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Chantal Daigles Bauch gehört ihr

Oberste Richter Kanadas billigten Abtreibung gegen den Willen des Exfreundes / Betroffene Chantal Daigle trieb kurz vor Urteilsverkündung ab / Feministinnen sprechen von Erfolg / Bundeseinheitliches Gesetz fehlt  ■  Aus Washington Silvia Sanides

Als am Dienstag abend Kanadas neun oberste BundesrichterInnen einstimmig entschieden, daß die im sechsten Monat schwangere Chantal Daigle gegen den Willen ihres Exfreundes abtreiben darf - da war ihnen die Frau bereits zuvorgekommen. Chantal Daigle, so ihr Anwalt zu den verdutzten Obersten RichterInnen, habe entgegen der einstweiligen Verfügung des Obersten Gerichts der Provinz Quebec schon abgetrieben. Dafür mußte die Frau in die USA reisen, wo Abtreibungen noch bis zur 25. Woche vorgenommen werden können. Die RichterInnen, die ihre Sommerpause für die eintägige Anhörung unterbrochen hatten, setzten trotz dieser überraschenden Botschaft ihre Beratungen fort. Ihre nicht näher begründete Entscheidung bezieht sich allerdings lediglich auf den Fall Daigle. Das Gericht äußerte sich nicht zu Fragen, die richtungsweisend für die Abtreibungsdebatte in Kanada hätten sein können, die ähnlich wie in den USA - seit einiger Zeit heftig geführt wird. Dort schränkte Anfang Juli das Oberste Gericht die Abtreibungsfreiheit ein. Vor dem Gerichtsgebäude in Ottawa hatten sich GegnerInnen und BefürworterInnen von Abtreibungen versammelt. Jean Guy Tremlay, der seine 21jährige Exfreundin mit einer einstweilige Verfügung an einer Schwangerschaftsunterbrechung hatte hindern wollen, sagte: „Sie hat mein Kind Fortsetzung Seite 2

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ermordet.“ Daigle hatte ihren Freund, der im Namen seiner Rechte und denen des Fötus zivilrechtlich gegen sie vorgegangen war, wegen Mißhandlungen verlassen. Während AbtreibungsgegnerInnen mit Geschenken für das ungeborene Baby aufwarteten, zeigten sich BefürworterInnen von Abtreibungen erleichtert über die höchstinstanzliche Entscheidung. Carolyn Egan von der kanadischen „National Abortion Rights Action League“ (Liga für Abtreibungsrechte) erklärte:

„Dies ist ein eindeutiger Sieg für uns. Doch müssen wir in Zukunft dafür sorgen, daß es solche Fälle nicht mehr geben wird.“ Egan und ihre MitstreiterInnen setzen sich für eine bundesweite Gesetzgebung ein, die Frauen eine freie Entscheidung über Abtreibungen möglich macht.

Kanada ist seit Anfang 1988, als das Oberste Gericht die damals gültige Abtreibungsregelung als zu restriktiv und deshalb verfassungswidrig erklärte, ohne bundesweite Abtreibungsgesetzgebung. Dies ermöglichte es den einzelnen Provinzen, ihre eigenen - zum Teil noch härteren - Gesetze zu verabschieden, die Fälle wie den der Chantal Daigle

nach sich zogen. In letzter Zeit versuchten bereits drei Männer, ihre Freundinnen gerichtlich an Abtreibungen zu hindern. Kanadische Frauenrechtlerinnen fürchten deshalb, daß sie noch einige Gefechte in Gerichtssälen austragen müssen, bevor sie die Regierung dazu bewegen können, die kontroverse Frage anzugehen. „Trotzdem“, so Egan, „freuen wir uns über den Erfolg, und wir stehen hundertprozentig hinter Chantal Daigle“.

Die Frau hat sich mit ihrer Abtreibung nun durch den Verstoß gegen die einstweilige Verfügung strafbar gemacht. Ihr Exfreund hat jedoch durch seinen Anwalt verlauten las

sen, sie nicht noch einmal vor Gericht zu bringen. Ihr würde eine bis zu zweijährige Gefängnis- oder aber eine Geldstrafe drohen.

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