Die bittere Freiheit der Städte

■ Landflucht in Kenia: Die großen Hoffnungen der Frauen werden rasch enttäuscht / Ein Job als Hausangestellte ist schon ein großes Glück / Die Sehnsucht nach dem Land bleibt, doch der Slum in Nairobi ist nicht Transit-, sondern Endstation

Christa Wichterich

Meine Eltern haben nicht soviel Land. Mein Vater hat nur den Söhnen Land gegeben, nicht den Töchtern. Mein Vater hat drei Frauen, und alle Kinder zusammen sind wir 24. Von meiner Mutter sind wir neun. Ich bin nur anderthalb Jahre auf die höhere Schule gegangen, dann war kein Geld für die Schulgebühren mehr da und ich kam nach Nairobi.“

Gladys, Hausangestellte, genießt es, mich mit dem Frauen und Kinderreichtum ihrer Familie zu beeindrucken.

Margret dagegen schaut unverwandt auf den Boden, als sie mir ihre Geschichte erzählt. Sonst immer munter und kokett, spricht sie leise und stockend.

„Ich habe mich in der Schule mit einer Freundin geprügelt. Ich entschloß mich wegzulaufen. Als ich nach Hause kam, sagte ich Vater, daß ich nicht zurückgehen würde. Vater sagte, dann bring ich dich zur Polizei, denn ich will, daß du was lernst. Ich weigerte mich, Vater mußte mich für sechs Monate ins Gefängnis bringen.

Als ich raus kam, ging ich nicht mehr in die Schule zurück, sondern kam hierher. Ich blieb für ziemlich lange Zeit bei meiner Schwester, ohne einen Job zu kriegen. Es gab einfach nichts. Mein Leben war sehr mies. Ich trank, ich ging mit Männern, um mich durchzubringen. Die Männer bezahlten mich, aber manchmal betrogen sie mich, ich habe wirklich gelitten, manchmal wirst du verprügelt, manchmal kriegst du zwei Mark. So ist es.“ Die Lichtjahre, die zwischen der wohlbehüteten Internatsschülerin unweit des Viktoria-Sees und der geschundenen Prostituierten in Kibera, einem der größten Slums in Nairobi liegen, kondensieren zu Minuten. Margret schüttelt ihren Kopf, als könne sie es selbst nicht glauben.

Auch Benetta schluckt an ihren Tränen, als sie ihr Leben erzählend vor sich ausbreitet. „Nach dem Tod meines Mannes ging ich zu meinen Eltern zurück. Der Bruder meines Mannes wollte mich zu seiner Frau machen, das ist bei uns so üblich. Er hatte aber schon zwei Frauen, und jede Frau hatte Kinder. Ich dachte mir, das wird zu schwierig mit meinen drei Kindern und ging zu meinen Eltern. Dann starb mein Vater und wenig später meine Mutter, und ich wußte nicht wohin, denn bei uns ist es nicht üblich, daß Töchter auf dem Land des Vaters bleiben. Ich dachte, es ist besser, nach Nairobi zu gehen und Arbeit zu suchen, damit ich meine Kinder ernähren kann.“

Die meisten Frauen zieht die Hoffnung auf ein Einkommen in die Stadt, ein Einkommen, von dem sie ihre Kinder durch- und das Schulgeld aufbringen können. Das Land bietet ihnen wenig Möglichkeiten: Der Boden ist in Händen der Männer; traditionell erben Frauen nicht, weder vom Vater noch vom verstorbenen Ehemann. Mit Saisonarbeit auf den Plantagen oder den Feldern reicherer Bauern verdient frau zwei DM am Tag. Mit den Brüdern gibt's Dauerstunk, denn sie erwarten, daß die Schwester wegheiratet. Tut sie das nicht, sondern wird wie so oft bereits als Schülerin Mutter, kommt sie nach einer gescheiterten Ehe oder als Witwe nach Hause zurück, dann werden ihre Kinder zwar aufgenommen, aber sie soll gefälligst Geld verdienen. Jobs bei den Reichen

So sind in den letzten 15 Jahren viele junge Frauen mit wenig Gepäck und viel Hoffnung in den Bus nach Nairobi gestiegen. Vorher war die Migration in die Stadt überwiegend Männersache, und in den kenianischen Städten herrschte Männerüberschuß.

Die Hälfte der 1,5 Millionen Bewohner Nairobis leben in Slums, und die meisten der Neuankömmlinge landen dort. Erste Anlaufstelle im Dickicht der Stadt ist immer jemand aus der Verwandtschaft, eine Schwester, ein Onkel, eine Tante. Mit deren Hilfe suchen die Frauen Arbeit und Bleibe. Viele haben Schule und Ausbildung nicht abgeschlossen. Ihre Chancen, einen festen Job zu bekommen, sind trotz der Listen und Künste verwandtschaftlicher Vermittlung minimal. Wenn sie Glück haben, finden sie eine Beschäftigung als Hausangestellte, Kindermädchen oder Putzfrau. Glück - weil eine solche Stelle ein mieses, aber regelmäßiges Einkommen abwirft: 50 bis 80 Mark (500 bis 800 Shilling) bei Kenianern, Indern oder Somalis, 100 bis 150 bei Weißen. Meist kommt dazu noch freie Unterkunft, denn bei den Häusern der Reichen, die sich mit meterhohen Hecken, Hunden, Alarmanlagen und Nachtwächtern vor den Blicken und Zugriffen der Habenichtse schützen müssen, wie auch bei mittelständischen Wohnungen gibt es „servants quarters“ meist fensterlose Zimmer für die Dienerschaft. Wegen geregelter Arbeitszeiten und besserer Bezahlung sind die Stellen bei den Weißen die begehrtesten, auch wenn die gelangweilte Expertenehefrauen mit ihren Schmutzexorzismen, Ordnungskulten, unstillbaren kulinarischen Ansprüchen und der ewigen Angst, daß ein Mixer durchbrennen, ein Staubsauger verstopfen oder gar die Waschmaschine ihren Geist aufgeben könnte, den Hausangestellten das Leben schwer machen. Meist ist der Hundefraß in diesen Haushalten besser als das, was die Hausangestellten sich leisten können. Dafür fällt immer mal ein verwaschenes T-Shirt und ein abgeschabter Rock von „Madam“ ab.

Den größten Batzen ihres Lohns investieren die Hausangestellten in die Ausbildung ihrer Kinder. Die Grundschule kostet nur ein paar Hundert Shilling plus Schuluniform, Bücher und Hefte, die Sekundarschule aber um die 6.000 Shilling im Jahr - den Jahresverdienst einer Hausangestellten der unteren Einkommensgruppe. Trotzdem betteln die Frauen um Vorschüsse, pumpen die Verwandtschaft an, sammeln in der Nachbarschaft, nähen abends nach der Hausarbeit, legen sich krumm, damit ihre Kinder weiter zur Schule können. „Wenn er nach der Grundschule abgeht, kriegt er keinen Job. Dann wird er schlecht wie die Jungen, die klauen oder Schaffner im Sammeltaxi werden. Ich habe in meinem Herzen beschlossen, er soll eine vernünftige Arbeit machen“, sagt Lucy.

Ihr Glaube an die Bildung ist unerschüttert und die Hoffnung, daß ihre Kinder ihr Stolz und ihre Altersversorgung sein werden, hält sie aufrecht. Dabei bevorzugen die Frauen keineswegs die Söhne, denn sie wissen, daß auf die Töchter letztlich mehr Verlaß ist. Vielfreundinnenwirtschaft

Und die Väter der Kinder? Die lassen sich nicht mehr blicken oder tauchen nur besuchsweise auf. „Unsere Männer tragen nicht so gern die Verantwortung“, meint Lucy und weiß nicht, ob sie lachen oder heulen soll. „Es ist besser, getrennt zu leben, denn der Mann kümmert sich doch nicht um die Kinder und die Mutter, auch wenn er bei ihnen wohnt. Heutzutage ist das Leben zu schwer geworden für uns Frauen. Wenn du deinen Lohn bekommst, taucht er auf, verlangt Geld, verschwindet wieder und kommt erst wieder, wenn er alles aufgebraucht hat.“

Abgeklärt wie Gladys reden viele Frauen. Doch dann haben sie einen neuen Freund, tauchen wieder ein in ihre Glückssuche und ihre Sehnsucht nach Unterstütung und einer stabilen Beziehung, bekommen ein weiteres Kind... Das Prinzip Hoffnung stirbt nicht so schnell. Trotzdem wird der Blick für die Realitäten immer schärfer. Gladys hatte die Entscheidung: „Mein Freund bot mir an, bei ihm zu wohnen. Erst da erfuhr ich, daß er schon eine Frau und vier Kinder hatte. Ich sah das Haus, nur zwei Zimmer und sagte zu mir: „Warum soll ich meinen Job aufgeben, nur um bei ihm zu leben als seine zweite Frau? Nein, besser bleibe ich allein mit meinen Kindern. Seitdem hab‘ ich ihn nie mehr gesehen.“

Die Stadt hat Frauen wie Männer freigesetzt von den rigiden Kontrollen und Normen des Clans und des Stammes. Die Ehe hat in der Stadt nicht mehr die Funktion, die sie in der bäuerlichen und nomadischen Wirtschaft hatte. Mehrere Ehefrauen in der Stadt - das kann sich nicht nur wegen der hohen Brautpreise kaum noch jemand leisten. Da ist es billiger, sich mehrere Freundinnen zu halten. Die Vielfreundinnenwirtschaft ist zur gängingen Praxis geworden. Die Männer in den unteren sozialen Schichten der Stadt stehlen sich immer mehr aus der Verantwortung.

Die Frauen haben an Freiheit gewonnen, aber dafür meist einen hohen Preis bezahlt: Sie sind zum Freiwild geworden. Sie fallen in ein soziales Vakuum: Alte Sicherheiten sind verloren und neue nicht so schnell nachgewachsen. Doch immer häufiger entwickeln sie ihre eigene Form des Widerstands gegen die Verantwortungslosigkeit der Männer, gegen die viel beklagte männliche Gewalt, gegen die vielgesichtige Verletzung ihrer Würde. Ihr Widerstand ist leise, aber wirksam: Sie spielen einfach nicht mehr mit, und planen ihr Leben ohne feste Beziehung - wie Gladys. Die alleinerziehende Mutter mit ihren Kindern - das ist neuerdings die in den unteren Schichten typische Familienform. Kenia auf dem Weg zur vaterlosen Gesellschaft?

Die Stadt betrachten all diese Frauen als Transit, nicht als Endstation. Ihr Zuhause ist das Stück Land, von dem sie kommen, das die Mutter meist noch bearbeitet und wo sie am liebsten beerdigt werden möchten. Heimat haben sie in der Stadt nicht gefunden. „Der beste Platz zum Leben ist auf dem Land“, sagt Gladys wie viele andere. „Ich hasse die Stadt. Wenn Gott mir hilft, komme ich nur noch zum Einkaufen in die Stadt.“ Sie träumen alle einen Traum: Eine Shamba, ein eigenes Stück Land wollen sie kaufen. Wer etwas sparen kann, spart für eine Shamba. Die steht für ein Überleben aus eigener Kraft, Sicherheit, wirtschaftliche Selbständigkeit. Endstation Slum

Für die Frauen, die im Slum hängenbleiben - und das ist die Mehrzehl derer, die neu in die Stadt kommen - rückt die Transitidee schnell in endlos weite Ferne. Sie lernen bald, daß sich in den überaus zahlreichen Bars nicht nur Geld ausgeben, sondern auch verdienen läßt. Wo von morgens bis morgens ein Transistorradio plärrt und es ekelhaft nach Changaa, dem billigen Fusel, riecht, da können Frauen zwar die schnellsten Shillinge machen, doch nie genug, um einmal den ersehnten Ausstieg aus dem Slum zu schaffen.

Die Stadtluft, die angeblich frei macht, stinkt hier zum Himmel. In den Tälern und Senken Nairobis, wo sich die Hütten dicht an dicht drängen, wo sich Regenwasser und Müll sammeln, da schmeckt die Freiheit der Stadt bitter. In jedem Haus, einem Patchwork aus Wellblech, Plastikplanen und Karton um ein Holzskelett, leben ein oder zwei Erwachsene mit fünf, acht oder auch zehn Kindern. In der Regenzeit verwandelt sich das Ganze in einen Morast mit Sturzbächen, in denen auch schon einmal ein Kleinkind den Hang hinunter bis in den Mathare-Fluß gerissen wird.

30 bis 40 Mark Miete zahlen hier die Frauen im Monat und noch einmal sechs Mark für Wasser. Die Stadtverwaltung betrachtet die Slums als illegale Siedlungen und ihre Bewohner als Landbesetzer. Folglich erklärt sie sich als nicht zuständig für Wasser- und Stromanschlüsse, Gesundheitsversorgung und jegliche Infrastruktur. Wie überall ist jedoch auch in Nairobi Grund und Boden knapp und teuer geworden. Slumgebiete werden zu Bauland erklärt und sind im Handumdrehen Spekulationsobjekte. Manchmal fackelt die Stadtverwaltung nicht lange und läßt die Hütten abreißen. Oder sie geraten aus „ungeklärten Gründen“ in Brand. Die Suche nach einer neuen Heimat beginnt von vorn.

Die Lingala-Musik, die aus vielen Ecken dudelt, die rotznäsigen Gören, die die bekanntesten Songs mitgröhlen oder im Gänsemarsch ihre Erkundungsgänge entlang der offenen Abwasserrinnen machen, herzige, ausgedehnte Begrüßungsrituale und scheinbar unbeschwertes Miteinanderlachen geben diesem Elend ein versöhnliches Gesicht. Doch die jungen Männer, die schon am Morgen an den Hütten langtorkeln, und Frauen mit einem blaugeschlagenen Auge, gebrochenen Arm oder einem zutiefst depressiven Blick zeugen von der Gewalt der Verhältnisse und der Männer. Die Zahl der verwahrlosten Kinder und der psychisch gestörten Erwachsenen läßt hier keinen Raum für den Mythos von „arm, aber glücklich“.

Das Schulgeld ist für viele Frauen unerschwinglich. Schon die Uniformpflicht ist häufig der Grund, daß Kinder nach zwei oder drei Jahren nicht mehr zur Schule geschickt werden. Es kostet die Frauen all ihre Energie und 16 Stunden Arbeit pro Tag, um gerade genug für eine Mahlzeit am Abend, Seife und zweimal Altkleider im Jahr zu verdienen. Die Kinder bleiben unbeaufsichtigt, während die Mutter arbeitet, und Kleinkinder werden im Haus eingesperrt, weil dies als die sicherste Lösung erscheint. Es passiert immer wieder, daß Kinder in den Hütten verbrennen, wenn ein Feuer ausbricht. Drehtür-Leben

Die Prostitution ist ebenso illegal wie das Bier- und Schnapsbrauen, das viele Frauen ernährt. 75 Prozent aller Frauen in Mathare Valley, dem mit 300.000 Einwohnern größten Slum Nairobis, verdienen auf diese Weise ihren Lebensunterhalt. Polizisten bietet dies eine weidlich genutzte Möglichkeit, die Frauen durch Patrouillengänge und Ausweiskontrollen zu tyrannisieren und entweder abzukassieren, um ihre eigenen Taschen zu füllen, oder sie einzubuchten. 100 bis 150 Shilling Geldstrafe werden dann fällig, bei Zahlungsunfähigkeit Gefängnis zwischen zwei Wochen und sechs Monaten. Kinder bis zum Alter von vier können die Frauen mit in den Knast nehmen, die älteren bleiben sich selbst überlassen oder der Nachbarin. Sie sind gezungen, sich etwas zu verdienen, werden Schuhputzer, Parkingboys, Taschendiebe oder betteln. Die Mädchen steigen sehr früh in die Prostitution ein. Eine Kette ohne Ende.

Spuckt das Gefängnis die Frauen wieder aus, machen sie genau da weiter, wo sie aufgehört haben. Der Zyklus beginnt von vorne: Arbeit außerhalb der Legalität, Kriminalisierung, Haft - eine Drehtür, aus der die wenigsten je wieder herauskommen.

Je länger die Frauen im Slum das Drehtür-Leben leben, desto blasser wird der Traum von der Rückkehr aufs Land. Ihre Familien akzeptieren ihre „unmoralische“ Existenz in der Stadt nicht und behandeln sie und ihre Kinder als Asoziale, als Abtrünnige. Der Familienzusammenhalt erodiert, der Kontakt der Frauen aufs Land dünnt immer weiter aus. Liebesentzug oder gar Verachtung durch die Familie schlagen tiefe Kerben in das Selbswertgefühl der Frauen: Sie schämen sich und leiden daran, ihr altes Zuhause verloren zu haben.

Viele der Prostituierten werden in dem Alter, wo sich ihr Körper nicht mehr so leicht verkaufen läßt, Straßenhändlerin, z.B. Gemüsemama. Sie kaufen morgens auf dem Großmarkt Gemüse, verteilen es in mehrere Sisalkörbe, legen sich deren Lederriemen um die Stirn und schleppen die kiloschwere Last vor die Türen mittelständischer Hausfrauen. Am Nachmittag sitzen sie an einer Straßenecke, entkernen Bohnen und Erbsen und stöhnen bei jeder Bewegung, so schmerzen ihre Knochen. Auf dem Weg zurück nach Mathare Valley kaufen sie von den paar Mark Tagesgewinn Maismehl und Milch fürs Abendessen. Ein Leben von der Hand in den Mund. „Wenn du einmal krank wirst, ist es aus. Dein Körper ist dann kaputt“, sagen sie.

Auch dieser ambulante Handel ist illegal, denn die erforderlichen 150 DM plus 50 DM Schmiergeld für eine Lizenz haben die Frauen niemals übrig. Also gehen sie Schleichwege, um nicht den Kontrolleuren von der Stadtverwaltung in die Arme zu laufen oder sie verständigen sich gegenseitig, wo die Luft rein ist. Ersatzfamilien

Oft spezialisieren sich die Kleinhändlerinnen nicht einmal: Heute verkaufen sie Gemüse; machen sie dabei gute Geschäfte, erstehen sie morgen einen Ballen Altkleider und verhökern den an den Haustüren; am nächsten Tag kaufen sie von dem Verdienst einen Sack Holzkohle. Dann schnappt ein Polizist sie, kassiert ihren Gewinn als Schmier- oder Bußgeld ab und sie darf wider bei Null anfangen. Ein Kreislauf, in dem Dauerüberlasutung und häuslicher Dauerstreß all ihre Kräfte fressen.

Nicht wenige der Frauen fliehen auf der Suche nach einer neuen Heimat und Ersatzfamilie auch zu einer Sekte, die ihnen statt des vergänglichen Glücks auf Erden ewiges im Jenseits verspricht. Die Heilspropheten der Sekten reden ihnen ein, sie seien „gerettet“, so als könnten ihnen Arbeit und Armut nichts mehr anhaben. Die Frauen, deren Glaube an alles Irdische so gnadenlos zertrümmert wurde, klammern sich an jenen trügerischen Rettungsring, der für sie angeblich aus himmlischen Höhen herabgelassen wird, und sind sogar bereit, an die Sekte jeden Shilling, den sie übrig haben, abzuführen.

„Jede Minute des Tages ist ein Kampf“, sagen die Frauen. Weil individuell das Management des Alltags kaum zu schaffen ist, gehört es zur Überlebensrationalität der Frauen, sich in Gruppen zusammenzuschließen, zum Beispiel die Gemüsemamas. Sie kaufen gemeinsam auf dem Großmarkt ein, teilen Obst und Gemüse unter sich auf und am Nachmittag den Verdienst. Nachbarschaftshilfe, wechselseitige Absicherung gegen Übergriffe der Behörden, Spargemeinschaften für Notfälle sind die Antworten auf die chronische physische und psychische Überforderung der Einzelnen. In diesen Kollektiven finden die Frauen Vertrauen, Verständnis und Hilfe - ein soziales Auffangnetz, eine Ersatzfamilie.