungenen Reihe schräger und schrägster Akkorde grinste er zufrieden und versuchte seine Mitspieler zu ähnlichen Unarten anzustiften. Hinzu kamen traumhafte mehrstimmige Gesangssätze, die man so präzise und musikalisch selbst von Vokalartisten wie den Beach Boys oder Manhattan Transfer nicht alle Tage zu hören bekommt.

Bill Monroe (Jahrgang 1911!) gilt als Urvater der Bluegrass -Musik. Er ist eine der größten noch lebenden Country -Legenden und machte einen frischeren Eindruck als viele nur halb so alte Rock'n'Roller. Seine Stimme hatte immer noch den hohen, scharfen „Mountain„-Klang, durch den sie berühmt wurde, wenn er auch die ganz hohen Töne meistens nur kurz andeuten konnte. Sein Mandolinenspiel war darüber hinaus von einer Fingerfertigkeit, die auch die eines Bobby Osborne in den Schatten stellte. Außer dem kaum weniger legendären Fiddler Tater Tate bestand seine Begleitband allerdings aus eher durchschnittlichen Musikern jüngeren Semesters, stilbrechende Ausreißer a la Sonny Osborne gab es nicht.

Zu verdanken hatten wir diesen Abend dem Finanzbeamten und Freizeit-Country-Schallplattenhändler Klaus Grotelüschen, der in der Vergangenheit schon diverse Stars aus dem Country -Umfeld (Flying Burrite Brothers, Peter Rowan, Townes Van Zandt) ins Oldenburger Umland gelockt hat. Trotz stolzer 38 Mark Eintritt hat er diesmal leicht minus gemacht. Aber als echten Fan interessiert ihn sowas natürlich nur in zweiter Linie.