Swinging Metropolis

■ 39. Mein Humor, dein Humor

Durch drei Staatsgefüge beißt sich der Mann mit dem schier unglaublichen Glück plus Talent zum Balanceakt: Werner „Ich -stehe-hinter-jeder-Regierung-bei-der-ich-nicht-sitzen-muß“

Finck. 1972 erinnert er sich in seiner Autobiografie: „Wir Kabarettisten machten in der Weimarer Republik keine Ausnahme: auch wir unterschätzten Hitler: 'Ein Verrückter!‘ (Als ob das was ausmacht in der Politik!)“

Im Jahre 31, als die Revue schon nicht mehr ist, was sie mal war (sie abzulösen, tobt bereits der Tonfilm), inszeniert Friedrich Hollaender in seinem Tingel-Tangel den Ball einer Familie, die „mit Spießern verwandt, mit Neureichs verschwägert ist“. Das ganze heißt „Spuk in der Villa Stern“ und birgt interessantes Komödiantenfutter für Annemarie Hase. Dermaleinst vielbeschäftigt zwischen der Hesterbergschen Wilden Bühne & Leon Hirschens PolitklopperKabarett Die Wespen, hat sie der Chef des Hauses mitgeschleift vom guten alten Schall & Rauch. Hier nun singt sie auf der Habanera aus „Carmen“: „Ob das Telefon besetzt ist,/ ob die Badewanne leckt,/ ob dein Einkommen falsch geschätzt ist,/ ob die Wurst nach Seife schmeckt,/ ob am Sonntag nicht gebacken,/ ob der Prince of Wales ist schwul,/ ob bei Nacht die Möbel knacken,/ ob dein Hund 'nen harten Stuhl:/ An allem sind die Juden schuld...“

Im Chanson „Der Spuk persönlich“ versucht die Ahnfrau vergeblich, Schauder zu verbreiten: „Huhu! Huhu! Ich bin das Sexepielchen und rausch mit dem Froufrou!“ Als alles nix nutzt, versucht sies in der dritten Strophe mit rigoroseren (Text-)Mitteln: „Ich bin der kleine Hitler/ und beiße plötzlich zu!/ Ihr werdet alle in den bösen Sack gesteckt!/ Huhu! Hihi! Haha? Wauwau!/ Kein Aas hat sich erschreckt!“

Und Finck selber im gleichen Jahr, prophetischer, als er ahnt: „In den ersten Wochen des Dritten Reiches werden Paraden abgehalten. Sollten diese Paraden durch Regen, Hagel oder Schnee verhindert werden, werden alle Juden in der Umgebung erschossen.“

Die leichte Muse macht sich schwere Gedanken; für seine letzte Revue „Höchste Eisenbahn“ schreibt Hollaender 1932 den „Falschen Zug“. Das Ende kommt dem nahen Ende schon nahe: „Hab ich ein falsches Kursbuch? Sollte der Fahrplan lügen?/ Ist das richtig, daß der Zug verkehrt verkehrt?/ Ich bin doch schließlich in den 'Pacific‘ gestiegen;/ wie kommts, daß der nach Nazedonien fährt??“

Auch Fritzi Massary singt noch schnell die Schlußzeilen von „Ich bin eine Frau, die weiß, was sie will“: „Ich kenn meine Grenzen, ich höre die Zeit,/ die Stimme des Tages, da weiß ich Bescheid.“ Dann schnappt sie sich flugs ihr Ehegespons Max Pallenberg und entsteigt dem deutschen Zug.

Nicht so Finck, dessen Katakombe in der Bellevuestraße 1935 staatlicherseits geschlossen wird. Gleiches widerfährt dem Tingel-Tangel, nach Hollaenders Flucht unter Trude Kolmans Leitung. Gemeinsam mit Walter Gross & Günther Lüders (beide Tingeltangler) landet er für anderthalb Monate im KZ. Als er sehr viel später, im Winter 1938/39 im Kabarett der Komiker wieder auftritt, beweist er, daß ihm weder Mut noch genialische Kodderschnauze abhanden gekommen sind. „Hier steht der Finck - leicht gedrosselt“, teilt er mit. Von wegen! Auf den Zuruf „Frecher Judenbengel!“ kontert er: „Sie irren! Ich sehe nur intelligent aus!“

Endgültig erwischt ihn das Berufsverbot, also Ausschluß aus der Reichskulturkammer, da er auf die Umfrage des Berliner Tageblatts „Haben wir eigentlich Humor?“ antwortet: „Doch, doch! Unter uns haben wir Humor. Fragt sich nur, ob auch die über uns Humor haben.“

Haben sie nicht, wie Goebbels im Völkischen Beobachter fantasiert: „Die politische Witzemacherei ist ein liberales Überbleibsel. Im vergangenen System konnte man damit noch etwas erreichen. Wir sind in diesen Dingen zu gescheit und erfahren, als daß wir sie ruhig weitertreiben ließen.“ Schließlich begibt der sich tief ins dunkle völkische Innen: „Wir erwarten, daß die demokratischen Gouvernanten in Westeuropa erdenklich Klage führen werden über den Mangel an Freiheit der Meinung in Deutschland. Uns berührt das innerlich gar nicht mehr.“

Solch aufgesetzte Souveränität wird Tag für Tag Lügen gestraft. Auf „Sweet Sue“ singt der aufgeklärte Jugendliche den Text: „Lest das Mittagsblatt, lest das Tageblatt, alles Lüge, alles Dreck.“ Als couragiert erweist sich der bereits neulich gewürdigte - ScalaChef Eduard Duisberg. Otto Stenzel will und darf bei ihm weiter „Artfremdes“ dirigieren; Bimbo, der Tricktrommler (d.i. Ernst Weiland) tricktrommelt drauflos, und Claire Waldoff schmettert - zum Ärger der Witzfeinde - ungehindert das olle „Hermann heeßt er“ aus den 10er Jahren. Obwohl klar ist, wie durch die klammheimliche Zusatzstrophe der aktuelle Reichsmarschall marschiert: „Links Lametta/ rechts Lametta/ und der Bauch wird immer fetta./ Und in Preußen ist er Meester./ Hermann heeßt er...“ Duisberg zeichnet die mißliebige Diseuse auf offener Bühne mit einem goldenen Medaillon aus.

Norbert Tefelski