Ernst Reuter, Terrorist (II.)

Hat Berlins berühmtester Regierender Bürgermeister 1921 Bombenanschläge organisiert?  ■ D E B A T T E

Zum 100. Geburtstag Ernst Reuters dokumentierte die taz an dieser Stelle Auszüge aus den Lebenserinnerungen des Literaten und Kommunisten Franz Jung, der dem damaligen KPD -Generalsekretär Ernst Reuter die Organisation von Bombenanschlägen und eines Attentats nachwies. Der Leiter des Berliner Landesarchivs und Herausgeber der Reden und Schriften Ernst Reuters, Dr.Hans J. Reichhardt, widerspricht im folgenden der Darstellung Jungs.

1. Reuter hat nie verschwiegen oder gar geleugnet, einige Jahre lang Kommunist gewesen zu sein. Und in Ernst Reuter. Eine politische Biographie, München 1957, haben Willy Brandt und Richard Löwental diesem Thema drei Kapitel gewidmet. Auch die Redner der Gedenkfeiern, zumindest Annemarie Renger, Richard von Weizsäcker und auch Klaus Schütz (am 28.Juli im Clubhaus der FU) haben an diese Phase erinnert. Nicht erwähnt haben diese freilich die von Ernst Reuter „organisierten Bombenanschläge“, die es einfach nicht gegeben hat. Deshalb ist Ihre apodiktische Feststellung, Ernst Reuter sei auch „Terrorist“ gewesen, doch ziemlich starker Tobak, um es so milde wie nur möglich zu formulieren.

2. Sie stützen sich bei dieser Behauptung einzig und allein auf Franz Jung, der rund 40 Jahre (!) nach den Ereignissen glaubt, sich genau erinnern zu können, wie Reuter am zweiten Osterfeiertag 1921 (28.März) sich an ihn gewandt und sogar „flehentlich“ um die Durchführung „terroristischer Anschläge“ gebeten habe. Außer Jung hat niemand, auch nicht Reuters schärfste innenparteilichen Gegner, die schließlich seinen Ausschluß aus der KPD durchsetzten und 25 Jahre später gewiß auch dran mitgewirkt haben, daß die sowjetischen Militärbehörden ihr Veto gegen die Bestätigung Reuters als Berliner Oberbürgermeister einlegten, auch nur annähernd so etwas behauptet. Übrigens: Laut 'Vossischer Zeitung‘ vom 29.März 1921, hat der Anschlag auf die Holtzendorffbrücke in Charlottenburg bereits in der Nacht zum Ostersonntag, vom 26. auf den 27.März und das Handgranatenwerfen auf eine Villa in der Grunewald-Kolonie (Ecke Erbacher/Erdener Straße) erst in der Nacht vom 3. auf den 4.April), stattgefunden, nachdem die KPD-Leitung bereits am 1.April die „März-Aktion“ für beendet erklärt hatte.

3. Tatsache ist, daß Reuter die „März-Aktion“ 1921 zunächst verteidigt hat, auch noch auf dem 3.Weltkongreß der Komintern in Moskau am 27.Juni und 2.Juli und auf dem Jenaer Parteitag vom 8.August 1921. Auf diesem Parteitag ist er zudem zum Generalsekretär der Partei bestellt worden, nicht zuletzt auch, um eine Art Versöhnung zwischen den Befürwortern und Gegnern der „März-Aktion“ herbeizuführen.

4. Als der sozialdemokratische 'Vorwärts‘ im November 1921 Berichte mitteldeutscher Teilnehmer der „März-Aktion“ über Einzelheiten der dabei angewandten KPD-Provokationstechnik veröffentlichte, forderten viele Funktionäre, darunter eben auch Reuter, die im April Paul Levis Andeutungen über putschistische Aktivitäten als unbewiesene Behauptungen angesehen hatten, nun eine vollständige Klarstellung, wozu die Mehrzahl der Spitzenfunktionäre der KPD jedoch nicht bereit war. Die innerparteilichen Auseinandersetzungen führten am 14.Dezember zur Abschaffung des Generalsekretariats, am 27.Dezember zum Ausschluß Reuters aus der Zentrale und letztlich zum Ausschluß aus der Partei.

5. Natürlich haben sich Reuters Widersacher mokiert über dessen Wandlung vom „linken“ Verteidiger der „März-Aktion“ zu deren Kritiker, und „daß der Genosse Friesland einen vollendeten Umfall vollzogen habe“. Doch im Referat und Schlußwort auf der Berliner Funktionärskonferenz am 30.Dezmeber 1921 hatte er u.a. erklärt: „Man glaubte durch terroristische Mittel die Arbeiterschaft zur Abwehr zu bringen, die auf den Ruf der Kommunistischen Partei allein nicht gefolgt war... Sie werden sich erinnern, wie wir in Berlin die Diskussion über die März-Aktion gehabt haben. Wir haben den Kampf geführt mit der politischen Parole eines Abwehrkampfes zur Unterstützung der Kämpfe in Mitteldeutschland. Wir haben in Berlin alle Versuche abgelehnt, mit terroristischen Mitteln die Arbeiterschaft in den Kampf hineinzuziehen, wenn sie nicht selber in den Kampf hineingehen will.“

6. Wie schon angedeutet, diese Darlegungen sind unwidersprochen geblieben. Wollen Sie bzw. Ihr Redakteur noch immer F.Jungs Erzählungen über den 2.Osterfeiertag 1921 Glauben schenken? Warum hat Jung nicht schon damals Reuter deswegen an den Pranger gestellt? Reuters Gegner in der KPD hätten doch schon Ende 1921 und später immer wieder mit wahrer Wonne provokatorisch auf ihn eingeschlagen. Und daß Reuters angebliche „Anstiftungs„-Aktivitäten völlig geheim geblieben sein sollen, erscheint ebenso abwegig wie die Annahme, er habe soviel Kaltschnäuzigkeit und Chuzpe besessen, bereits Weihnachten zu leugnen, was er am 2.Osterfeiertag zuvor getan habe. Nein - Reuter mag Ihnen, aus welchen Gründen auch immer, „nicht in den Kram passen, das ist Ihr gutes Recht, keinesfalls aber war er der Mann mit einem derart „schlechten Gedächtnis“, wie Sie meinen.

Dr.Hans J. Reichhardt

Anm. der Red: Das liest sich gut und überzeugend. Ein Papier stützt das andere. Aber ein paar angedeutete Fakten sollen daran erinnern, daß die Realität des Jahres 1921 sich noch anders darstellen kann, als sie in den zitierten Papieren erscheint: Franz Jung, der Vorsitzende der linksextremistischen Kommunistischen Arbeiter-Partei Deutschlands (KAPD) mußte als Folge der „März-Aktion“ sofort in den Untergrund gehen. Im Sommer nahmen ihn die Holländer auf der Flucht fest. Freundlicherweise wies man ihn nicht nach Deutschland aus. Dort warteten auf ihn ein Steckbrief, eine alte Zuchthausstrafe von fünf Jahren und das neue Verfahren. Hochverrat, Landesverrat, Gefährdung des Eisenbahnverkehrs. Dafür konnte man den Kopf verlieren, unter dem Fallbeil.

Also emigrierte Jung auf einem Dampfer in die Sowjetunion. Dort bekämpfte er die Hungersnot an der Wolga. Dann wurde er für einige Jahre Leiter einer Zündholzfabrik. Am Kleinkrieg der Berliner KP-Funktionäre Friesland (alias Reuter), Ulbricht, Pieck konnte er nicht teilnehmen, nicht mal als stiller Beobachter. Die 'Rote Fahne‘, das Parteiorgan, kam nicht bis in die Streichholzfabrik.

Reuter konnte sich darauf verlassen, daß für Franz Jung der Streit um Worte und Begriffe vorbei war. Und wie steht es mit den Bombenwerfern und Attentätern? Erstens waren sie in der KAPD, weit weg von Reuters bürokratischer KPD und ihren Sitzungsritualen. Zweitens: Warum sollten sie so blöde sein und sich in einen Streit der Funktionäre mit dem Selbstbekenntnis einmischen: „Ich schmiß die Handgranaten und kann nicht länger schweigen.“ Nur damit sie eingeknastet werden? So bescheuert waren die Berliner Bierfahrer nicht, jedenfalls nicht 1921.

Also nichts mit „an den Pranger stellen“. Reuter konnte, ganz ungefährdet, die „Kaltschnäuzigkeit und Chuzpe“ haben, seinen innerparteilichen Feinden alles mögliche zu erzählen. Die Zeugen hörten ja nicht zu, mehr noch: Sie erfuhren logischerweise nicht einmal, was Friesland hinter den verschlossenen KP-Politbürotüren den anderen Funktionären weismachte.

Friesland/Reuter ist das alles gut bekommen. Er wurde SPDist, und war wenig später Beamter. Franz Jung saß zu dieser Zeit hingegen im Knast. Dort hat er einige von den Märzkämpfern wiedergesehen. Einen anderen traf er in Hamburg auf der Mönckestraße. Der handelte mit Schnürsenkeln.

Ernst Reuter dirigierte ein Sekretariat, wurde Oberbürgermeister in Magdeburg und dann, 1946, in Berlin. Briefe hat er zwischendurch zu Tausenden geschrieben. Davon leben heute die Archivare. Ein Brief vom 17.März 1943 soll als Beleg dafür dienen, wie es mitunter um Ernst Reuters Gedächtnis stand: „Sehr geehrter Herr Thomas Mann! Es wird Ihnen eine geläufige Erscheinung sein, daß Ihnen Unbekannte sich an Sie wenden. Aber die Zeitverhältnisse dürften einen solchen Schritt auch ohne allzu eingehende Begründung rechtfertigen. Ich darf mich Ihnen gegenüber daher kurz damit legitimieren, daß ich nach jahrelanger Tätigkeit als Leiter des Berliner Verkehrswesens (Gründung der BVG) bis 1933 Oberbürgermeister der Stadt Magdeburg und im letzten Jahr vor der Hitlerschen Machtergreifung auch Reichstagsabgeordneter im Wahlkreis Magdeburg für die SPD war, der ich übrigens seit 1912 angehöre...“. Und so immer weiter. “...der ich seit 1912 angehöre ...“. Im Präsens. Und kein Wort von der KPD.