„Oostzee“ mit Kurs auf Rotterdam

Als der holländische Giftfrachter ablegte, kannte niemand das Ziel der Reise / Greenpeace kritisiert Krisenmanagement und sich selbst / Firma Dow hätte in Stade entsorgen müssen  ■  Aus Hamburg Kai Fabig

„Aus den Augen, aus dem Sinn“. Nach diesem Motto wurde am Donnerstag abend der Giftfrachter „Oostzee“ auf eine Reise ins Ungewisse geschickt. Eine Genehmigung des Zielhafens Groningen lag zu diesem Zeitpunkt nicht vor. „Junge komm bald wieder“ wollte trotzdem niemand anstimmen, als der Unglücksdampfer von der Pier in Brunsbüttel ablegte. Selbst jenen fiel ein Stein vom Herzen, die die Greenpeace -Einschätzung teilten, daß es unverantwortlich sei, den schwimmenden Haufen Sondermüll erneut in See stechen zu lassen.

Inzwischen aber ärgern sich die Greenpeace-Aktivisten darüber, daß man sich am Anfang der Geschichte überhaupt auf Brunsbüttel als Notfallhafen eingelassen hat. „Die gesamte Entsorgung hätte am Elbanleger von Dow Chemical in Stade vorgenommen werden müssen“, sagt Christoph Thies, Chemiker und einer der Greenpeace-Leute, die vergangene Woche als „Beobachter und kritische Fragesteller“ vor Ort waren. Die Entsorgung beim Produzenten hatten Dow und die niedersächsische Landesregierung allerdings mit dem Hinweis darauf verweigert, daß der Teil des Anlegers, der über die entsprechenden Kräne zur Entladung von Stückgut verfügt, nicht für brennbare Flüssigkeiten zugelassen sei. Die insgesamt 210 leckgeschlagenen oder für einen Weitertransport zu stark demolierten Epichlorhydrin-Fässer wurden jedoch dort mit einer Sondergenehmigung entladen. Die langwierige Entsorgungsprozedur hätte allerdings den Betrieb des Alu-Werkes gestört, das diesen Teil des Anlegers sonst nutzt. In dieser Frage also habe Greenpeace einen Fehler gemacht, meint Thies. „Wir müssen eben auch noch lernen.“

Dazu gehört für die Öko-Aktivisten auch die ungewohnte Rolle, sich lediglich mit dem Kurieren eines Symptoms zu beschäftigen. „Sonst machen wir mit unseren Aktionen auf die Ursachen von Umweltproblemen aufmerksam, aber unsere Funktion hier als Informationssammelstelle war sicher wichtig“, schätzt Thies die Arbeit der vergangenen Wochen ein. Die Neigung zur Mauschelei habe man zwar nicht vollständig verhindern, aber immerhin bremsen können.

Doch gerade durch die veränderte Informationspolitik sind Schwachstellen besonders deutlich geworden. Für Thies hat sich die Unbeherrschbarkeit des Unfalls auf drei Ebenen gezeigt:

-Technisch: Vom ersten Moment an war die Umwelt die Verliererin. Denn von vornherein stand fest, daß die Epichlorhydrin-Gase aus dem Laderaum direkt in die Luft abgegeben werden müßten, da eine Filterung nicht möglich war. Um Menschen so wenig wie möglich zu gefährden, sollte dies auf einem Ankerplatz in der Elbe geschehen. Doch wegen eines Sturms wurde die Lüftungs- und Bergeaktion auf der Elbe abgebrochen und der Unglücksfrachter wieder in den Hafen gebracht. Der angestrebte Grenzwert wäre aber auch sonst erst in Wochen, wenn überhaupt, unterschritten worden. Denn auch jetzt werden im unteren Laderaum, in den das Gift hineinlief, noch Epichlorhydrin-Konzentrationen von über 150 ppm gemessen.

-Behördlich: Die Einhaltung der vom Krisenstab beschlossenen Sicherheitsmaßnahmen war mehrfach nicht gewährleistet. So wurde im Laderaum der „Oostzee“ teilweise nicht mit den vorgeschriebenen Vollschutzanzügen gearbeitet.

-Politisch: Beschlüsse, die Wählerstimmen gekostet hätten, wurden nicht umgesetzt beziehungsweise gar nicht erst gefällt. Rücksichtnahmen hatten den Abschied vom beschlossenen Sicherheitskonzept zur Folge. Aus wirtschaftlichen Gründen wurde die Sicherheitszone um den vor sich hingasenden Frachter zehnfach kleiner gezogen als von Greenpeace gefordert.

Auch die Abschiebung des Frachters in Richtung Rotterdam widerspricht den Entscheidungen des Krisenstabes. Denn eigentlich sollte sich die „Oostzee“ erst dann wieder von ihrem Ankerplatz in der Elbe bewegen, wenn der Grenzwert von drei ppm erreicht sei. Nun ist der Gifttransport wieder unterwegs - mit 260 Fässern weniger an Bord, dafür aber mit einer verseuchten Restladung und Giftgasschwaden im Schiffsbauch. Das Tüpfelchen auf dem i: Als das Schiff ablegte und seine Fahrt in der Elbmündung erneut unterbrechen mußte, war es immer noch ohne Zielhafen. Doch was zählt ein Tüpfelchen, wenn sonst die Kreuzchen auf dem Wahlzettel fehlen.