Die Schonfrist ist abgelaufen

■ Erstmals stimmte das japanische Oberhaus bei der Kanzlerwahl gegen das Unterhaus

Was für Takeshita und Uno galt, gilt für Kaifu nimmer mehr. Der Kandidat der konservativen LDP (Liberal-Demokratischen Partei) hat in Japan keine Schonfrist mehr. Bei seiner Wahl zum Premierminister im Land der aufgehenden Sonne, bekam er einen Vorgeschmack von dem neuen Wind, der den alten Mief von Korruption und Vetternwirtschaft in Japans Politik aufzufrischen beginnt.

Mit der Ernennung zum LDP-Vorsitzenden noch am Vortag durch die mächtigen Fraktionsbarone in seiner Partei, schien die Wahl zum neuen Regierungschef nur eine Formsache zu sein. Schließlich stellt die LDP als konservatives Sammelbecken schon seit 1955 ununterbrochen die Regierung und den Premier im fernöstlichen Finanzriesen.

Doch zum ersten Mal seit 41 Jahren votierte das Oberhaus des Parlaments am Mittwoch bei einer Wahl des japanischen Kanzlers anders als das Unterhaus. Mit den Stimmen der Opposition wurde dort mit Takako Doi erstmals eine Frau ins wichtigste Staatsamt bestellt - wenn auch vorläufig erfolglos. Denn noch verfügt Toshiki Kaifu über eine komfortable Mehrheit im Unterhaus, die ihn vorläufig noch zum Premier bestimmt.

Doch wie lange noch? Der Ruf nach Neuwahlen wird in Japan immer lauter werden. Frau Doi hat sicherlich Recht, wenn sie nach ihrem Wahlsieg betonte, daß die Machtverhältnisse im Oberhaus längst die Wünsche der japanischen Wähler offenbaren. Und die wollen offbar nur eins: der LDP einen weiteren Denkzettel verpassen.

Denn je mehr Ohrfeigen die LDP einstecken muß, desto deutlicher offenbart die Partei, daß sie nicht mehr zu Umkehr und Wandel fähig ist. Ihr Interesse gilt auch am Rande des Abgrunds nur dem machtpolitischen Gekungel zwischen den Fraktionen. Die führende Finanzmacht der Erde zeigt sich damit noch immer als eine Gesellschaft, die in feudalistisch-konfuzianischen Strukturen verhaftet ist und sich mit demokratischen Prozessen schwertut.

Das wird nicht nur in der Innenpolitik, sondern auch in der Außenpolitk offenkundig. Im Club der sieben westlichen Industrienationen gelang es den japanischen Premiers, die Rolle zu spielen, die ihnen von den Wähler zu Hause zugedacht wäre. Im Streit mit den USA und bei der Annäherung an die sich verändernde Lage in Osteuropa bleibt Nippon durch die Unfähigkeit der LDP-Gerontokraten in kleinstaatlichen Denkstrukturen der vergangenen Jahrzehnte verhaftet.

Die japanischen Wähler und besonders die Frauen, die Takako Doi vor zwei Wochen zu ihrem Wahlsieg verholfen haben, scheinen das schon lang erkannt zu haben. Wenn die LDP zur Umkehr nicht in der Lage ist, dann scheint ihr über kurz oder lang nur ein Weg zu bleiben: der in die Opposition. Dagegen wird die Partei sich aber nach 34 Jahren an der Macht sträuben und auf die Vergeßlichkeit der japanischen Wähler hoffen. Das hat in Japan in der Vergangenheit immer funktioniert. Doch in Nippon scheinen neue Zeiten angesagt.

Jürgen Kremb