„Dort herrscht kein Stalinismus“

■ AL-Delegiertenrat diskutiert umstrittene Nordkorea-Reise eines AL-Funktionärs / Parteivorstand fühlt sich hintergangen

Der Delegiertenrat der Alternativen Liste hat am Mittwoch abend in einer mehr als einstündigen, kontroversen Debatte über die umstrittene Nordkorea-Reise des AL-Funktionärs Ismail Kosan diskutiert (taz berichtete mehrfach). Für den Parteivorstand, dem sogenannten Geschäftsführenden Ausschuß (GA), übte Peter Lohauß Kritik am Ablauf der Reise. Es sei „ausgesprochen mißlich“, wenn in Nordkorea der Eindruck entstanden sei, Kosan sei als Vertreter der AL anwesend gewesen. Lohauß wies auf mehrere problematische Punkte hin. So sei der GA im Vorfeld der Reise - nachdem eine koreanische Organisation um die Entsendung eines AL -Vertreters gebeten hatte - immer von einer Teilnahme an einem Friedensmarsch in Südkorea ausgegangen. Dies ist auch schriftlich festgehalten. Nachdem eine finanzielle Unterstützung der Reise abgelehnt wurde, habe der GA angenommen, daß kein AL-Vertreter fährt, sagte Lohauß. Hätte der GA gewußt, daß es um eine Reise nach Nordkorea gehe, „hätten wir darüber sicher lange und kontrovers diskutiert“, fügte Lohauß hinzu. Der Parteivorstand habe als Konsequenz aus „der mißlichen Angelegenheit, die ihre Eigendynamik bekommen hat“, die Konsequenz gezogen, daß Reisen in „sensible Länder vorher politisch diskutiert werden“.

Entgegen früherer Aussagen gegenüber der taz erklärte Kosan den AL-Mitgliedern, daß er sich vom nordkoreanischen Propagandaapparat „nicht mißbraucht gefühlt“ habe. In Nordkorea herrsche auch kein Stalinismus, betonte er und präzisierte: „Ob dort Stalinismus herrscht oder nicht, ist mir egal - ich bin zu einem Friedensmarsch gefahren.“ Der Friedensmarsch war nach Darstellung von Teilnehmern eine vom diktatorischen Regime organisierte Propagandaveranstaltung, mit der die Kim-Il-Sung-Clique ihre internationale Anerkennung demonstrieren wollte. Die Teilnehmer wurden auf Regierungskosten luxuriös bewirtet und transportiert. Kosan selbst hatte im Gespräch mit der taz von vielfältigen Versuchen der propagandistischen Vereinnahmung gesprochen. Er sei vor dem Einzug in das Stadion der nordkoreanischen Hauptstadt in Form eines Triumphmarsches von jungen Männern „mit Gewalt“ und „trotz unseres Widerstands hochgehoben worden“. Bilder zeigen Kosan allerdings lächelnd und blumenschwenkend auf den Schultern von Nordkoreanern. Im Stadion hatte er vor über 100.000 Menschen „herzliche Grüße der AL“ überbracht.

Ein Marsch in Südkorea sei nicht zustandegekommen, deshalb hätten die Organisatoren dies nach Nordkorea verlegt, erklärte Kosan. Bei den AL-Delegierten löste diese lapidare Begründung für den Zielwechsel Widerspruch aus. Ein anderes Mitglied des AL-Ausländerbereichs erklärte dazu, für ihn sei Nordkorea keine Diktatur. Parteisprecher Stephan Noe nannte die Ergebnisse der Reise „dilettantisch“ und „peinlich“. Es sei auch nicht verständlich, nach Nordkorea zu fahren, wenn sich die eigentlich geplante Reise nach Südkorea nicht realisieren lasse. Die Debatte endete ohne Ergebnis.

gn