Ist die Lambada obszön?

■ Der brasilianische Komponist Augusto Mannis zur Geschichte, Technik und Musik des neuen Tanzes

Augusto Mannis ist Musikwissenschaftler und Komponist, kommt aber ursprünglich von der brasilianischen Tanzmusik und fühlt sich sowohl der „E„- als auch der „U„-Musik verpflichtet. Zur Zeit baut er an der Universität von Campinas, bei Sao Paolo, das „Centro de documentacion de musica contemporanea“ auf. Dabei handelt es sich um ein brasilianisch-französisches Gemeinschaftsprojekt. Ein paralleles Zentrum wird in Paris geschaffen. In beiden Zentren wird sowohl französische als auch brasilianische Musik archiviert. Das Projekt soll dem Kulturaustausch dienen.

taz: Ist die Lambada erst letztes Jahr erfunden worden oder hat sie eine Geschichte?

Augusto Mannis: Entstanden ist die Lambada um 1927 in Zentralamerika, genauer in der Karibik und auf Kuba, und ist dann über die Region von Para und Amazonien nach Bahia gewandert. Sowohl Tanz als auch Musik sind aus sehr vielen Einflüssen gemischt. In den dreißiger Jahren wurde die Lambada von der Regierung Getulio Vargas als unanständiger Tanz verboten. Seitdem war sie mehr oder weniger vergessen. Wirklich wiederentdeckt wurde der Tanz erst 1983 von einem Bahianer namens Adelzito Teixeira, der gewissermaßen als der Erfinder der neuen Lambada do Brasil gelten darf. Teixeira ist eigentlich Architekt, verlor aber, wie so viele, in der Wirtschaftskrise seinen Job, und da er ein sehr guter Tänzer ist, eröffnete er 1983 in Porto Seguro (Bahia) den ersten Lambada-Tanzclub „Lambada Porto 38“. Danach ist er nach Sao Paolo gegangen und hat 1985 die erste Lambaderia der Stadt aufgebaut. Zur großen Welle ist die Lambada aber erst im Lauf des letzten Jahrs geworden, und das hat auch mit dem großen Erfolg der Lambada in Frankreich zu tun. Im Moment schießen die Clubs wie Pilze aus dem Boden. In Sao Paolo gibt es inzwischen mehr als zwanzig Lambaderias, die durchschnittlich sechs- bis siebenhundert Personen fassen. In der größten Lambaderia von Sao Paolo ist Platz für siebzehnhundert Tänzer.

Dabei heißt es, daß die Lambada gar nicht leicht zu tanzen ist. Die Lambaderias sind auch nicht einfach Tanzclubs, sondern erst einmal Tanzschulen.

Allerdings. Die Lambada will gelernt sein.

Können Sie den Tanz beschreiben?

Das ist nicht leicht. Vielleicht sollte man zum besseren Verständnis mit der Bedeutung des Worts anfangen. „Lambada“ heißt im Brasilianischen einerseits „Peitschenhieb“ und andererseits im übertragenen Sinn soviel wie Unanständigkeit oder Unschicklichkeit. Man kann das Wort im direkten Sinne des Peitschenhiebs auf die stark synkopierte, off-beat -betonte Musik beziehen. Die Lambada kann als Musik nicht für sich stehen, sie ist eine reine Tanzmusik. Im übertragenen Sinn der „Unanständigkeit“ läßt sich das Wort durchaus auf die Tanzbewegungen beziehen, denn die Lambada sinnlich zu nennen, wäre wirklich untertrieben - sie ist, zumindest für den Betrachter, offen sexuell.

Nur für den Betrachter?

Für die Tänzer, wenn sie nicht wirklich virtuos sind, ist es Arbeit und Konzentration.

Was ist an der „Unanständigkeit“ so schwer zu lernen?

Zunächst einmal ist die Lambada ein sehr sportlicher Tanz, eine intensive Gymnastik. Nicht umsonst kommen jetzt die ersten Aerobic-Lehrer aus Kalifornien, um sich den Tanz beibringen zu lassen und Platten zu kaufen. Entscheidend ist aber nicht der Kraftaufwand. Man muß verstehen, was im Brasilianischen „rebolar“ (wälzen, rollen) heißt, ein rhythmisch akzentuiertes Kreisen und Wiegen der Hüfte. Diese Bewegung fordert eine große Unabhängigkeit von Ober-, Unterkörper und Beinen. In brasilianischen Tänzen, etwa dem forro, gibt es sie schon lange. Allerdings wurde sie immer nur von einem Partner - der Frau nämlich - ausgeführt. In der Lambada wird sie zum ersten Mal von beiden getanzt. Sie kreist wirklich um die Hüften. Die Grundstellung ist eine Art Umarmung. Dabei wird der eine Arm sehr hoch gehalten, der andere ist um den Partner geschlungen, der rechte Oberschenkel befindet sich zwischen den Schenkeln des Partners, und Bauch schmiegt sich an Bauch. Enger geht es nicht mehr! Die Unterkörper rotieren also, die Beine machen ihre Tanzschritte nach links und rechts, vorn und hinten über die Tanzfläche, und der Oberkörper des Mannes beugt sich über den der Frau. Alles ist in Bewegung, und alles geht sehr schnell. Die Beine sind dabei übrigens immer leicht eingeknickt wie vor oder nach einem Sprung, die Paare gehen leicht geduckt, um schneller auf die Synkopen der Musik reagieren zu können.

Die Synkopen sind das zentrale Element in der Musik.

Ja, und um genauer zu sein: Eigentlich geht es nicht darum, auf die Synkopen zu reagieren, sondern darum, ihnen voraus zu sein. Die Paare versuchen, nicht ganz synchron zur Musik zu tanzen, sondern immer etwas vor ihr zu liegen.

Manchmal öffnen sich die Paare dabei auch, die Frau dreht eine Pirouette, und ähnliche Figuren.

Ich nehme an, daß das neuere Entwicklungen sind. Teixeira, der „Erfinder“ der Lambada, hat mir das bestätigt. Die Lambada entfernt sich von ihren Ursprüngen. In gewissen Lambaderias fängt man schon an, die Lambada nach anderen Musiken zu tanzen. Und da die Lambada einerseits sehr schwer zu tanzen ist und andererseits viele Leute Lust dazu haben, nähert sie sich nach und nach bekannteren Tänzen an - Rock, Samba usw.

Wie erklären Sie sich den Erfolg der Lambada. Ist es eine Mode oder mehr?

Es gibt viele solche Modewellen in Brasilien. Sehr beliebt waren ein paar Jahre lang auch die kareoke-Clubs. Dort werden bekannte Schlager gespielt, aber ohne die Stimme. Die wird von Leuten aus dem Publikum ergänzt, so daß sich jeder mal als Schlagersänger profilieren kann. Erfunden wurde das, glaube ich, in Japan. Heute werden die kareoke-Clubs geschlossen und an ihrer Stelle Lambaderias eröffnet. Bekannte brasilianische Popstars singen Lambadas, und der Boom ist da.

Wer tanzt die Lambada?

Man sagt, die Lambada sei deshalb die größte Tanz- und Musikwelle seit langem, weil sie es geschafft hat, das berühmte Prozent der reichen Leute in den Städten anzuziehen, die in die Lambaderias der Vorstädte aufgebrochen sind. Diese seltene soziale Einigkeit beginnt allerdings schon wieder zu zerbrechen. In Sao Paolo haben schon zwei oder drei sehr luxuriöse Lambaderias aufgemacht, wo der Eintritt vier- oder fünfmal teurer ist als bisher und wo die wohlhabenden Lambadatänzer unter sich sind.

Wie erklären Sie sich das europäische Interesse an der Lambada?

Es ist immer dasselbe: Die Europäer waren immer von der Exotik und der Kultur der Sinnlichkeit in Brasilien fasziniert. Was es hier sonst noch gibt, interessiert sie nicht. Dieselbe Geschichte wie mit der Lambada ist Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts schon einmal passiert. Damals hieß der Tanz „maxixe“, eine Art Habanera. Die Musik wurde von Blasorchestern gespielt. Natürlich war der Tanz als obszön verboten. Aber in Paris war er groß in Mode, und auch in Deutschland war er sehr bekannt. Einmal kam ein deutscher General nach Brasilien, um Manöver der brasilianischen Armee zu beobachten. Nach den Manövern spielte die Militärkapelle auf. Der General fragte, ob sie nicht einen „maxixe“ spielen könnte. Danach haben die brasilianischen Behörden das Verbot des Tanzes aufgehoben. Interview: Thierry Chervel