Memoriale Transit-Kunst

■ Wer gedenkt der Gedenkstätten?

Ja wer eigentlich? Wer bringt immer wieder sommers die haltbaren Fleißigen Lieschen und winters das haltbare Hartgrün an, wer pinselt sorgfältig verwitterte Namenszüge mit schwarzer oder weißer Farbe neu aus? Kurzum: wer erhält die permanenten Trauer-Kunstwerke, die, in unregelmäßigen Abständen bzw. Häufungen entlang der Mauer zu finden sind. Man hat es immer schon mal wissen wollen und sucht sich, pietätsvoll, pflichtschuldig und serviceerpicht, das bekannte Datum zu einem höchst verschlungenen drahtlosen Behördenritt aus.

Guten Tag, können Sie mir sagen, wer für die Erinnerungsstätten zuständig ist, die an umgekommene Flüchtlinge erinnern? Da müssen Sie mal bei den Bezirksämtern nachfragen, sagt die Senatsinformationsstelle, soviel ich weiß, kümmern sich aber auch Vereine und Organisationen darum, die sich mit der Teilung beschäftigen.

Eingedenk eines sehr ordentlich gewarteten Grabdenkmals auf dem Weg nach Steinstücken frage ich im zuständigen Rathaus Zehlendorf an. Der freundliche Kollege von der Amtspressestelle schlägt zwei mögliche Verwalter vor: das unmittelbar einleuchtende Gartenbauamt bzw. das Hochbauamt, das u.a. für Denkmäler zuständig sei; die stelle ich mir allerdings, wie der Namen schon sagt, etwas höher vor als die in Fragestehenden Niedrig-Gedenkstätten. Der Pressemann ruft nochmal zurück: Herr Schulze vom Gartenbauamt stehe zu meiner Verfügung. Herr Schulze ist aber wegen freitäglicher Amtsleere nicht da.

Ebensowenig wie das mit der Teilung beschäftigte Kuratorium Unteilbares Deutschland; statt dessen teilt eine Antwortmaschine mit, daß das hier das Paul-Löwe-Institut sei, offenbar der Dr.Jekyll vom Mr.Hyde, wenn letzterer, zumal an diesen Tagen, in Sachen Unteilung unterwegs ist. Dafür ist Herr Dr.Hillebrandt von der Arbeitsgemeinschaft 13.August wiederum 1.da, 2.freundlich und 3.quasi gegenüber. Er grüßt mit „Hallo Nachbar!“, was ich, in Unkenntnis der Vis-a-vis-Lage von taz und 13.August, irrtümlicherweise für einen Altherrenscherz halte. Dreißig Kreuze gebe es wohl insgesamt, meint Dr.Hillebrandt, 17 oder 18 davon hätten sie gesetzt. An Todesfällen entlang der Mauer habe man bis zum Zeitpunkt unseres Gesprächs - er läßt sich die neueste Liste reichen - 80 registriert.

Kreuz ist aber noch lange nicht Kreuz, lerne ich. Herr Hillebrandt läßt sogar etwas wie dezenten Vereinsstolz durchklingen: Es gibt da noch einen Bürgerverein, der setzt so weiße gebrechliche aus Holz, die verrotten schnell und werden ausgerissen, während unsere noch in 100 Jahren stehen werden, um zu erinnern, wenn die Mauer längst nicht mehr existiert. Ob er damit meint, daß der Osten dann heim ins Reich geholt sein wird, frage ich lieber nicht, wo er gleichzeitig so eine nette Einladung ausspricht: Wir, die TazlerInnen, dürfen gerne zu ihnen zum Essen kommen; es gäbe auch verbilligte Sonderpreise für uns in ihrer Kantine gegenüber.

Herr Schulze ist weiterhin nicht da, und ich versuche es im entgegengesetzten Bezirk. Diesmal empfiehlt mir die Pressestelle zur Abwechslung das Tiefbauamt als möglichen Sorger und, wie gehabt, das Gartenbauamt.

Herr Handrich von letzterem weiß vor allem den „zentralen Gedenkstein“ zu nennen, der sich an der Bernauer Straße befindet, welche wiederum in die Weddinger Amtszuständigkeit fällt. Darauf sind die Namen aller Erschossenen eingemeißelt, sagt er; und gerade jüngst erst hätten sie einen Namen nachgemeißelt, von dem, der doch, Sie erinnern sich, erst kürzlich, wann war das noch...

Und dann stünden da ja noch die ganzen Kreuze, die der Bürgerverein aufgestellt hat. Da machen sie gewissermaßen die Nachsorge. Wenn die Holzkreuze schütter werden, malen sie zum Beispiel nach.

Inzwischen hat man mir eine dritte auf die historische Ungerechtigkeit spezialisierte Organisation genannt: Die Stiftung Deutschlandhaus. Wir machen, sagte die versierte Dame am Telefon, eine Kranzniederlegung am 13.August. Und was die Gedenkstätten angeht, da arbeiten wir mit dem Berliner Bürgerverein zusammen. Rufen Sie mal Herrn Welker an.

Der gesamte Berliner Bürgerverein ist aber, offenbar in Personalunion von Herrn Welker, auch nicht da. so daß ich den Amtsfaden wieder aufnehme und mich von Herrn Knigge (sic) vom Weddinger Tiefbauamt in die Anstandsregeln der Gedenkfürsorge einführen lasse. Die ganzen Kreuze an der Bernauer Straße haben wir versorgt. Wobei Garten- und Tiefbauamt offenbar für unterschiedliche Teilversorgungen zuständig sind. Als jetzt nämlich eine Grenzberichtigung anstand, mußten sie den Hochstand abbauen und an anderer Stelle wieder aufbauen. Aus demselben Grund wurden auch die Kreuze weggenommen und gelagert. Was zu reparieren war, haben wir repariert; und die müßten jetzt wieder aufgestellt sein. Ein ständiges Konto dafür haben wir aber nicht. Und er schließt mit dem kniggemäßig weisen Rat, der anzuwenden ist, wenn man jemanden in Ratlosigkeit entlassen muß: Das ist von Fall zu Fall verschieden!

Das ist es in der Tat, aber - wie ich beim letzten Telefonversuch erfahre - doch mit System. Erst Herr Kliemann, Leiter des Kreuzberger Gartenbauamtes, vermag zumindest partiell Ordnung in das Kreuzdilemma zu bringen. Es ist nämlich so, daß gewissermaßen der Boden einer Stadt rechtlich in drei Teile zerfällt. Und auf alle drei Teile kann gewissermaßen ein Toter bei der Flucht fallen. Entweder kann das besagte Stück Erde in Privatbesitz sein, dann gibt es private Kümmerer. Oder das Mahnmal steht einfach auf einer öffentlichen Straße, dann gehört es in den Aufgabenbereich des Tiefbauamtes. Oder eine Gedenkstätte steht in einer Grünanlage. Die ist dann Sache des Gartenbauamtes. Und zwar immer nach Bezirken zugeordnet. Darüber hinaus pflegen wir alles in öffentlichem Besitz befindliche Grün. Die Kreuze richten andere ein, aber wir kümmern uns in Amtshilfe um die Begrünung.

Das heißt also, sie gießen nicht nur die Straßenbäume, sondern sie sind es schließlich auch, die jene vor mir auf der Straße nach Steinstücken am Ende der Berlin-Welt wohlwollend auf einer Gedenkstätte wahrgenommen Fleißigen Lieschen gepflanzt haben. Das heißt natürlich, ihre Zehlendorfer Amtskollegen.

Christel Dormagen