Zwiespalt der Natur

Während in der südlichen Halbkugel talwärts gebrettelt wird, wollen Amerikaner nicht länger auf Wellen warten  ■  PRESS-SCHLAG

Nichts besonderes derzeit, die typischen Sommerthemen: Stau vor Rosenheim (45 km), Umwelt macht Urlaub mies (Algen), Intrige in Bonn (Stürzt Geißler?), Insektenplage (Marienkäfer), Neues vom Wolfgangsee ('Bild‘: „Der Kanzler denkt, aber er sagt nichts.“). Langweilig? Dabei unterbricht kein Mensch das Löffeln aus dem Eisbecher? Dann eben die Meldungen der Woche: Der erste Sieger der Skisaison ist unser Slalomweltmeister Armin Bittner (Neuseeland), das erste Weltcuprennen gewann unsere Michaela Gerg (Südamerika).

Überrascht? Wer fragt da mit Amadeus Gottfried Adolf Müllner (1774-1829) „Erkläret mir, Graf Oerindur, diesen Zwiespalt der Natur“? Antwort: Die Nachrichten können nur verblüffen, da unser Denken typisch eurozentristisch gepolt ist, weil: Wenn es in der unteren Hälfte der Erdkugel regnet, scheint oben die Sonne; wenn hier das Weißbier lockt, fällt unten Schnee. Und weil des Skifahrers größte Freude eine weiße Unterlage ist, fährt er dorthin, wo er sie findet. Könnte man meinen. Doch so einfach stehen die Dinge nicht.

Die Frauen beispielsweise wedeln im argentinischen Las Lenas, weil dort, in den Anden, seit vier Jahren der Fleischmultimillionär Ernesto Löwenstein partout einen Skizirkus etablieren will, wozu er Werbung braucht und bereit ist, den Brettlspezialistinnen ein wenig seines Geldes abzugeben. Selbst Staatspräsident Carlos Menem hat vorbeigeschaut, der Veranstaltung Glanz zu verleihen und den Markt zu erschließen, der dem FIS-Beauftragten Heinz Krecek eine lustvolle Perspektive eröffnet: „Bei 33 Millionen Einwohnern gibt es nur 100.000 Skifahrer.“ Typisch Dritte Welt.

Bedeutend besser geht es dem Australier. Von 16 Millionen (mehr gibt es dort wirklich nicht) Bewohnern pflegt eine zumindest gelegentlich die Fortbewegung per Ski, was nicht einfach ist: von Sydney bis zum Kosciusko-Nationalpark, zwischen Victoria und New South Wales gelegen, sind acht Stunden mit dem Auto zurückzulegen. Und nur hier kommt genug Schnee runter auf dem ganzen großen Kontinent, weshalb die Hügel der Einfachheit halber gleich „Snowy Mountains“ genannt werden.

Dorthin und von den Surfbrettern weg will Weltcup-Direktor John Kean „das Potential“ von Landsleuten locken, welches „noch nie auf Ski gestanden“ hat. Wenn weltweit 200 Millionen am Fernseher verfolgen, wie die Weltelite den 2.228 m hohen Koskiusko hinabstürzt, denkt er, kommen alle zuhauf, es nachzutun. Also hat er 2,5 Millionen Mark ausgepackt und zusätzlich 14 ausländische Teams kostenlos einfliegen lassen, von denen einige Mitglieder allerdings schlecht gebrieft an den Start gingen. Wie sonst hätte Bittner murren können: ,„Mir gefällt diese Saison-Aufbau nicht“?

Der österreichische Doppelweltmeister Rudi Nierlich kennt den Kaiser Titus Flavius Vespasianus („Geld stinkt nicht“) schon besser: „Wir fahren hier, um auch unsere Skiindustrie zu vertreten, die uns bezahlt.“ Immerhin nicht auf Kunstschnee (die 1.200 Kilo Salz liegen nur für den Notfall bereit), womit wir zu einer wirklich bedenklichen Meldung kommen. In Ventura (Kalifornien) wollen die Surfer, des Wartens auf die lange Welle müde, ein Riff zementieren, drei Kilometer lang, zwei Millionen Dollar teuer. Nach zwei Jahren Bauzeit soll der Brocken 900 Meter vor der Küste echte Klassewellen produzieren.

Und damit wir uns nicht allzuviele Gedanken machen, nennen die Initiatoren des Projekts dieses „Umwelt- und menschenfreundlich. Was man der Natur durch Straßen- und Dammbau geraubt hat, schenkt man ihr durch das Riff zurück“. Eine sicherlich richtige Argumentation und nur durch die tiefe Dialektik nicht so leicht eingängig. Indes wir rein vorsichtshalber mit Christian Fürchtegott Gellert warnen wollen: „Die Natur läßt sich nicht zwingen.“

Irgendwann schlägt sie zurück und schickt uns Algen, Marienkäfer, Kohl.

Thömmes