Vom Mann zum Buckelwal-betr.: Weibliche Sprache, taz vom 7.7.89

betr.: Weibliche Sprache, taz vom 7.7.89

Als dankbarer Leser Ihrer geschätzten Zeitung greife ich heute einmal selber zur Feder, um Ihnen meine ausdrückliche Hochachtung für Ihren obengenannten Artikel auszusprechen. Sie hatten da auf eine Sendung hingewiesen, die von weiblichem Gesang handelt. Ich beschäftige mich nun schon seit Jahren mit dieser Thematik. Gerade im menschlichen Dasein zwischen Mann und Frau spielt die Sprache ja seit Schöpfungstagen eine ganz wesentliche Rolle. Ich möchte in diesem Zusammenhang ein kleines Beispiel aus unserer Tierwelt anfügen, daß Ihnen möglicherweise entgangen ist.

Ich muß sagen, daß mich der Artikel, den ich in einer naturwissenschaftlichen Zeitschrift fand, zu Tränen gerührt hat. Wie klein werden doch wir Menschen mit unseren niederen Trieben vor dem hohen Kunstschaffen unserer kreatürlichen Brüder! Und wieder einmal wird deutlich, daß Frauen am besten zur Kultur beitragen, indem sie schweigen und die Männer zu Singen bringen: „Männliche Buckelwale, so weiß man seit einiger Zeit, 'komponieren‘ jährlich zur Paarungszeit neue Lieder. (...) Zum Singen finden sich die Tiere während ihres Winteraufenthalts in tropischen Gewässern zu 'Liederkränzchen‘ zusammen, bei denen Buckelwale bis zu 22 Stunden lang abwechselnd singen. Diese Gesänge verändern sich von Jahr zu Jahr, wobei die langen Strophen ständig durch neue Elemente ergänzt werden. (...) Nachdem inzwischen auch geographische Variationen sowohl einzelner pazifischer wie auch atlantischer Buckelwal-Populationen bekanntgeworden sind, entdeckte Katharine Payne jetzt zusammen mit Linda Guinee bei der Analyse von 548 Buckelwal-Gesängen des östlichen Nordpazifiks und des westlichen Nordatlantiks, daß Wale regelrecht 'reimen‘. (...) Die Wiederholungen bestimmter Sequenzen dienen vermutlich als 'Gedächtnisstütze‘, falls der Wal einmal nicht weiter weiß. (...) Auch die allmähliche Veränderung der Walgesänge ist keineswegs auf Vergeßlichkeit zurückzuführen, sondern nach Meinung Paynes auf eine auch nur unter Säugern recht seltene echte Weiterentwicklung der artspezifischen Lautäußerung. Die Wissenschaftler sprechen in diesem Zusammenhang von einer „kulturellen Evolution“ bei den Buckelwalen. (...) Denkbar ist, daß die Walmännchen um die Gunst der Weibchen buhlen, indem sie sich mit ständig neuen Stilelementen hervorzutun versuchen. Alle übrigen Männchen zwingt dieser Liederstreit dazu, ihrerseits solche modernen Passagen in ihren eigenen Gesang einzubauen - freilich unter vorläufiger Beibehaltung der älteren Strophenelemente. Bei den Buckelwalen scheinen mithin die Weibchen indirekt das 'kulturelle Leben‘ unter Wasser anzuspornen.

Hochachtungsvoll,

Dr. O.Maul-Held, 1/37