: Hannoversches „Landrecht“ gegen Flüchtlinge
Niedersachsen will Asylbewerber noch vor Abschluß ihres Verfahrens abschieben / Schon der Verdacht eines Rauschgiftdelikts soll als Abschiebegrund ausreichen / Bundesjustizminister Engelhard gibt Schützenhilfe / Hannoveraner Polizei macht Großjagd auf Afrikaner ■ Von Vera Gaserow
Berlin (taz) - Die Ankündigung des niedersächsischen Innenministers Stock, Asylbewerber noch vor Abschluß ihres laufenden Verfahrens abzuschieben, wenn sie eines Drogendeliktes verdächtigt werden, hat gestern heftige Reaktionen ausgelöst. Vor der niedersächsischen Landespressekonferenz geriet das Innenministerium in arge Bedrängnis, die Maßnahme rechtlich zu begründen. Die Grünen im Landtag sprachen von einem „Niedersächsischen Landrecht“.
CDU-Innenminister Stock hatte am Donnerstag vor einem ausgesuchten Kreis von Journalisten ein neues „Rauschgift -Konzept“ vorgestellt. Hauptziel dieses „Konzepts“ sollte es sein, „den von Gambiern beherrschten Heroinmarkt“ Hannovers trockenzulegen. Dazu sollen Asylbewerber noch vor Abschluß ihres Anerkennungsverfahrens abgeschoben werden. Auch ein Gerichtsverfahren wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz will Niedersachsen gar nicht erst abwarten. Schon der bloße Verdacht eines Rauschgiftdeliktes soll für den sofortigen Weg in die Abschiebehaft und den zwangsweisen Rücktransport ins Heimatland ausreichen. Der konkrete Tatbeitrag des einzelnen Ausländers würde zwar nach der bisherigen Rechtsprechung eine Abschiebung nicht zulassen, gestand das Innenministerium gestern ein. Entscheidend sei jedoch, daß die arbeitsteilige Vorgehensweise der ausländischen Rauschgiftdealer sie als „Mitglieder einer kriminellen Rauschgiftorganisation ausweise“. Schützenhilfe für seine umstrittenen Pläne bekam Innenminister Stock gestern ausgerechnet von Bundesjustizminister Engelhard. Die Ausländerbehörden, so Engelhard in einer Presseerklärung, „dürften sich nicht scheuen, die bestehenden rechtlichen Möglichkeiten gegen derartige gemeingefährliche Straftäter konsequent und hart auszuschöpfen“.
Ob und unter welchen Voraussetzungen Asylbewerber noch vor Abschluß ihres Anerkennungsverfahrens abgeschoben werden dürfen, ist äußerst umstritten. Das Ausländerrecht läßt eine Ausweisung nur aus „schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung“ zu. Die Genfer Flüchtlingskonvention hält die Abschiebung eines Asylsuchenden nur dann für zulässig, wenn er als „Gefahr für die Sicherheit und Allgemeinheit“ anzusehen ist oder wegen eines „besonders schweren Vergehens“ rechtskräftig verurteilt wurde.
Innenminister Stock hatte seine umstrittenen Pläne zwei Tage zuvor von einer ebenso umstrittenen Polizeiaktion flankieren lassen. Am Dienstag hatte die Polizei am Hannoveraner Weiße-Kreuz-Platz, einem Treffpunkt von Afrikanern, der seit einiger Zeit als einschlägiger Drogenumschlagplatz gilt, drei Möbelwagen aufstellen lassen. Auf ein Kommando stürzten dann mehrere hundert Polizisten aus den Möbelwagen heraus und machten Jagd auf die herumstehenden Afrikaner. Unter dem Beifall von zahllosen Passanten wurden 42 Afrikaner festgenommen, von der Polizei auf den Boden geworfen und teilweise entkleidet. Einige der Verdächtigten mußten sich unter den Augen Herumstehender auf offener Straße bis auf die Unterhose ausziehen. Die „Ausbeute“ dieser publicity-trächtigen Ausländerrazzia war jedoch eher kläglich: Bei einem der 42 Geschnappten fanden die uniformierten Häscher aus den Möbelwagen 0,1 Gramm Heroin.
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