Gruppenbild mit Geiseln

Die Entführung Scheikh Obeids durch Israel im Spannungsfeld zwischen Washington, Tel Aviv und Teheran / Aus Washington Joe Stork  ■ D E B A T T E

Die letzten zwei Wochen haben uns ein bemerkenswertes Spektakel vor Augen geführt, mit dem die verschiedenen Beteiligten versuchten, ihr Image aufzupolieren. Am 28.Juli wurde Scheikh Abdel Karim Obeid von einem israelischen Kommando aus seinem Haus in dem libanesischen Dorf Jibchit entführt, dem gleichen Dorf, in dem der Vorgänger Obeids, Scheikh Rashid Harb, 1984 bei einem Bombenanschlag getötet wurde. Damals bekannte sich niemand zu der Tat, obwohl allgemein vermutet wurde, daß Israel und seine libanesischen Klientel dafür verantwortlich seien.

Doch kaum hatten die Israelischen Verteidigungskräfte (IDF) diesmal Obeid in eine Verhörzelle gesteckt, trompetete die Regierung der „Nationalen Einheit“ der beiden Jitzhaks Shamir und Rabin - ihr Angebot in alle Welt hinaus, den Geistlichen gegen drei israelische Soldaten auszutauschen, die 1986 im Libanon gefangengenommen wurden. Aber die libanesischen Spieler folgten ihrem eigenen Drehbuch und veröffentlichten drei Tage später ein Videoband, auf dem der erhängte US-Marineoffizier William Higgins zu sehen war. An diesem Abend forderte US-Präsident George Bush „die Freilassung aller, die gegen ihren Willen festgehalten werden“, und Senator Robert Doles öffentliche Irritationen über Israels „einseitigen, freischwebenden Kurs“ fanden Eingang in die Nachrichtensendungen in Kansas und Tel Aviv.

Die überzeugteren Israel-Fans unter den Kollegen des Senators im Kongreß monierten umgehend und lauthals Doles Beteiligung am „terroristischen Komplott“, mit dem ein Keil zwischen beide Länder getrieben werden solle. In der Regierung löste die Panikstimmung die prozedurale Langeweile von „diplomatischen Konsultationen“ aus - unter Mitwirkung solcher Schlüsselfiguren wie Papst Johannes Paul II. und Agha Khan, dem alten Tenniskumpel des Präsidenten. Gleichzeitig wurden im östlichen Mittelmeer und dem Indischen Ozean Flottenverstärkungen zusammengezogen. Probleme mit der

Öffentlichkeit in den USA

Offensichtlich gehörte nicht viel dazu, um den Kongreß und die Regierung davon zu überzeugen, daß die „strategischen Beziehungen“ zu Israel von jedweden Störungen unberührt bleiben sollen und können. Wir, die Öffentlichkeit, so scheint es, brauchen da mehr Aufmerksamkeit. In der Tat zeigte eine Meinungsumfrage von 'Washington Post‘ und ABC News vom 3.August, daß eine Mehrheit der Bevölkerung die israelische Entführungsaktion ablehnt und 53 Prozent die Auffassung vertreten, daß Israel kein „verläßlicher“ Verbündeter sei. Amerikanische Radio- und Fernsehprogramme brachten lange Interviews mit Sprechern des israelischen Außenministeriums, und die 'New York Times‘ öffnete ihre Spalten für die übliche Ansammlung von „Terrorismus -Experten“, um die öffentlichkeit zu belehren. Ihre gemeinsame Botschaft, ebenso schlicht wie vertraut, lautete „Solidarität“: Israel mache nur das, was es müsse, und die USA sollten den schiitisch-muslimischen Terorismus bekämpfen. Für Kritik hatten die „Experten“ nur ein sehr enggefaßtes, fast rein technisches Kriterium übrig: Israel hätte sich nicht öffentlich zu der Operation bekennen sollen, und der Krieg gegen den Terrorismus erfordere im übrigen eine bessere Geheimdienstarbeit.

Es war jedoch gerade die Öffentlichkeit, auf die diese Publizität abzielte. Die Schlagzeilen in der israelischen Presse unmittelbar vor dem Überfall auf Jibchit geben die nötigen Hinweise: Shamir sah sich von seinen rechten Kritikern im Likud unter Druck gesetzt; die Arbeitslosigkeit erzielte Rekordhöhen; die Armee schätzte die Kosten für die Niederschlagung des Palästinenseraufstands in den besetzten Gebieten auf eine halbe Millionen Dollar pro Tag; die Bush -Administration beharrte auf der Fortsetzung der Gespräche mit der PLO, und, schlimmer noch, der US-Senat weigerte sich, diese Kontakte zu torpedieren. Das politische Kalkül

Was auch immer die militärische Überlegung hinter dem Austausch von Scheihk Obeid gegen drei israelische Kriegsgefangene war, die politische Überlegung schien zwingender zu sein. Wenn die IDF schon nicht die Initifada niederschlagen kann, dann kann sie doch immerhin auf Kommandoaktionen zurückgreifen, die vor zehn Jahren auf begeisterte Zustimmung in den USA gestoßen waren. Gleichzeitig würde eine erfolgreiche Operation dazu beitragen, das Image der gelähmten und ohnmächtigen Regierung der „nationalen Einheit“ in Israel selbst wieder aufzupäppeln.

Man kann es vielleicht den israelischen Strategen nachsehen, wenn sie dachten, diese Heldentat würde dazu führen, daß die Bush-Administration ihre Kontakte mit der PLO künftig auf niedrigerer Flamme kocht. Zumindest wäre es eine willkommene Ablenkung. Als der stellvertretende Außenminister John Kelly am 1.August zu einem länger geplanten Besuch in Jerusalem eintraf, war das wichtigste Gesprächsthema offenbar die Geiselfrage im Libanon und nicht die Wahlen in den besetzten Gebieten. Außerdem haben die Israelis nicht vergessen, daß frühere Meinungsverschiedenheiten mit den USA über den Libanon, vor allem nach dem Einmarsch von 1982, zu engeren militärischen und strategischen Beziehungen und einer freieren Hand Israels im Umgang mit der PLO und im Südlibanon geführt haben.

In den letzten zwei Jahrzehnten und darüber hinaus, vor allem aber seit 1967, hat Washington immer wieder Israels Politik gewürdigt, in militärischer wie politischer Hinsicht die Initiative zu ergreifen. Die für die Nahostpolitik zuständige Mannschaft der Bush-Administration unter Leitung von Dennis Ross wird ohne Wenn und Aber mit den pro -israelischen Ansichten des „Washington Institut for Near East Policy“ identifiziert. Doch seit den Zeiten, in denen Ronald Reagan und George Shultz die pro-israelischen Lobbyisten von AIPAC anführten, sind einige wichtige Entwicklungen in der Region eingetreten. Ganz gleich, wieviel Sympathie die führenden Politiker für Israel empfinden - sie sehen den Nahen und Mittleren Osten aus dem Blickwinkel des Weißen Hauses und nicht dem des Bunkers des Ministerpräsidenten in Tel Aviv. Erinnerung an Irangate

Zu diesen wichtigen Entwicklungen zählt natürlich der Aufstand in den besetzten Gebieten und die diplomatische Initiative der PLO. Washington unter George Bush ist sicher gegen die Gründung eines palästinensischen Staates, gleich in welcher Form, aber die USA können gegenüber dem palästinensischen Nationalismus Konzessionen eingehen, die Shamirs Likud nicht machen kann.

Eine andere dieser Entwicklungen betrifft Iran. Ein Waffenstillstand ist nun an die Stelle der Kämpfe im Persischen Golf getreten, Ayatollah Chomeini ist von der Bühne abgetreten, und der Inbegriff eines iranischen „Gemäßigten“, Ali Akbar Hashemi Rafsandschani ist jetzt die führende politischer Figur der Islamischen Repulik. Wenn es einen Aspekt gibt, den die ganze Iran-Contra-Affäre offengelegt hat, dann ist es das unbedingte Anliegen der USA, eine politische und möglicherweise auch militärische Arbeitsbeziehung zu der bedeutenden Regionalmacht am Golf herzustellen.

Die Entführung Scheihk Obeids durch Israel ist in Washington nicht auf Zustimmung gestoßen. Soviel ist klar. Wird das eine Veränderung in der engen strategischen Zusammenarbeit zwischen den USA und Israel nach sich ziehen? Vermutlich nicht. Die Entführung, die eine kurze Krisenperiode in Washington auslöste, könnte Washington und Teheran auch die Möglichkeit eröffnet haben, wieder irgendeine Art von Kontakten zu etablieren und bot darüberhinaus vielleicht auch einen Anstoß zur Lösung der Geiselfrage im Libanon. Aber die Verschleppung von Scheikh Obeid wirft auch ein deutliches Licht auf das Ausmaß anderer, grundlegenderer Entwicklungen - den Aufstand, den Ausgang des Golfkrieges -, die möglicherweise eine neue Phase der US-Poltik einleiten werden, eine Phase, in der Israels säbelrasselnde Initiativen eher ein Teil des Problems als ein Teil der Lösung sind.

(Der Autor ist Herausgeber der in Washington erscheinenden zeitschrift 'Middle East Report‘)