Der Moloch am Untermain

„In Frankfurt darf nichts zusammenpassen - erst dann paßt es zu Frankfurt.“ Dieses Urteil über die Mainmetropole gab Johann Wolfgang von Goethe, der „große Sohn der Stadt“, Ende des 18.Jahrhunderts zum besten. Ende des 20.Jahrhunderts kurz vor den hessischen Kommunalwahlen - griff der frischgebackene Umweltdezernent Tom Koenigs (die Grünen) dieses Bonmont des Altmeisters aus der Salzhausstraße gerne auf, um die „Zustände“ in der geliebten und gehaßten Stadt zu beschreiben: Zwietracht bei der Eintracht, Kaviar in der Freßgaß und „Schäufelchen“ in Sachsenhausen, Bankangestellte am Roulettetisch in Bad Homburg und Penner am Kanonenofen in einem leerstehenden, abgewrackten Hinterhof in der Mainzer Landstraße. Seit diesen Kommunalwahlen ist das Goethe-Wort um eine Interpretationsvariante reicher: Rot-Grün im Römer und CDU/FDP-Sympathisanten in den Vorstandsetagen der die Stadt beherrschenden Banken, Handelshäuser und Industriegiganten.

Frankfurt gilt nicht umsonst als die US-amerikanischste aller bundesdeutschen Städte. Und sie galt lange Zeit als unregierbar. Auf den Konfliktfeldern der Metropole wurden seit den späten 60er Jahren die „Schlachten“ härter geschlagen als anderswo in der Republik - von den 68er Wasserwerferorgien der Cops über die blutigen Iran -Demonstrationen der 70er Jahre und die Knüppelgasse der Bereitschaftspolizei in der Rohrbachstraße 1981 bis hin zu dem von einem Wasserwerfer tödlich verletzten Günther Sare und den Todesschüssen auf Polizisten am Flughafen. Ein politischer Dialog zwischen den verfeindeten Gruppierungen in der Stadt fand nicht statt oder blieb in Ansätzen stecken. Die CDU-Stadtregierungen unter Walter Wallmann und dann unter Wolfram Brück arbeiteten erfolgreich an der Zementierung der Verhältnisse. Die mehr als zehn Jahre CDU -Alleinherrschaft über die Mainmetropole waren gekennzeichnet vom Einsatz der Wallmann/Brück-Administration für die Interessen der gutverdienenden Mittelschichten und der „Upperclass“ in den Vorstandsetagen der mehr als 300 Banken. Sie richteten sich gegen die Interessen der Menschen in den Stadtteilen, die anderen Vorstellungen von einer urbanen Stadt nachhingen. Der ökonomisch begründete soziale Verdrängungsprozeß hat in Frankfurt Zigtausende von Menschen entwurzelt und aus den angestammten Wohnquartieren in die Hochhaussiedlungen an der Peripherie der Stadt getrieben. Zurück blieb eine - nach Geschäftsschluß - menschenleere City, durch deren geplättete Lebensadern abends die Besenwägelchen des Stadtreinigungsamtes rollen. Zum „Ausgleich“ dafür erstickt die Innenstadt tagsüber am Autoverkehr. An die 300.000 Pendler strömen täglich mit dem PKW in das Herz der Metropole zu ihren Arbeitsplätzen in den Wolkenkratzern der Banken und Versicherungen. Und der „Herzkasper“ tritt regelmäßig zur „Rush-hour“ ein. Keine andere Stadt der Republik hat so viele motorisierte Pendler zu verkraften wie Frankfurt. Frankfurt ist die einzige Stadt der Republik, die mehr Arbeitsplätze anbietet als sie Einwohner hat.

Der Moloch am Untermain ist eingeschnürt von einem Netz aus Autobahnen und Zubringern, das unter der CDU-Administration noch enger geknüpft wurde: Neue Stadtautobahnen und Tunnelprojekte sollten den eigentlichen, die Bau- und Verkehrspolitik der Stadt bestimmenden Konzernen den noch schnelleren Zustrom von qualifizierten Arbeitsplätzen aus dem Umland garantieren. Die alteingesessene Arbeiterschaft in den peripheren Stadtvierteln ist für die „High-Tech„ -Firmen, die Werbeagenturen, die Versicherungen oder die Banken in der City „wertlos“. Im Gegenzug steigt im Gallus und anderen Arbeitervierteln die Arbeitslosigkeit - und der Stimmenanteil der rechtsradikalen Parteien.

Auch kulturell ist die Stadt unter CDU-Ägide zur „Dienstleistungsmetropole“ für die Zweidrittelgesellschaft geworden: „Galaabend hinter klassischen Fassaden in der Alten Oper unter Polizeischutz. Kultur für wenige kulturelle Verödung für fast alle“, schrieben die Frankfurter Radikalökologen in ihr Alternativprogramm zu den rot-grünen Koalitionsvereinbarungen vom April '89. Eine Feststellung, der auch die Realos im Römer nicht widersprachen. Die kitschige Zuckerbäckerromantik auf dem Römerberg steht in krassem Widerspruch zu den trostlosen, grauen Fassaden der Häuser in den Vierteln, die von der CDU als neue Räume für die standorthungrigen Banken ausgewiesen wurden. Und über das weltweit als „Musterprojekt“ gelobte Museumsufer können sich in Frankfurt auch nur die Zeitgenossen freuen, die die Zerstörung von Historie anderswo ignorieren: etwa die Einebnung gewachsener Stadtteile oder das Niederwalzen der Reste des jüdischen Ghettos in der Stadt. Dort wurde - makabrer Ausdruck christdemokratischer Ignoranz - der Neubau der städtischen Gaswerke geplant. Und noch vierzehn Tage vor den letzten Kommunalwahlen segnete der CDU-Magistrat die erste Teilerrichtungsgenehmigung für weitere Wolkenkratzer ab, deren Tausende von Büros noch mehr Pendler in die City locken werden.

Vor dieser Kulisse zählen im Machtpoker um die Zukunft der Wirtschaftsmetropole der Republik bei den neuen Dezernenten und bei Oberbürgermeister Hauff starke Nerven, Verhandlungsgeschick und Sachverstand mehr als ein gutes Koalitionsprogramm. Denn eines ist allen Beteiligten schon heute klar: Klappt es in Frankfurt nicht, wird Wallmann die Hessenwahl '91 wieder gewinnen. Läuft es in Frankfurt, kann Hans Eichel (SPD) der neue hessische Ministerpräsident werden - und Joschka Fischer sein Vize.

Klaus-Peter Klingelschmitt