„Bis endlich die Weiber kamen mit den Axen“

■ „Margaretha Jedefrau“ lebte in Freiburg vom 13. bis 18.Jahrhundert und hatte ständig Ärger mit der Obrigkeit / Ihr wurde der Prozeß gemacht wegen Unzucht, Kindsmord und Diebstahl / Freiburger Historikerinnen schrieben eine Frauen-Stadtgeschichte

Zwei Freiburgerinnen erzählen Geschichten von Frauen, die in Freiburg Geschichte machten. Wie alles anfing? Mit einer feministischen Stadtrundfahrt.

Wut über das Vergessen der Frauen in der Stadtgeschichte und Lust am Quellenstudium waren der Antrieb zur Spurensicherung, bald überwog die Begeisterung an den ersten Funden. Sully Roecken und Carolina Brauckmann machten sich das politische Klima Freiburgs zunutze (so wie zwei Jahrhunderte zuvor die Frauen des Freiburger „Weiberkriegs“) und setzten mit Unterstützung der örtlichen Frauenbeauftragten und des Stadtarchives ein zweieinhalbjähriges Forschungsprojekt durch. Das Resultat ihrer Arbeit ist Margaretha Jedefrau, ein Buch über Frauen, die in Freiburg vom 13. bis 18.Jahrhundert.

„Wir hätten Margaretha auch in einer anderen Stadt finden können, denn natürlich ist Margaretha nicht einmalig. Es gibt sie überall und zu jeder Zeit, nur in den Geschichtsbüchern gibt es sie offenbar nicht.“ Wer Margaretha ist, vielmehr war, wie sie lebte und wie sie arbeitete, nicht zuletzt welchen politischen Einfluß sie ausübte - das sind die Fragen, die die Autorinnen interessierten.

Anschaulich arbeiteten sie historisches Material auf, um so Auskunft zu gewinnen über den Alltag und die Lebensbedingungen von Frauen. „Neben Ratsprotokollen, Klosterchroniken und Zunftbüchern lasen die Historikerinnen die Freiburger Prozeßakten (Criminalia). Ihrer Ansicht nach eine - im Rahmen der Frauengeschichtsforschung - bislang zu wenig beachtete Quelle, die sich für das 16. und 17.Jahrhundert als besonders aufschlußreich erwiesen hat. “...ein so elendes Dasein“

Über weite Strecken liest sich die Geschichte Margarethas als „ein so elendes Dasein“. Neben Diebstahl war Unzucht mit Soldaten eines der Massendelikte, für das Frauen immer wieder verurteilt wurden. Der angedrohten physischen Quälerei (Ohr abschneiden, Auspeitschen, Brandmarken) nicht genug, die Verurteilte mußte auch noch, um ihre rückhaltlose Unterwerfung zu dokumentieren, Urfehde schwören. Erst nach dem Unterschreiben des vorgefaßten Schuldeingeständnisses endete die Gerichtsverhandlung und der Strafvollzug konnte beginnen. Bei „wiederholter fleischlicher Versündigung“ steigerte sich das Strafmaß.

Waren es zunächst nur wenige Rutenhiebe und eine Geldstrafe, wurde sie bei „Wiederaufnahme des Luderlebens diesmal an den Pranger gestellt.“ Ungewollte Schwangerschaften,

Kindsmord und Tod

Im Falle der Kindsmörderin Ursula Stöckhlin haben die Autorinnen mehrere Zeugenaussagen gefunden umd diese weitgehend unkommentiert nebeneinander gestellt. Besonders erschütternd lesen sich die Darstellung der hilflosen Versuche der Dienstmagd, zuerste ihre Schwangerschaft zu vertuschen, um dann den lebendigen Beweis ihrer „verlorenen Ehre“ zu beseitigen. “...als sie noch auf dem Heulager, sei ihr gar eine starke Kindswehe kommen, dashalb alsbald aufgestanden und über das heimliche Gemach gesessen. Da sei alsobald alles miteinander von ihr gefahren und hinuntergefallen und kein Mensch bei ihr gewest.“ Am 10.April 1655 verurteilte das Malefizgericht Ursula Stöckhlin „vom Leben zum Tod mit dem Schwert.“

Warum, so fragen die beiden Frauengeschichtsforscherinnen, gerieten so viele junge Frauen in die Lage, „Schande und Schuld“ auf sich zu laden und ihr Leben zu vergeuden? War das ein unentrinnbares Schicksal? Nicht Schicksal, lautet die Antwort, sondern primär existentielle Not, insbesondere nach dem 30jährigen Krieg. Deutschland verlor seine führende Stellung innerhalb der europäischen Wirtschaft. Kriegslasten, territoriale Fürstenmacht, sich verschärfende Konkurrenz im gewerblichen Bereich und beginnende widerpruchsvolle feudalabsolutistische Zunftpolitik kennzeichneten den gesamtgesellschaftlichen Umwandlungsprozeß. Gewerbe wie die Edelsteinverarbeitung oder das Textilhandwerk (das in Freiburg und für Frauen sowieso eine wesentliche Rolle spielte) lagen völlig darnieder. Freiburg wurde zunächst vorderösterreichische und später französische Garnisonsstadt, und die Soldaten taten ihr übriges dazu, jene „Ära der ledigen Mütter“ und unzüchtigen Soldatenhuren einzuläuten. Emotionale Zuneigung, das Bedürfnis nach menschlicher Zuwendung, ein vorgelogenes Eheversprechen und nicht zuletzt die Enteigung des Wissens über Verhütungsmittel (vernichtet mit den Hexenprozessen) nennen die Autorinnen als Gründe, warum so viele Frauen ungewollt schwanger wurden. Frevlerische Weiber

Aber es gab auch Frauen, die selbständig Klage erhoben: Am 11.6.1680 beispielsweise verklagte die verheiratete Elisabetha Ehrmeyerin zwei französische Offiziere, die versucht hatten, sie zu vergewaltigen. Aufgrund der Zeugenaussage des Vorgesetzten nahm der Prozeß folgende, auch heute noch sehr bekannte Wendung. “...daß das Weib eine Hure (sei), und (er) habe sie gebraucht, könne sie auch haben, wann er wolle.“

Manche Frauen jedoch stellten sich dem historischen Prozeß der Domestizierung und Enteigung selbstbewußt entgegen.

Agatha Haimlich beispielsweise, die sich zur Zeit des Bauernkriegs mit den aufständischen Bauern traf. Zurückgekehrt verkündete sie lauthals ihre Solidarität mit den Bauern. Sie klärte alle darüber auf, daß die Bauern sich lediglich im Kampf gegen den Adel und Klerus befänden, nicht aber den „gemeinen Mann“ schädigen wollten; denn: „Kein Teufel tut dem andern nichts.“

Oder: Margaretha Gratzköpffin, die, wegen Ehebruchs bereits verurteilt, trotzdem nicht auf ein sinnliches Leben verzichtete und sich weiterhin mit ihrem Geliebten traf. Entschlossenes Handeln

mit der Axt

Freiburger Bürgerinnen waren es auch, die 1756 das politische Kräfteverhältnis zu nutzen verstanden. Um den Stadtbürgern die Rechte zu erhalten, nachdem Bittgesuche bei Bürgermeister und Stadtpfarrer nichts ausrichteten, bewaffneten sich einige Frauen mit Äxten und befreiten ihre im Turm einsitzenden Zunftbürger einfach selbst. Weder Ritterschaft noch Militär behinderten „jenen unerhört frevlerischen Vorgang“, denn schon längst fühlte sich die Feudalaristokratie von dem zentralistischen Reformkurs der habsburgischen Landesregierung bedroht. Interessengemeinschaft zwischen Stadtbürgertum und Feudaladel einerseits, entschlossenes Handeln von Frauen andererseits verhalf (zumindest für den Moment) zum Sieg.

Da sage noch jemand, Margaretha hätte am politischen Geschehen nicht aktiv teilgenommen!

Johanna Zoller

Sully Roecken/Carolina Brauckmann, Margaretha Jedefrau, Kore Verlag, Freiburg 1989