Rot-grüne Nagelprobe in Frankfurt

■ Die ersten Konflikte der neuen Stadtregierung mit der Wirtschaft sind angelaufen / Beim Streit um ein gigantisches Bürozentrum der Flughafengesellschaft vermengen sich wirtschaftliche und politische Interessen / In Frankfurt entscheidet sich auch Hessens Zukunft

Frankfurt (taz) - Die Industrie- und Handelskammer (IHK) als Schaltzentrale der ökonomischen Potenz der Mainmetropole Frankfurt hob vor den hessischen Kommunalwahlen im März '89 warnend den Zeigefinger: Falls Sozialdemokraten und Grüne aus diesen Wahlen als Sieger hervorgehen sollten, prophezeite die IHK ihren Mitgliedern den „wirtschaftlichen Niedergang“ der Stadt. Die Programme beider Parteien insbesondere in den Bereichen Bau- und Verkehrspolitik würden nämlich der angestrebten ökonomischen Vorwärtsentwicklung Frankfurts zur „europäischen Wirtschaftsmetropole“ diametral entgegenstehen.

Als am Abend des 12. März SPD und Grüne tatsächlich als Sieger aus den Kommunalwahlen hervorgingen, fielen die Kurse an der Frankfurter Börse zwar nicht in den Keller, doch in einigen Vorstandsetagen den Herrschaften die Klappen herunter: Etwa bei der Frankfurter Flughafen AG (FAG), die noch kurz vor den Kommunalwahlen unter der Schirmherrschaft des CDU-Magistrats einen „internen“ (geheimen) Architektenwettbewerb für das geplante, gigantische Bürozentrum Ost ausgeschrieben hatte - im Vertrauen auf den Wahlsieg von Oberbürgermeister Wolfram Brück (CDU), der im übrigen als Anteilseigner der FAG im Aufsichtsrat der Gesellschaft saß. Daß der von der FAG für das Bürozentrum favorisierte Entwurf, für den sich eine Jury aus Experten und Mitgliedern des alten CDU-Magistrats ausgesprochen hatte, nicht den Beifall der neuen Machthaber im Römer finden würde, war für die FAG-Vorständler keine Überraschung. Tausende von Parkplätzen konterkarierten die von SPD und Grünen vor der Wahl geäußerte Absicht, den Zubringerverkehr von der Straße auf die Schiene zu verlagern. In einer rasch einberufenen Pressekonferenz stellte die FAG Ende Juni ihren Entwurf dann der Öffentlichkeit vor. Aus der Zeitung erfuhr der neue Planungsdezernent der Stadt Frankfurt, der Sozialdemokrat Martin Wentz, daß in seinem Hoheitsbereich eine wichtige baupolitische Entscheidung über die zukünftige Gestaltung des Rhein-Main-Flughafens ohne Anhörung des zuständigen neuen Dezernenten gefallen war. Der erste Konflikt der neuen SPD/Grünen-Stadtregierung mit einer der größten Aktiengesellschaften der Region war da.

Drei Tage später durfte sich Wentz dann bei der FAG das Modell des Bürozentrums Ost ansehen. Der Sozialdemokrat war von dem Entwurf ebensowenig begeistert wie der Fraktionsvorsitzende der Grünen im Römer, Lutz Sikorski. Der erklärte den Architektenentwurf für „unvereinbar“ mit den verkehrspolitischen Zielen der Koalition und forderte eine neue „offene“ Ausschreibung für das Projekt - unter Berücksichtigung der neuen verkehrspolitischen Zielvorgaben.

Als Anteilseigner hat die rot-grüne Stadtregierung in Frankfurt einen Fuß in der FAG-Tür. Doch die beiden anderen Teilhaber der FAG sind das CDU/FDP-regierte Bundesland Hessen und die CDU/CSU/FDP-regierte Bundesrepublik Deutschland. Noch ist bei der FAG die Entscheidung darüber nicht gefallen, ob man aus ökonomischen Erwägungen den Ausgleich mit der Stadt Frankfurt suchen oder aus politischen Erwägungen in Frontstellung zum rot-grünen Magistrat gehen soll. Einen von der FAG provozierten Dauerkrach mit der Stadt könnte der neue Magistrat immerhin mit der Blockierung oder Verschleppung von Genehmigungsverfahren für die diversen Bauvorhaben der Gesellschaft kontern. Das könnte die ökonomischen Interessen der FAG dann empfindlich tangieren. Die politischen Interessen von Land und Bund liegen dagegen klar auf der Hand: Frankfurt als rot-grüne Bastion im schwarz-gelben Hessenland muß fallen, damit Walter Wallmann (CDU) über die Landtagswahlen 1991 hinaus Ministerpräsident des Hessenlandes bleiben kann.

Nach Auffassung von SPD und Grünen in der Stadt ist der Konflikt mit der FAG allerdings gerade wegen der vordergründigen politischen Interessen der Anteilseigner ein untauglicher „Beweis“ für die von den Konservativen prognostizierten Schwierigkeiten der neuen Koalition mit der Wirtschaft. Der neue Umweltdezernent Tom Koenigs glaubt, daß es für die politische Stimmungslage in Hessen viel entscheidender ist, wie die „freie Wirtschaft“ auf die neue Stadtregierung reagiert - und umgekehrt. Koenigs sucht den Dialog mit der Wirtschaft. Und die Skeptiker von der IHK konnte der Dezernent in einem ersten Gespräch bereits davon überzeugen, daß die in den Koalitionsvereinbarungen festgelegten Umweltverträglichkeitsprüfungen für Projekte aller Art nicht zu einer Verzögerung der Genehmigungsverfahren führen würden. Es werde unter seiner Regie zwar „schärfer“, aber nicht länger geprüft. Aus IHK -Kreisen verlautete dazu, daß man zunächst eine „abwartende Haltung“ einnehmen und die weitere politische Entwicklung in Frankfurt „akribisch beobachten“ wolle. Und auch mit der Hoechst AG will Koenigs demnächst nicht nur über die Sanierung der real existierenden Altlasten des Konzerns sprechen. Auch die politischen Altlasten“ zwischen den Grünen und dem Chemiegiganten, der immerhin der größte hessische Arbeitgeber ist, sollen aufgearbeitet werden. Die fundamentalistisch orientierten Römer-Grünen der vergangenen Legislaturperioden hatten die Hoechst AG - nicht ganz zu Unrecht - zum „Gegner Nr.1“ erkoren.

Doch auch die „freie“ Wirtschaft läßt den Koalitionären kaum Zeit zum Atemholen. Noch vor Ablauf der 100-Tage -Schonfrist brachen Investoren, die am Rande des Westends zwei neue Bürotürme bauen wollen, einen Millionen-Konflikt mit der Stadt vom Zaun. Das „Hochhaus-Ei“ hatte die schwarze Vorgängerregierung den Roten und Grünen ins Nest gelegt: Ganze zwei Tage vor den Kommunalwahlen erteilte der CDU -Magistrat die erste Teilbaugenehmigung für die neuen Hochhäuser von Deutscher Genossenschaftsbank und Bank für Gemeinwirtschaft. Gegen beide Projekte hatten sich sowohl Sozialdemokraten als auch Grüne vor der Wahl ausgesprochen. Die Nichtweiterverfolgung beider Bauvorhaben wurde Gegenstand der Koalitionsvereinbarungen zwischen SPD und Grünen.

Jetzt wollen die Banken und andere Finanziers, die auf der Grundlage der ersten Teilbaugenehmigungen durch die CDU bereits Baugruben ausgehoben und andere Vorleistungen erbracht haben, diese Investitionen bei der Stadt einklagen, falls die neue Stadtregierung bei ihrer ablehnenden Haltung bleibt. Immerhin geht es um eine dreistellige Millionensumme. Das Gespräch mit dem rot-grünen Magistrat haben die Bauherren bislang nicht gesucht. In einem „offenen Brief“ forderten sie vor Wochenfrist ultimativ die 2. Teilbaugenehmigung, respektive Schadenersatz bei Verweigerung. Auch in diesem Konflikt steht eine Entscheidung noch aus: Oberbürgermeister Volker Hauff ist in Urlaub und Rechtsdezernent Andreas von Schoeler auf Dienstreise in Japan.

In anderen Bereichen, die von SPD und Grünen als „Herzstücke“ der neuen Politik bezeichnet wurden, zeichnen sich weitere Auseinandersetzungen mit den mächtigen Wirtschaftsverbänden der Stadt ab. Die rot-grüne Vision von der autofreien Innenstadt hat bei den Einzelhändlern auf der „teuersten Meile der Republik“ (die Zeil) bereits für Unruhe gesorgt. Und die Grüngürtelpläne der Koalitionäre beißen sich mit dem von der Landesregierung forcierten Stadtautobahnbau. Die Zeit drängt, doch der rot-grüne Magistrat kommt nur langsam in die Gänge. Das von Koenigs gewollte „Umweltamt“, in dem kompetente Ökologen aus diversen Ämtern des Dezernats zusammengefaßt werden sollen, ist eine „mittelfristige Angelegenheit“ (Koenigs). Und der ehrenamtliche Dezernent für Multikulturelles, Dany Cohn -Bendit, der im sozialen Bereich eine Schlüsselstellung verwalten soll, verfügt noch nicht einmal über MitarbeiterInnen oder eine akzeptable Büroeinrichtung. Unter dem Stichwort „Campanile“ (siehe Kasten) hat sich auch bei den Koalitionären Zündstoff angesammelt. Hier ist bei der SPD und bei den Grünen Fingerspitzengefühl angesagt: Sollten sich beide Parteien an der „Campanile„-Frage zerreiben, werden sie dem Druck von außen auf die Koalition kaum standhalten. Ein Bruch der rot-grünen Koalition in Frankfurt jedenfalls wäre ein politisches Desaster im Hinblick auf die hessischen Landtagswahlen und auf die Bundestagswahlen.

Klaus-Peter Klingelschmitt