Der zertrümmerte Spiegel

■ Eine Ausstellung zum Wiener Aktionismus 1964-1974

Blut und Hirn, wo man nur hinsieht. Schafsblut und rote Farbe, auch Menschenblut aus geritzter Haut, vermischt mit dem Schleim und Gekröse eines toten Lammes, und alles auf den Körper eines nackten Mannes geschüttet. Doch das Blut, jener von den Wiener Aktionisten in ungezählten Kübeln vergossene Lebenssaft, ist geronnen zu dunklen, fast schwarzen Flecken auf schwarzweißen Hochglanzabzügen. In der Vitrine hinter Glas und an den Wänden in Keilrahmen gepreßt verlieren die radikalen Verstöße der Wiener Aktionisten gegen den bürgerlichen Geschmack der Endsechziger ihren provokanten Gehalt.

Die Penisspülungen, die achte Aktion von Hermann Nitsch aus dem Jahre 1965, sind als Foto nur eine sterile Dokumentation des damals Geschehenen. Schon der Eintritt in die Räume des Kölner Museums Ludwig, in denen die Ausstellungen Der zerbrochene Spiegel über Otto Mühl, Günther Brus, Hermann Nitsch und Rudolf Schwarzkogler untergebracht ist, gleicht einem Schritt in ein museales Reich des Sado-Masochismus. Wie in einer Burg werden hier Folterwerkzeuge ausgepackt und stolz zur Schau gestellt. Aber irgendwie bleibt alles im Rahmen eines ästhetischen Gruselkabinetts. Nicht mehr als ein leiser Schauer geht von diesen Objekten der Marter, von den Skizzen zu den Selbstverstümmelungen Günther Brus‘ oder von den mystisch -religiösen Orgien Nitschs aus. Hier könnten selbst jene erregten Gemüter Abkühlung finden, die lauthals gegen Nitschs Professur am Frankfurter Städel gewettert haben. Man wandelt von Reliquie zu Reliquie, von naturalistischer Skizze zu fotografischer Chronik. Die Aktion als Oeuvre. Mühl wandert ins Museum und ist damit entschärft zu einer konsumierbaren Kunst.

Heute, nach 20 Jahren, sollte es möglich sein, die Inszenierungen der Wiener Aktionisten, die Bedeutung ihrer Tabubrechungen für die studentische Protestbewegung und die Stellung innerhalb der Fluxus- und Happening-Kunst darzustellen. Doch das Ausstellungskonzept verweigert einen mehr als oberfächlichen Enstieg. Alles bleibt nur angerissen, ein paar Papiere, hingeworfene Skizzen, die wie Partituren den Weg der Aktion vorzeichnen, Materialbilder. Mehr wird nicht gezeigt, als sei dem Besucher nicht mehr zuzumuten. Seltsam diffus bleiben auch die Begleittexte zu den Bildern und Zeichnungen: „Die Psychomotorik des Aktionismus bei Mühl liegt so wie bei Brus, Nitsch und Schwarzkogler ebenfalls in der psychohygienischen Absicht zugrunde, daß nur aus exzessiver, alle Normen sprengender Aktion eine positive Umwertung der Wirklichkeit, eine Entsublimierung und eine neue Kunst entstehen könne“, heißt es über Otto Mühl.

Wer jetzt noch nicht abgeschreckt ist von den wolkigen Zeilen, wird beim Weiterlesen noch stutziger. Nicht ein einziger Hinweis auf Otto Mühls zwielichtige Rolle als Kopf einer Kommune auf Gomera ist zu entdecken; seine Biographie endet abrupt mit der Gründung der Aktions-Analytischen Organisation 1974. Hier tabuisiert die Ausstellung einen Bereich, der dem Besucher zur Einordnung des Werkes von Otto Mühl unbedingt deutlich werden sollte. So wandelt man ziellos durch das Kabinett, erfährt ein wenig von Aktionen mit ausgeweideten Tierkadavern, sieht etwas von den Vorbereitungen zu Happenings, die mit Skandalen und Verhaftungen endeten, und begreift nur, daß Mühl als Maler ein scheußlich schlechter Pop-Art-Kopist war. 1967 malte er in einer Reihe „Persönlichkeiten 67“ neben Konrad Adenauer, Prinz Charles und Charles de Gaulle auch den Schah und Farah Diba, und zwar so brav, daß die Bundesregierung das Bild als naive Malerei zum Schahbesuch auf eine Briefmarke hätte drucken können.

Lohnend wird der Gang durch das Panoptikum angedeuteter Ekstase, verschwommener Rituale und masochistischer Sexualität nur an einer Stelle. In einem schlauchartigen Raum, den man nur durch einen schmalen Gang wie eine verbotene Kammer betritt, hängt das Manuskript des nie gedruckten BuchesIrrwisch von Günther Brus. In diesen Texten und in den dazugehörigen Illustrationen ist zum ersten und einzigen Mal in dieser Ausstellung zu spüren, wie nah Entzücken und Entsetzen, Selbstbefreiung und Selbstentleibung, wie intensiv und brutal zugleich der Umgang mit dem eigenen Körper und der eigenen Psyche war. Gleichzeitig ist das Buch der erste Schritt zu einer ironischen Distanzierung Brus‘ von seinen selbstzerstörerischen Ritualen: “...und Haile Selassie fährt, eine äthiopische Cholerafut auf dem Sozius durch einen Torbogen, neoklassiko, wo oben als Klammeraffe Edison sitzt, einen Stromzähler im Arschloch, und Pechmarie spielt. Süßlich einige Bronxneger spielen auf der singenden Säge und die Kitt zieht sich nackend aus, duttelt ihre Westside -Ziezen klitschklatsch hin und her und fotzt einem Salzwüstling in den Schweiß, maureen o hara andererseits.“

P.S.: Die Binsenweisheit, daß der Katalog (45 Mark) häufig besser ist als das Gezeigte, bestätigt sich auch in diesem Fall. In dem knapp 400 Seiten starken Band findet sich fast alles, was der Ausstellung fehlt. Das Museum Ludwig zeigt den Ausschuß aus der Wiener Aktionskunst noch bis zum 17.September.

Christof Boy