SPD will möglichst niemandem weh tun

■ In Sachen ökologischer Wirtschaftspolitik gibt es keine Parteien mehr, sondern nur noch „Umbauer“

Heute will die Gruppe „Fortschritt '90“ der SPD die Finanzierung ihres ökologischen Umbauprogramms ausarbeiten, nachdem die grundsätzlichen Eckpfeiler im Juli bereits an die Öffentlichkeit kamen. Oberflächlich verschwimmen die Unterschiede zwischen den Parteien, auch die Gewerkschaften beginnen nachzudenken...

„Das wichtigste Element unseres Konzepts ist die Mobilisierung des Marktes für den Umweltschutz durch eine ökologische Orientierung des Steuer- und Abgabensystems.“ Als die SPD-Kommission unter dem PR-trächtigen Namen „Fortschritt '90“ mit diesem und ähnlichen Gemeinplätzen Mitte Juli die Öffentlichkeit beglückte, ertönte das Echo der Bonner Unions-Stallwachen prompt und wie erwartet.

Es folgte dem Reiz-Reaktions-Schema. Als Reiz dienten die Wörtchen „Ökologisch“ und „Umweltschutz“, als Reaktion lamentierten die Unionisten über den sozialdemokratischen „Anbiederungsversuch zur Vorbereitung einer rot-grünen Koalition“.

Das war ein bißchen schnell geplappert, wie sich bald zeigen sollte. Ausgerechnet Springers 'Welt‘ erinnerte die „Haudegen“ aus CDU und CSU mit erhobenem Zeigefinger und unter der Überschrift „Wie sich die Bilder gleichen“ an die eigene Beschlußlage: „Marktwirtschaftliche Anreize sind der beste Weg, damit die Dynamik des technischen Fortschritts gezielt zur Verbesserung des Umweltschutzes angeregt und genutzt wird.“ Das fast wortgleiche Zitat findet sich in einem 24-Seiten-Beschluß des CDU-Bundesvorstands vom 2. Juni, der beim Parteitag Mitte September in Bremen immerhin zur Grundlage der CDU-Umweltpolitik der 90er Jahre avancieren soll. Abgaben müßten „umweltfreundliches Verhalten belohnen und umweltfeindliches Verhalten bestrafen“, schreiben die Unionsoberen weiter, und Anreize für umweltgerechtes Verhalten könnten „durch eine ökologisch geleitete Gestaltung des Steuersystems ausgelöst werden“.

Sieht man vom grundsätzlichen Dissens in Sachen Atomenergie einmal ab, gibt's Übereinstimmende Absichtserklärungen derzeit satt, und zwar nicht nur zwischen SPD und CDU, sondern zwischen allen im Bundestag vertretenen Parteien etwa zu den Themen Förderung der Alternativ-Energien, bis hin zum Einspeisen von Strom aus regenerativen Quellen oder der Einführung einer Stromtarifordnung, die das Stromsparen fördern soll.

Seit die finanzpolitische Sprecherin der SPD -Bundestagsfraktion, Ingrid Matthäus-Maier, jede Ankündigung einer Öko-Verbrauchssteuer oder -Abgabe mit der Formel von der „Aufkommensneutralität“ einleitete, fällt es der Union noch schwerer, die Vorschläge als „altbekannte sozialistische und bürokratische Methode“ abzukanzeln. Bundesfinanzminister Theo Waigel gibt sich deshalb lieber eher defensiv und betont quantitative Unterschiede zu den sozialdemokratischen Vorstellungen. Drohend warnt der CSU -Chef vor dem „totalen ökologischen Umbau“. Man müsse sich „vor der Überfrachtung des Steuersystems hüten“. Die SPD -Steuerpläne, insbesondere eine Erhöhung der Energiepreise, aber auch Emissionsabgaben, gefährdeten zudem die „internationale Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft“ - ein Argument, das angesichts gewaltiger Außenhandelsüberschüsse der Bundesrepublik kaum mehr die erhofften Ängste hervorrufen dürfte. Auch hier lohnt der Blick in den bereits zitierten CDU-Vorstandsbeschluß: „Kurzfristige Nachteile im internationalen Wettbewerb werden durch mittel- und langfristige Vorzüge und Entwicklungschancen ausgeglichen. Die Zukunft gehört umweltfreundlichen Produkten und der umweltfreundlichen Technik.“

Ziemlich abgetaucht in der gegenwärtigen Diskussion sind die Stichwortgeber von einst. Die Zeiten, als sich Grünen -Funktionäre ob des ökologischen Themenklaus der „Altparteien“ verdutzt die Augen rieben, gehören allerdings der Vergangenheit an. Daß die von den „Fortschritt '90„ -Vordenkern entwickelten Vorstellungen größtenteils schon im grün-archaischen „Sindelfinger Programm“ von 1983 und diversen „Umbauprogrammen“ der vergangenen Jahre nachzulesen sind, erwähnt Heiner Jüttner, grüner Finanzexperte und Mitarbeiter des parlamentarischen Geschäftsführers Uwe Hüser, eher am Rande. Und obwohl die Partei drauf und dran scheint, die Meinungsführerschaft beim Thema „Ökologie“ mit den Sozialdemokraten teilen zu müssen, klingt Jüttners Eingeständnis, man müsse „offen sagen, daß es da viel Übereinstimmung mit der SPD gibt“, weniger beleidigt als vor ein paar Jahren. Zwar fehlt unter den SPD-Vorschlägen jeder Hinweis auf Abgaben für gefährliche Stoffe der Chemieindustrie, eine der zentralen Forderungen der Grünen seit Jahren. Dennoch scheint kaum denkbar, daß mögliche rot -grüne Koalitionsgespräche in Bonn bei diesem Thema ernsthaft ins Stocken geraten.

Jüttner kündigt bis zum Herbst ein Gesamtkonzept der Bundestagsfraktion zur ökologischen Umgestaltung des Steuer und Abgabensystems an. Dabei wollen sich die Grünen auf eine kürzlich fertiggestellte Expertise des Berliner „Instituts für ökologische Wirtschaftsforschung“ stützen. Der mangelnde Konkretionsgrad der sich jagenden SPD-Erklärungen ist es denn auch, den Jüttner den Sozialdemokraten vorwirft. In der Tat liegt hier der Hund begraben.

Denn die ganz große Öko-Koalition in Sachen Steuern und Abgaben bricht unter großem Getöse zusammen, wenn - wer auch immer - konkrete Vorschläge unterbreitet. Das Unions-Ziel einer „ökologisch verpflichteten sozialen Markwirtschaft“ wird schon durch das Regierungshandeln eines Verkehrsministers Zimmermann, aber auch eines Umweltministers Töpfer fast täglich ad absurdum geführt.

Aber auch Lafontaines „Fortschritt '90„-Gruppe handelt mit dem Schlagwort „Aufkommensneutralität“ als Säule der ganzen Aktion streng nach dem Motto: „Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht naß.“ Vielleicht erklären die SPD-Vordenker nach der heutigen „Fortschritt '90„-Sitzung, warum sie glauben, daß eingefleischte Auto-Freaks weniger Sprit durch ihre Aggregate jagen sollen, wenn ihnen das teure Benzin ständig mit der Formel schmackhaft gemacht wird, die Mehrkosten kämen über Einkommenssteuerentlastung schon wieder rein. Die Grünen Hüser und Jüttner weisen immerhin daraufhin, daß sinnvollerweise nicht der gesamte Betrag beispielsweise einer Mineralölsteuer-Anhebung direkt an die Verbraucher zurückfließen sollte. Vielmehr müsse ihnen gleichzeitig die Möglichkeit zu „umweltweltverträglichen Ersatzlösungen“ eröffnet werden - in diesem Fall durch eine parallele Verbesserung des Angebots bei Bus und Bahn. Aber grundsätzlich wollen auch die Grünen das ganze „eher aufkommensneutral“ angehen, also möglichst niemandem weh tun. Natürlich stehen die Oppositionsparteien vor einem objektiven Dilemma: Wer ökologisch umbauen will, muß eben erstmal gewählt werden.

Offenherziger ist allein Joschka Fischer. Der äußert sich in seinem kürzlich erschienenen Pamphlet „Umbau der Industriegesellschaft“ unmißverständlich: „Wesentliche Aufgaben der Zukunftssicherung werden enorme zusätzliche Kosten verursachen. Das heißt aber in den allermeisten Fällen, daß man jemandem etwas wegnehmen muß. Dazu werden umweltbelastende Produktionen gehören, aber selbstverständlich auch umweltbelastender Konsum und Verbrauch.“ Dafür hat der Grüne viel Lob kassiert - von Graf Lambsdorff und der 'FAZ‘.

Gerd Rosenkranz