KWU entläßt 2.000 Beschäftigte

Nach dem Aus der Wiederaufarbeitungsanlage zieht Siemens-Tochter die Konsequenzen / Betriebsräte aller Standorte stinksauer auf Veba-Vorsitzenden Rudolf Bennigsen-Foerder / Technologisches Wissen der AKW-Ingenieure nicht mehr gefragt / Im Atomkraftsektor von 2.500 auf 450 Stellen abgebaut / Keine neuen Aufträge  ■  Von Wieland Giebel

Die Stimmung in allen Betriebsräten der Kraftwerkunion (KWU) ist gleich mies. Keiner will recht mit der Sprache raus. Die Schande der anstehenden Kündigungen soll unter der Decke bleiben. Immer noch ist ist die Solidargemeinschaft zwischen Unternehmen und Belegschaft fest zusammengeschweißt. (s. auch Seite 1)

In Offenbach übergab die Geschäftsleitung dem Betriebsrat eine Liste von 625 Arbeitsplätzen, die von 2.300 gestrichen werden sollen. Betriebsratsvorsitzender Werner Nickel gab an, daß 400 Mitarbeiter direkt mit der Planung für die WAA beschäftigt waren. „Die Mitarbeiter verfügen über ein technologisches Wissen, das heute nicht mehr gefragt ist, weil der Kernkraftwerksbau zum Erliegen kommt“, sagte Nickel gegenüber der taz. Auf Veba-Chef Rudolf von Bennigsen -Foerder, der die WAA kippte, ist er nicht gut zu sprechen: „Den kriegen wir zum Glück ja nicht zu Gesicht.“ Nickel schätzt die Chance für eine Übernahme der Betroffenen in andere Siemens-Töchter oder fremde Betriebe als gering ein.

KWU-Sprecher Pauls erklärte, am Standort Offenbach würde nicht gerüttelt, da sich der konventionelle Kraftwerksbau und der Service für AKWS gut entwickele. Anders sieht das Theo Beez von der IG-Metall. Die Gewerkschaft habe bereits 1986 darauf hingewiesen, daß mit Entlassungen in größerem Umfang gerechnet werden müsse, falls nicht schnell neue Abeitsbereiche aufgebaut würden. Betrug der Auftragsbestand der KWU für Atomkraftwerke 1985 noch 24 Milliarden Mark, seien für 1989 nur 9,2 Milliarden geplant.

Die Zahl der im AKW-Bereich Beschäftigten solle nach Angaben der IG Metall bis 1991 in Offenbach und Erlangen von 2.494 (9/1985) auf (9/1991) 444 verringert werden. „Es werden nur noch einige Fachleute vorgehalten, falls Kernenergie doch nochmal in den Aufwind kommt.“ Der Standort Offenbach war durch die Zusammenlegung von Siemens und AEG entstanden. „Das Wissen der Ingenieure braucht man heute nicht mehr. Der Vertrieb kann in Erlangen konzentriert werden. Deswegen befürchten wir die völlige Aufgabe des Standortes Offenbach“, erläuterte Beez. Er beschuldigt die Geschäftsleitung, zu spät auf andere Produkte umgestellt zu haben und in den wenigen neuen Bereichen unfähig zu agieren. „Ein AKW brachte acht Milliarden Umsatz.

Das Management ist nur solche Dimensionen auf einem monopolisierten Markt gewohnt. In den neuen Produktbereichen wie Lasertechnik und Müllverschwelung gibt es harte Konkurrenz. Die Stundensätze der KWU mit ihrem überdimensionierten Wasserkopf sind einfach zu hoch.“ So eindeutig von den Politikern und vom Unternehmen fallengelassen zu werden, damit hätte die Belegschaft nicht gerechnet. Warnungen der IGM seien deswegen immer auf taube Ohren gestoßen. Dazu kam der grundsätzliche Konflikt um die Kernenergie, denn bei der IGM sei die Beschlußlage eindeutig, Kernenergie brauche man nicht. Beez widerspricht aber auch der Aussage der Geschäftsleitung, die Mitarbeiter könnten in den Servicebereich übernommen werden. Bisher wurden, nach Aussagen der KWU, die Mannschaften, die die AKWs bauten, kontinuierlich in den Servicebereich übernommen, um die Anlagen zu fahren. Nach Angaben von IGM Sprecher Beez sei das Personal zwar von 1.340 im Jahr 1985 auf 2.069 zur Zeit aufgestockt worden, aber bis September 1991 sollte schon wieder auf 1.995 abgebaut werden.

In Erlangen sollen 650 von 5.400 Arbeitsplätzen abgebaut werden, einschließlich einer Riege aus dem gehobenen Management. Erlangens KWU-Sprecher Wolfgang Breyer betonte, die Firma mache den Ingenieuren „attraktive Angebote“, was die Abfindungen angehe. Trotzdem will der Betriebsrat freiwilligen Aufhebungsverträgen, in anderen Worten Kündigungen, nicht zustimmen.

In Anbetracht der Milliardengewinne zeigt sich KWU bei den Abfindungsangeboten äußerts knauserig. Im Sozialplan wird eine Abfindung von einem halben Monatsgehalt pro Dienstjahr angeboten. Betriebsrat Reinhard Mehn fühlt sich daher verschaukelt. Zur Perspektive sagte er: „Nachdem die WAA aus den Büchern genommen wurde, ging unser Ingenieursvolumen von heute auf morgen verloren. Wir dürfen die Augen nicht verschließen: Im Inland wird sich in Zukunft nicht mehr viel bewegen, im Ausland macht uns der Wettbewerb zu schaffen.“ Wie um sich selbst zu trösten, fügte er hinzu: „Was wir jetzt hier veranstalten, ist trotzdem kein Rückzugsgefecht. Wir machen nicht ein bißchen trouble, damit nicht es so aussieht, als hätten wir die letzten 25 Jahre nur Blödsinn gemacht. In den nächsten 50 Jahren geht kein Weg an der Kernenergie vorbei.“ Seine Wut auf Bennigsen-Foerder äußert er nur unterdrückt: „Auf den sind wir bestimmt nicht sehr positiv zu sprechen.“

Auch in Mühlheim sollen die Ingenieure via Altersruhegeld stillgelegt werden. Und zwar 450 von 1.800, ein Viertel. Betriebsrat Hermann Oberkoxholt: „Die Belegschaft würde gerne wieder Kernkraftwerke bauen. Unsere Monteure arbeiten ja noch ständig in den Anlagen. Wir sehen da keine Probleme mit der Kernkraft.“ Die Auftragslage sieht aber selbst im konventionellen Bereich schlecht aus. Generatoren für die in Berlin gefertigten Gasturbinen laufen noch gut, aber im Dampfturbinenbereich herrscht Flaute. Von Bennigsen-Foerder will Hermann Oberkoxholt nichts hören.

Auf 200 bevorstehende Entlassungen von 1.600 Beschäftigten bringt es die KWU-Tochter Interatom in Bergisch Gladbach. Wären in den letzten Jahren nicht in erheblichem Umfang neue Geschäftsbereiche aufgetan worden, meint Betriebsrat Gerd Klocker, sähe es noch schlimmer aus. 1982 seien neunzig Prozent im Nuklearsektor beschäftigt gewesen, heute nur noch rund fünfzig Prozent. Aber die neuen Geschäftsbereiche Fotovoltaik (Solarenergie), Katalysator-Technik und Ingenieur-Software würfen zu wenig Gewinn ab. Insider kritisieren, daß die zaghaften alternativen Ansätze im Bio und Müllbereich so zur Großtechnik aufgeblasen wurden, daß am Markt vorbei produziert wurde.

Betriebsrat Klocker bemängelt vor allem, daß Interatom vom Bundesforschungsministerium ausgegrenzt werde. „Das Ministerium bemüht sich nicht, uns auf dem schnellstmöglichen Weg zu helfen. Von Monat zu Monat bekommen wir von denen weniger Aufträge und nichts adäquates kommt hinzu, um den durch die WAA gallopierenden Ausfall wettzumachen. In den USA hat sich die nach Harrisburg einsetzende Bewegung abgeschwächt. Wenn eine rationale und vernünftige Risikobewertung einsetzt, ist nicht ausgeschlossen, daß der Reaktorbau für friedliche Kernenergienutzung wieder in Schwung kommt. Das könnte wegen des Ozonlochs auch unter einer rot/grünen Regierung möglich sein.“ Auch Klockner ist sauer auf Bennigsen-Foerder: „Daß die WAA jetzt auch noch weg ist, ist nicht gerade förderlich. Der hat uns nicht mal vernünftig Zeit gelassen, in Ruhe zu reduzieren. Das kann einen nicht erfreuen.“

Offenbar um den völligen Kollaps der Atomechnik zu verhindern, bekommt KWU momentan einen ungewöhnlichen Auftrag zugeschustert. Auftraggeber sind die Bayernwerke (im Besitz des Freistaates Bayern und des Bundes) sowie der AKW -Betreiber Preußen Elektra und die Isar-Amperwerke (RWE, Bankhaus Merk, Finck & Co., Allianz, Bayern). Die KWU soll das Konzept für Druckwasserreaktoren überarbeiten. Ungewöhnlich daran ist, daß die Kunden dafür keine Leistung sehen wollen, die sich unmittelbar bezahlt macht. Bayernwerke- Vorstandsmitglied Jochen Holzer: „Damit belegen wir, daß wir Kernenergie nach wie vor für die mit Abstand günstigste Lösung halten.“ Er bezeichnete es vorige Woche ausdrücklich als Ziel, die KWU in die Lage zu versetzen, ihre Fähigkeit zur Planung und Errichtung von Kernkraftwerken aufrechtzuerhalten und fortzuentwicklen. KWU -Sprecher Breyer erläuterte dazu, der Sicherheitsstandard, die digitale Leittechnik und die Wirtschaftlichkeit sollen vervollkommnet werden. „Ein Trostpflaster für den Wegfall der WAA ist dieser 36-Millionen-Auftrag aber nicht.“ Im Augenblick baut die KWU noch an zwei AKWs für Brasilien und einem für Argentinien. Weitere Aufträge liegen nicht vor. Nur die Hoffnung auf ein AKW für Indonesien flackerte wieder auf. KWU bewirbt sich zusammen mit Nuclear Power international und der französischen Framatom. Das Auftragsvolumen beträgt 3,8 Milliarden DM.