Schnell und eng in die Neunziger

■ Brasilien und Frankreich tanzen Lambada, Amerika merkt auf und Deutschland schläft Wie der Tanz entstand und wie er gemacht wurde

Endlich!“, ruft der 'Nouvel Observateur‘ in seiner Titelgeschichte vom 20.Juli. Eine Woche nach dem Bicentenaire hat er die Revolution längst vergessen und annonciert eine neue. Diesmal wird sie allerdings importiert, aus Brasilien, ein Tanz. „Endlich! Nach zwanzig Jahren isolierten Zuckens, mitten in der Aids-Explosion, nach der schwarzen Ära des Puritanismus tanzen die Paare Lambada, und die Lambada hat nur ein einziges Programm: sea, sex and smile.“

In Brasilien ist die Lambada der Tanz der Saison. Seit dem Karneval im letzten Jahr entstehen in allen Städten Lambaderias, zugleich Diskotheken und Tanzschulen, denn die Lambada ist nicht leicht zu lernen. Aber alle wollen sie können: Schwarze und Weiße, Arme und Reiche, Junge und Fünfzigjährige. Sie ist schnell, eng und lasziv. Die Paare müssen sich umschlingen, den rechten Schenkel zwischen die Schenkel des Partners, leicht in die Hocke gehen und auf die treibenden Synkopen einer Musik hören, die sich aus karibischen Einflüssen und den brasilianischen Tänzen Samba und forro zusammensetzt (s. Interview).

Wie kommt es aber, daß diese brasilianische Mode - eine von vielen, die sich in diesem Land ständig ablösen - auch in Frankreich soviele Anhänger findet und daß die Tänzer zur Jahrhundertfeier des Eiffelturms nicht einen Walzer-, sondern einen Lambada-Wettbewerb abhalten? Der 'Nouvel Observateur‘ hat recherchiert und herausgefunden, daß die Massen sich um so spontaner erheben, wenn sie von ferne gelenkt werden. Denn bevor man einen neuen Sommertanz und womöglich nach dem asexuellen Aerobic- und Bodybuilder -Körperideal der achtziger Jahre ein sinnlicheres für die neunziger lanciert, muß man an Geld und Strukturen, Radios, Fernsehen, Reklame und Kommunikation denken.

Dafür hat ein gewisser Jean Karakos gesorgt, ein alter Routinier des Showbusineß‘. Er schuf Ende der sechziger Jahre das Byg-Label, auf dem er die Creme des Blues, des Free Jazz und des Rock versammelte, und die Zeitschrift 'Actuel‘ in ihrer ursprünglichen Form. Dann organisierte er zwei Rockfestivals und blieb auf einer Million Francs Schulden sitzen. Aber Karakos, sagt der 'Nouvel Observateur‘, ist ein Bretone und also Dickkopf. Er arbeitet sich wieder hoch, produziert Alan Vega (100.000 Platten), Toure Kunda, Material, zieht nach New York und arbeitet mit Herbie Hancock (in der Zeit von „Rock it“). Karakos hat immer ein Ohr auf neue Töne. Eines Tages spielt ihm Remi Kolpa-Kopoul, ehemals Journalist bei 'Liberation‘ und Fan brasilianischer Musik, einen Sampler vor, sein Titel: „Tempo de Bahia“. Karakos explodiert: Das ist genial!

Zur selben Zeit treibt sich ein gewisser Olivier Lorsac in einer kleinen Hafenstadt des brasilianischen Nordostens herum. Auch Lorsac ist ein alter Hase im Showbiz. Er arbeitete bei Europe 1 und RTL und gründete 1975 Melody Movies, eine Produktionsgesellschaft für Kurzfilme, mit der er über 800 Werbespots herstellte. Nebenbei finanzierte er Projekte von Chabrol, Pialat, Risi, Tavernier, William Klein, Sarah Moon. 1984 produziert er Jacques Doillons Piratin. Der Film wird für den Wettbewerb in Cannes ausgewählt und hat einen enormen Publikumserfolg. Lorsac kann von den Gewinnen fast zwei Jahre lang leben. Aber er erliegt einer Versuchung: selber Filme zu machen. 1987 dreht er In extremis. Der Film ist ein Flop. Lorsac packt seinen Koffer und haut ab nach Brasilien. Eines abends, in einer kleinen Hafenstadt des brasilianischen Nordostens, sieht er die Lambada - coup de foudre.

Zufällig sind Lorsac und Karakos alte Freunde. Die Lambada wird ihr gemeinsamer Schatz. Die Frage ist, wie der Wunderbaum nun Früchte gibt. Antwort: Erst mal das Terrain absichern. Karakos macht die Runde bei den brasilianischen Verlegern der Lambada-Musik. Er kauft für die von ihm und Lorsac gegründeten „BM Editions“ 400 Titel. Preis: 150.000 Dollar. Auch das Wort „Lambada“ selbst wird weltweit als Warenzeichen eingetragen. „Lambada“ wird zur Marke für tropischen Tanz.

Zurück in Frankreich kontaktieren die beiden den staatlichen Fernsehsender Antenne 2, mit dem sie ihren Tanz pushen wollen. Die ersten Gespräche sind vielversprechend. Aber Antenne 2 ist zu langsam. In einem Flugzeug trifft Lorsac einen Freund mit Beziehungen zum kommerziellen Fernsehsender TF 1. Er arrangiert ein Treffen von Lorsac und Dominique Cantien, der künstlerischen Leiterin des Senders. Sie sieht sich Lorsacs Lambada-Reportage an, hört die Bänder und konsultiert ihren Chef.

„Zwei Monate lang“, so Dominique Cantien zum 'Nouvel Observateur‘, „hat die Mannschaft von TF 1 auf den Gängen Lambada getanzt. Wir haben uns also entschlossen, es zu versuchen. Für uns war es eine wirkliche Premiere: Wir wollten zeigen, daß ein Fernsehsender ein Produkt lancieren kann.“ Was noch fehlte, war ein echter Sponsor. „TF 1 Publicite“ wandte sich an die Limonadenfirma Orangina, natürlich nicht von ungefähr. „Oranginas Konzept ist der Süden“, sagt ein Werbemann, „Sonne, Spaß und Spontaneität: Aber Orangina hatte ein Problem - getrunken wird die Limonade von zehn- bis 15jährigen und dann wieder von den über 25jährigen. Die 18 bis 25jährigen sind Oranginas schwacher Punkt. Die Lambada kam gerade recht, um diese Lücke zu füllen.“

Orangina legt einen Scheck von einer Million Francs hin, damit Lorsac einen Lambada-Clip drehen kann. Lorsac ist zugleich mit TF 1 Koproduzent seines Clips. TF 1 verpflichtet sich im Gegenzug zu 250 Ausstrahlungen des Clips. Alle machen dabei Gewinn. TF 1 gibt keinen Centime aus und poliert sein Image. Orangina kriegt Rabatt auf seine Werbekampagne (was die Firma nicht hindert, weitere drei Millionen in die Reklame zu stecken).

Letztes Detail: die Plattenfirma. Nachdem sie den Vertrag mit TF 1 abgeschlossen haben, gehen Lorsac und Karakos zu CBS. Karakos kennt den Chef des Hauses, Henri de Bodinat, der mit ihm am Konzept von 'Actuel‘ zusammengearbeitet hat. Bodinat riecht den Coup. Man entscheidet, ein Doppelalbum, eine Single, eine Kassette und eine Compact Disc herauszubringen. Der Coup gelingt. Europe 1 und Radio NRJ steigen ein und verpflichten sich, den Titel zu unterstützen. Nach einigen Tagen der Unklarheit und sieben Showsendungen im TF 1 kommen die ersten Zahlen: An einem einzigen Tag, dem 12.Juli, wurden 35.000 Singles verkauft. Am Tag darauf: 40.000. Das ist nur der Anfang. (Kleinigkeit am Rande. Der Singletitel wurde nicht in der brasilianischen Originalversion auf den Markt geworfen, sondern in einer Aufnahme von Toure Kunda und seinen Musikern.)

Dominique Lefebvre, künstlerischer Leiter der CBS Frankreich, zum 'Nouvel Observateur‘: „Wir hoffen, daß wir bis zum Jahresende eine Million Singles verkaufen können. Hinzu kommen die Doppelalben und die Rechte im Ausland. Die Platten werden jetzt überall in Europa herausgebracht.“

Die französischen Diskotheken haben sich auf die neue Welle eingestellt: Mehr als hundert Nachtclubs haben schon das Demonstrationsvideo gekauft, in dem zwanzig Brasilianer zeigen, wie man Lambada tanzt. Der 'Nouvel Observateur‘ ist sicher, daß sich die Lambada durchsetzt. „Seit zwanzig Jahren“, sagt Olivier Lorsac, „tanzen die Leute allein. Mit der Lambada tanzen sie endlich wieder zu zweit, oder auch zu dritt, wenn sie wollen. Es ist die Rückkehr zur Sinnlichkeit.“ Lorsac und Karakos können sich jedenfalls die Hände reiben. Sie teilen sich mit TF 1 ein Viertel der Einnahmen aus den Plattenverkäufen und bekommen als Verleger der Musiktitel fünfzig Prozent der Sendegebühren. Ein schöner Tanz und ein schönes Geschäft.

thc

Als einzige Lambada-Platte ist in Deutschland bisher die Single „Lambada“ von der Gruppe Kaoma erhältlich (CBS 655011). Alle anderen Platten sind nur durch den Import erhältlich. Der französische, von Lorsac und Karakos herausgebrachte Sampler heißt: „Lambada“ (Div., 2 LP, CBS 4655991). In Brasilien gibt es selbstverständlich Dutzende von Lambada-Platten, hier eine willkürliche Auswahl Lambateria tropical (Sampler), Som live 4060041; Geronimo: „Danda“, Continental, Continental 107405367; Banda Riflexu's: „Da mae Africa“, EMI Brasilien 0627485441; Margareth Menezes (ohne Titel), Polydor Brasilien 8374591.