Kreislaufkollaps in Behörde

■ Ein Wilmersdorfer Rollstuhlfahrer regte sich gestern so sehr über sture Beamte auf, daß er per Hubschrauber in ein Krankenhaus gebracht werden mußte

Hilf dir doch selbst! - So oder ähnlich müssen die Beschäftigten der Abteilung Sozialwesen im Bezirksamt Wilmersdorf gedacht haben, als es um die Bewilligung eines Zimmerrollstuhls für den an Multiple Sklerose erkrankten Alfred Kosel ging.

Kosel, der sich von Berufs wegen als „Geist-Heiler“ bezeichnet, hatte sich vor dem Ausbruch seiner Krankheit im Juli vergangenen Jahres vor allem mit Parapsychologie beschäftigt und Interessenten „esoterisch beraten“.

Durch seine Krankheit bewegungsunfähig geworden, wandte er sich im März an das Bezirksamt, um den Zimmerrollstuhl zu beantragen. Die Behörde schickte daraufhin zwei Ärzte nacheinander bei dem Behinderten vorbei. Einhellige Diagnose der beiden Mediziner: Der Zimmerrollstuhl ist notwendig. Das war für die Sachbearbeiter im Bezirksamt jedoch noch immer kein Grund, den Stuhl zu bewilligen. Schließlich, so die Begründung des Bezirksamtes, habe Kosel ja Anspruch auf eine behindertengerechte Wohnung. Erst im Falle eines Umzugs könne dann auch der für die Wohnung passende Rollstuhl bewilligt werden.

Leichter gesagt als getan - die Wartelisten für behindertengerechte Wohnungen sind lang. Kosel konnte auf die schnelle keine geeignete Bleibe finden. In letzter Verzweiflung wandte er sich schließlich an den Wilmersdorfer Stadtrat Siele, Leiter der Abteilung Sozialwesen. Dieser versprach dem Behinderten sofortige Hilfe, fuhr jedoch Mitte Juli in die Ferien. Zeit genug für die Sachbearbeiter im Bezirksamt wiederum, auf stur zu schalten, und den Zimmerrollstuhl für Kosel in weite Ferne rücken zu lassen.

Alfred Kosel griff daraufhin zum letzten Mittel: Er drohte der Behörde, die Angelegenheit vor den Kadi zu bringen und die Staatsanwaltschaft einzuschalten. Das zeigte Wirkung. Stadtrats Sieles Stellvertreter Michael Wraßmann sagte sofort alle erdenkliche Hilfe zu. Dennoch verlangte Kosel, um auf Nummer sicher zu gehen, gestern morgen nochmals im Amt angehört zu werden. Hinter verschlossenen Türen wurde der Fall zur Sprache gebracht. Tragik der Ereignisse: Alfred Kosel regte sich so sehr über die Sturköpfigkeit der Behörde auf, daß er daraufhin im Amtszimmer wegen eines Schwächeanfalls zusammen.

Per Hubschrauber brachten ihn die herbeigerufenen Sanitäter in das nahegelegene Gertrauden-Krankenhaus. Von dort aus durfte der ehemalige Geistheiler gestern mittag wieder nach Hause in seine Wohnung zurückkehren - wohl in der Hoffnung, daß ihm dort auch ohne parapsychologische Einwirkung demnächst der ersehnte Zimmerrollstuhl Gesellschaft leisten wird.

cb