ZWISCHEN DEN RILLEN

 ■  My colour is blue

Aus dem Leben eines Taugenichts: Dreizehn Tearjerker -Balladen für das innere Würstchen, das gern noch wachsen will. Straight from the heart. Seit dem Ende von Orange Juice vor mittlerweile fast fünf Jahren bildet Edwyn Collins eine Lost Generation für sich. Mit seiner alten Wandergitarre tingelt er durch die Zauberlandschaft seiner schönen Seele und schüttelt dann und wann ein paar Songs daraus hervor. Vorsicht! Solche Leute neigen zu vergrübelten Selbstgesprächen: „What is your number? My number is zero! And what is your colour? My colour is blue!“ Das haute selbst Zeitgeistschreiber um und ließ sie wie kleine Kinder schluchzen.

Man muß allerdings schon wirklich ein Herz aus Stein haben, um sich nicht von diesen Orpheus-Gesängen erweichen zu lassen. Nein, ganz automatsch leidet man mit, wenn Edwyn durch alle erdenklichen Höhen und Tiefen des armen, kleinen Menschenlebens jagt. Er wird verlassen, gequält, getreten, verlacht, gedemütigt, aber es macht ihm nix. Immer noch hat er genügend Power, um uns, seinen Partnerseelen in der weiten Welt draußen, tröstend den Arm um die Schulter zu legen und zu säuseln: „You're better than you know.“ Wie macht der Mann das bloß? Wie steckt er all das weg? Er verrät's ein Stück weiter, wo er in allerleichtestem Bruder -Luftikus-Ton „I'm pushing it to the back of my mind“ summt (Ich verdrä-hä-hängs einfach...). Natürlich ist das ein Witz. Sarkasmus, Zähnezusammenbeißen (bitter, oh so bitter!!) und dann weiter: „Looks like my high flying fairweather friends have gone.“ Ja ja, Freunde in der Not..., wie wahr! Schon naht „The beginning of the end“.

Doch Elend und Glanz liegen - auch wieder wahr! - dicht beieinander. „Let me put my arms around you“, singt Edwyn verzückt und sanft verblödet wie Verliebte nun mal sein können. Selbstverständlich dauert es nicht lange, bis das Glück zerbricht und der Zug wieder nach Nirgendwo fährt. Zeit für ein Quentchen Philosophie: „I guess it's just the pace of life, that's tearing us apart...“ Ganz zum Schluß dann das vermächtnisartige Titelstück, wo der Meister der Tiefgangsschnulze sein ewiges Gebeuteltsein im Licht existentieller Wahl erglänzen läßt („You were offered hope, but you chose despair“), die noch formbare Jugend der Welt ein letztes Mal eindringlich vor falschen Propheten warnt und sich dann mit einem Augenzwinkern verabschiedet.

Oh St. Edwyn, bescher uns doch bald wieder so eine Platte! Vielleicht nächstes Jahr zu Weihnachten? Oder nein, wenn du so lange brauchst, um deine Lieder in Glück und Leid, im Guten wie im Schlechten, im Unter- wie im Überbewußtsein reifen zu lassen - dann doch lieber erst wieder in fünf Jahren. * * *

Nun begab es sich aber, daß die Saure-Gurken-Zeit auch noch das Werk eines weiteren Altmeisters in der Herstellung chemisch reinen Sentiments auf den Markt warf. Im doppelten Sinn zur Unzeit, denn erstens sollte die Platte in Herbststimmung eingeatmet werden, und zweitens gehören die „Protest Songs“ ins Gesamt-Oeuvre von Paddy McAloons Prefab Sprout vor deren letzte LP „From Langley Park to Memphis“. Die Veröffentlichung der fertigen Platte wurde 1985 aus Marketing-Gründen gestoppt.

Wahrscheinlich ist die Zahl derer, die gleich nach Erscheinen in den Laden gestürzt sind, um die „Protest Songs“ dann zu Hause mit zittrigen Fingern aus der Hülle zu zerren, eher kleiner geworden. Die Platte taugt nicht mehr zur Definition aktueller Gefühlslagen. Es läßt sich wenig an ihr demonstrieren, nichts mit ihr beweisen. Die bei Prefab Sprout von Anfang an vorhandene Neigung, Schönheit ausschließlich als zerbrechlich-blasses, feingesponnenes Song-Gebilde, als Kunstlied mit gebrochener Akkord-Rhetorik zu verstehen und mit der alten Vorstellung von Poesie als Energie aus Abgelebtem im Pop-Universum etwas zu bewirken, schält sich hier - mit Tendenz zur Klage - nochmals in Reinkultur heraus. Das ist alles, mehr verträgt der Songwriter-Kosmos McAloonscher Prägung in der 1985er Ausgabe offenbar nicht. Bleibt immerhin der belagerungsfreie Genuß einer Musik, von der der Definitions- und Überhöhungstroß schon seit längerem abgezogen ist. Der letzte Song wußte es: „There'll be no stampede on the pearly gates.“

Thomas Groß

Edwyn Collins, Hope & Despair (Werk)

Prefab Sprout, Protest Songs

(Kitchenware/CBS)