Westen macht krank

■ Das Ministerium für Gesundheitswesen der DDR warnt vor Kinderlämungsepidemie in der Bundesrepublik

In den letzten Tagen mußten einige westdeutsche Bürger, die zu Besuch bei Verwandten in der DDR weilten, wegen Erkrankung an Kinderlähmung bzw. Poliomyelitisverdacht in Krankenhäuser, u.a. in Erfurt, Dessau und Greiz, zur stationären Behandlung eingewiesen werden. So ergab z.B. die virologische und serologische Untersuchung bei dem fünfjährigen Wolfgang Weber aus Bremen, der am 7.Juli mit seiner Mutter und Geschwistern zu Besuch von Verwandten in den Kreis Zeulenroda eingereist war, daß er in Westdeutschland von dieser Seuche befallen worden ist. Allen Erkrankten wird jede nur mögliche ärztliche Hilfe zuteil.

In der DDR ist dank der Massenimpfung mit dem bewährten und allseitig erprobten Sabin-Cumakov-Impfstoff die Poliomyelitis faktisch ausgerottet. Seit der Impfaktion ist nur ein Kind, das nicht geimpft war, an Kinderlähmung erkrankt. Auch die westdeutsche Bevölkerung könnte von der Geißel dieser Krankheit befreit sein. Viele Todesopfer wären nicht zu beklagen, wenn die Bonner Regierung das großzügige Hilfsangebot der Regierung der DDR auf Lieferung des in der DDR und in anderen Ländern mit so großem Erfolg angewandten Impfstoffes angenommen hätte.

Die verantwortungslose Ablehnung durch die Adenauer -Regierung hat dazu geführt, daß jetzt von Westdeutschland aus die Poliomyelitis in die DDR und andere Länder eingeschleppt wird.

Gegenwärtig treten auch außerhalb der bekanntesten Epidemiegebiete in ganz Westdeutschland einzelne Erkrankungen an Poliomyelitis auf, die in den kommenden Wochen leicht Ausgangspunkt weiterer größerer Epidemien werden können. Angesichts der Lage empfiehlt das Ministerium für Gesundheitswesen der Bevölkerung der DDR, gegenwärtig davon abzusehen, Besucher aus Westdeutschland einzuladen und sich keinen unnötigen Gefahren durch Reisen nach Westdeutschland auszusetzen.

'Neues Deutschland‘, 26.Juli '61