Schafft die Einkommens- und Lohnsteuer ab!

■ Auf einer Heidelberger Tagung konnten hochkarätige Wirtschaftswissenschaftler ihrer Phantasie mal so richtig freien Lauf lassen: Konsumsteuer, Landesaustritt und Orwell-Staat...

Die pausbäckigen Putten, die unter der Decke der Heidelberger Stadthalle schmausen und trinken, verzogen keine Miene, als der Wirtschaftsprofessor Manfred Rose zu ihren Füßen den Konsum attackierte. Künftig - so der Heidelberger Dozent - soll der Staat nicht mehr das Einkommen, sondern nur noch den Konsum besteuern. Mit anderen Worten: Das Sparen soll steuerfrei sein, denn was der einzelne nicht konsumiert, das spart er. Ausgerechnet in einer sinnesfreudigen Barockkulisse kamen Rechtsgelehrte, Unternehmer und Ökonomen zusammen, um über eine „konsumorientierte Neuordnung des Steuersystems“ zu diskutieren. Eingeladen hatte Rose - unterstützt von einer Gruppe anthroposophischer Unternehmer. Daß der Vorschlag ernsthaft diskutiert wurde, zeigte sich allein an der Liste der anwesenden Ökonomen, die sich teilweise wie das „Who is Who in Economics“ las. Horst Claus Recktenwald erschien ebenso wie Richard und Peggy Musgrave, ohne deren Standardwerke zu Staatsfinanzen kaum ein Ökonomiestudent durchs Studium kommt. Das Glanzlicht: Nobelpreisträger James Buchanan.

Eine Konsumsteuer ist gerecht, effizient, gut durchschaubar und leicht zu verwalten, sagen ihre Verfechter. Die Grundidee ist in der Tat einfach: Die Leute sollen nicht nach dem besteuert werden, was sie an Arbeit in den gesamtgesellschaftlichen Topf hineinstecken, sondern danach, was sie herausnehmen. Wer arbeitet und dabei Einkommen erzielt, vermehrt den Reichtum der Nation, wer konsumiert, der braucht ihn auf. Deshalb sollte sich eine gute Steuer nicht nach dem Einkommen, sondern nach dem Konsum bemessen, um Fortschritt und Wachstum zu fördern.

Diesen Grundgedanken hat schon 1919 Rudolph Steiner geäußert und damit seine anthroposophischen Nachfolger zum Nachdenken angeregt. Für den Steuerberater Benedictus Hardorp, Mitinitiator des Kongresses, haben diese Überlegungen zu einer völligen Ablehnung der Einkommenssteuer geführt. Sie sei ein „Knospenfrevel“, der wie ein „Nachtfrost“ über die „Initiativkräfte“ der Menschen, respektive Unternehmer, herfällt. Der Schlendrian werde gefördert, wenn Mehrverdienst auch gleich Mehrbesteuerung bedeute. Ähnliches gelte für sämtliche Unternehmenssteuern, die seiner Ansicht nach doch nur auf Konsumenten übergewälzt werden. Diese fatalistische Ansicht teilen viele Wirtschaftwissenschaftler. Und da sollen die Kunden doch lieber gleich über eine Konsumsteuer an den Staat zahlen, damit sie wenigstens durchschauen, was der Staat einbehält.

Wo der vielbeschworene scharfe Wind des Wettbewerbs nur ein laues Lüftchen ist, sticht diese Karte natürlich nicht. Des weiteren: Auch im Unternehmen läßt sich Konsum so verstecken, daß er von einer Investition kaum zu unterscheiden ist. Natürlich lohnt es sich auch bei der Einkommenssteuer, persönliche Freuden als Geschäftsausgaben zu deklarieren, wobei auch die sogenannten „Geschäftsessen“ ein beliebtes Beispiel sind. Bei einer direkten Konsumsteuer würde sich das allerdings noch weit mehr lohnen, weil die Steuersätze höher sein müßten. Einige Konsumsteuerfreunde schlagen deshalb eine ergänzende Geschäftssteuer vor, die alle Unternehmen vom Kiosk bis zur Chemie-AG zahlen sollen.

Warum die Steuersätze höher sein müßten, läßt sich an einem einfachen Rechenbeispiel zeigen. Man nehme eine Provinzärztin mit einem Einkommen von 120.000 Mark im Jahr, von dem sie 50 Prozent als Einkommenssteuer an den Staat abführen muß. Von den verbleibenden 60.000 Mark konsumiert sie 40.000 und spart 20.000 Mark. Will der Staat mit einer Konsumsteuer dieselben Einkünfte erzielen, muß er den Konsum der Ärztin mit 150 Prozent besteuern, um wieder auf 60.000 Mark Steuereinnahmen zu kommen.

Nun pflegen Niedrigverdiener weniger zu sparen als Leute mit hohem Einkommen. Um hier Gerechtigkeit walten zu lassen, müßte der jeweilige individuelle Konsum einzeln erfaßt werden, um dem Konsumenten persönlich „direkt“ besteuern zu können. Dann könnten für Niedrigverdiener niedrigere Steuersätze geltend gemacht werden. Damit wäre die direkte Konsumsteuer, auch persönlich allgemeine Ausgabensteuer genannnt, flexibler als die Mehrwertsteuer, die bei jedem Konsumgüterkauf mit demselben Prozentsatz über den Ladentisch wandert.

Gießener Wissenschaftler haben per Computersimulation berechnet, daß die Haushalte in der Bundesrepublik zwischen 13 und 114 Prozent ihres Konsums an den Fiskus abführen müßten, wenn die neue Steuer sie ähnlich belasten sollte wie die Einkommenssteuer. Was aber ist mit dem reichen Geizhals, der wenig konsumiert und viel spart? Macht nichts, würden Konsumsteueraktivisten sagen, er hat ja auch nichts davon. Wenn er sein Geld nicht gerade unter der Matratze deponiert, wird er es wohl zur Bank bringen. Die verleiht sein Geld an Investoren und nützt - so die unsichtbare Hand des Marktes will - dadurch der Volkswirtschaft. Sobald der Geizhals aber sein Vermögen angreift, greift auch die Steuer zu. Wenn er stirbt und das angehäufte Vermögen seinen Erben weitergibt, müssen eben die Erben zahlen, sobald sie konsumieren. „Wir versaufen unserer Oma ihr klein‘ Häuschen“ hieße dann: Der Staat säuft mit, und zwar in großen Zügen.

Einer der älteren Vorschläge zu einer Konsumsteuer hatte gerade die reichen, aber unproduktiven Verschwender im Blick. Nicholas Kaldor wollte in den fünfziger Jahren vor allem die britische Oberklasse treffen, die wenig verdiente und das in Generationen aufgebaute Vermögen in großem Stil aufbrauchte. Ob die vermögenden Verschwender wirklich mehr zahlen, hängt indes davon ab, wie der Staat eigentlich den Konsum der einzelnen Steuerzahler ermitteln kann. Eine direkte Ermittlung wäre im Computerzeitalter kein Problem mehr, meint Christian Seidl vom Kieler Institut für Weltwirtschaft. Man müßte nur alle Käufe über Kreditkarten tätigen und mal eben sämtliches Bargeld abschaffen, um allen Konsum registrieren zu können. Nur würde dies in den Orwellschen Überwachungsstaat ausarten, so Seidl, und sei daher nicht zu empfehlen.

Eine weitere Methode schätzt der Konsumsteuerkritiker in puncto Überwachung auch nicht viel besser ein: Die Leute dürfen zwar weiter unkontrolliert konsumieren, müßten aber außer ihrem Einkommen detailliert alle Ersparnisse und Vermögenswerte beim Finanzamt angeben, wenn diese unversteuert bleiben sollen. Der Konsum errechnet sich dann als Einkommen minus Sparen. Der Menge der Kleinsparer würde die Offenbarung ihrer Notgroschen sicher weniger ausmachen als den Finanzämtern, die sie zählen müßten.

Ein weiteres Problem: Der Konsumsteuerstaat könnte seine Bürger nicht mehr einfach so außer Landes ziehen lassen. Er müßte ein Austrittsgeld erheben; denn sonst könnte ja jemand in seiner aktivsten Zeit im Konsumsteuerland Bundesrepublik steuerfrei ein Vermögen sparen, um sie im Rentenalter in einem Einkommenssteuerland, zum Beispiel Griechenland, ebenfalls steuerfrei aufzubrauchen. Gekniffen wäre, wer zu Hause bleibt.

Wegen dieser und anderer Schwierigkeiten bevorzugen viele Konsumsteuerbefürworter eine dritte Ermittlungsmethode. Der „Vorauszahlungsansatz“ erkennt an, daß es schwierig ist, Konsum und Sparen eindeutig zu ermitteln. Deshalb sollen die Steuerzahler aus pragmatischen Gründen zunächst auch für Gespartes zahlen. Als Entschädigung für diese „Vorauszahlung“ brauchen sie später die Zinsen aus ihren Ersparnissen nicht mehr zu versteuern. Aus der Forderung nach einer Konsumsteuer wird durch diesen Kniff im Handumdrehen die Forderung nach der Steuerbefreiung von Zinseinkünften. In dieser Version bedeutet Konsumsteuer nur, daß die Einkommenssteuer zur reinen Lohnsteuer degradiert wird.

Überhaupt ist Vorsicht geboten, wenn heute über andere Besteuerungsformen diskutiert wird. In der gegenwärtigen Blütezeit des Neoliberalismus, so spekulierte der US -Wissenschaftler Dennis Mueller, würde jede Neuverhandlung des Steuersystems zu einer Begünstigung der Wohlhabenden führen.