Walesa spielt mit heißen Karten

Walesa favorisiert die Koalition mit den Blockparteien - ohne Kommunisten  ■ K O M M E N T A R E

Zweifellos - Walesas Koalitionsangebot an die kleinen Blockparteien bringt noch einmal Schwung in die polnische Regierungsbildung. Denkt man an die Mehrheitsverhältnisse im Sejm und den Wunsch der kleineren Parteien, sich im Interesse ihres Überlebens im nachkommunistischen Polen von der PVAP zu emanzipieren, dann könnte der bereits gewählte Ministerpräsident Kiszczak bald alt, sprich: ohne parlamentarische Rückendeckung, dastehen. Nachdem bislang mit der Wahl Jaruzelskis und Kiszczaks für die PVAP alles blendend lief, droht jetzt - konform zum Wählerwillen - der Machtverlust. Auch wenn sich die Führung der kleineren Parteien noch zurückhalten, Fraktionsmehrheiten für Walesas Angebot sind nicht unrealistisch.

Über die politische Klugheit des Vorstoßes allerdings läßt sich streiten - nicht nur deshalb, weil die Durchsetzungsfähigkeit der kleinen Koalition angesichts einer noch immer kommunistisch dominierten Verwaltung mehr als zweifelhaft scheint. Wie immer auch das Koalitionsgerangel enden wird, zur Verhärtung der innenpolitischen Situation taugen Walesas jüngste Äußerungen, mit denen er sein Angebot verpackt allemal: Den Reformflügel, der die Kompromisse am runden Tisch gegen den erbitterten Widerstand der Konservativen durchsetzte, stellt er erneut in die unterschiedslos totalitäre Ecke. Das wird die Zweifler irritieren, die Reaktionäre stärken.

Völlig abstrus jedoch erscheint die Untermauerung des Vorschlags mit der Solidarnosc-Drohung, im ganzen Land Protestaktionen gegen eine Regierung Kiszczak zu organisieren. Die radikale Pose wird der angeschlagenen Gewerkschaft zwar bei der Basis wieder ein Stück Vertrauen schaffen - für das polnische Pulverfaß aus Verelendung und Desillusionierung könnte es die Lunte sein. Man erinnere sich: Der runde Tisch war mit der Beendigung der Herbststreiks '88 in Gang gekommen. Neue politische Streiks unter Führung der Solidarnosc würden die erreichten Kompromisse hinwegfegen. Wenn es Walesa mit seinem Angebot bloß auf einen Showeffekt zur neuerlichen Demonstration der oppositionellen Regierungsbereitschaft abgesehen hat, spielt er eine heiße Karte.

Matthias Geis