: Vom IRA-Bombenspezialisten zum Quäker
■ Als 14jähriger stieg Shane O'Doherty in die IRA ein und bastelte voller Begeisterung Bomben / 1975 bekam er 30 Mal lebenslänglich / Im Knast wandelte er sich zum Gegner des bewaffneten Kampfes / Von Ralf Sotscheck
Als die britische Armee vor 20 Jahren in Derry einmarschierte, war Shane O'Doherty 14 Jahre alt. „Ich habe das erste Mal daran gedacht in die IRA einzutreten, als ich gelesen hatte, wie die Republik ihre Freiheit von Großbritannien errungen hat: durch Gewalt, IRA-Gewalt. Ich habe diese Leute schon als Kind bewundert.“ O'Doherty und seine vier Brüder stammen aus einer bürgerlichen katholischen Familie. Der Vater war Grundschullehrer in einer „Christian Brothers„-Schule. Die Familie lebte am Rande des katholischen Gettos Bogside in Derry. Als die Bürgerrechtsbewegung 1968 mit ihren moderaten Forderungen nach allgemeinem Wahlrecht und fairer Wohnungs- und Jobvergabe auf die Straße ging, reagierten die Protestanten mit Gewalt. Tagelang belagerten sie die Bogside, unterstützt von der fast ausschließlich protestantischen Polizei. „Wir kämpften bis zum Umfallen, um die Polizei von der Bogside fernzuhalten. So oft wie möglich war ich an vorderster Front.“
Die britische Armee wurde daher freudig als „Friedensstifter“ begrüßt. „Die gesamte katholische Bevölkerung war froh, sie hier zu sehen. Sie sorgten über Nacht für Sicherheit auf den Straßen. Sie waren Briten; sie schienen neutral zu sein. Ich erinnere mich noch gut daran, daß ich oft Bananenbrote und Kaffee zu ihnen brachte.“ Doch die Flitterwochen hielten nicht lange an. Schon bald übernahm die britische Armee die Rolle der Polizei und machte den protestantischen Paraden durch die katholischen Gettos die Straße frei. In den Augen der Katholiken hatte die Armee damit ihre Unschuld und Neutralität verloren. In dieser Situation fand die Wiedergeburt der IRA statt. „Viele in meinem Alter wollten in die IRA eintreten.“ Es gelang O'Doherty durch Vermittlung von zwei Schulfreunden in die IRA zu kommen.„Das war der größte Augenblick meines Lebens. Ich war nicht mehr länger ein normaler Schuljunge.“
In der Folgezeit meldete sich O'Doherty freiwillig zu Bombenanschlägen, wann immer sich eine Gelegenheit ergab. Als er 1970 an einem IRA-Trainingslager in der Republik Irland teilnahm, entdeckten seine streng pazifistischen Eltern auf ihrem Dachboden die Bombenwerkstatt sowie unzählige Kondome. Die dienten zur Zündverzögerung der Bomben. O'Dohertys Familie hatte bis dahin nichts von seinen Aktivitäten gemerkt. Der Vater schmuggelte die Chemikalien aus dem Haus und versenkte sie mitsamt den Kondomen im Fluß Foyle. O'Doherty verließ daraufhin sein Elternhaus im Streit und tauchte unter. 1971 wurde sein Freund das erste Opfer der britischen Truppen in Derry. Der Tod des 19jährigen löste einen starken Zustrom zur IRA aus. O'Doherty spielte nun nicht mehr die zentrale Rolle in der Organisation. „Ich löste mich langsam von der IRA. Anfang 1972 war ich praktisch draußen.“ Doch dann kam der „Bloody Sunday“.
Am 30. Januar 1972 eröffneten britische Fallschirmjäger das Feuer auf eine friedliche Bürgerrechtsdemonstration in Derry und töteten 14 Menschen. „Wir hörten die ersten Schüsse, dann die Schreie. Es herrschte totale Panik. Später sah ich Polizisten und Soldaten herumstehen und grinsen. Sie waren der Meinung, sie hätten Terroristen erschossen. Aber es waren alles Zivilisten. Ich sagte mir, daß es jetzt Zeit sei, wieder aktiv bei der IRA einzusteigen.“ O'Doherty baute wieder Bomben, die auf gestohlenen Lastwagen ins Zentrum Derrys gebracht wurden. „Mir war klar, daß ich entbehrlich war. Aber weil ich bereit war, ein so großes Risiko einzugehen, hatte ich auch einen besonderen Status in der Derry-Brigade.“ 1973 dehnte die IRA ihre Bombenkampagne auf England aus, doch die IRA-Einheit wurde verhaftet und verurteilt. Deshalb verlegte man sich auf Briefbomben, die per Post an konservative Politiker geschickt wurden. Baumeister der Bomben, die schwere Verletzungen verursachten: O'Doherty. Als die IRA 1975 einen Waffenstillstand mit der britischen Regierung vereinbarte, kehrte er nach Derry zurück, weil er der Meinung war, daß die „Sicherheitskräfte“ niemanden verhaften würden. Doch die Polizei hatte seine Fingerabdrücke auf den Briefbomben sichergestellt.
Der Prozeß vor dem Londoner „Old Bailey“ fand unter größten Sicherheitsvorkehrungen statt. Die IRA hatte nach O'Dohertys Verhaftung einen Polizisten aus „Rache für den Bruch des Waffenstillstands“ erschossen. O'Doherty wurde zu 30 Mal lebenslänglicher Haft verurteilt. 14 Monate verbrachte er nackt in Einzelhaft, weil er sich weigerte, die Gefängnisuniform anzuziehen. Ende 1977 trat jedoch eine Wandlung ein. „Ich begann, die Schriften der Quäker über Frieden und Gerechtigkeit zu lesen. Ich gelangte unausweichlich zu der Überzeugung, daß man durch Töten keine gerechte Gesellschaft schaffen kann.“ O'Doherty schrieb an die Opfer seiner Briefbomben und entschuldigte sich. Die meisten akzeptierten die Entschuldigung jedoch nicht. Auch einer seiner Brüder, die den Kontakt zu ihm abgebrochen haben, ist nicht von seiner „Läuterung“ überzeugt.
Für O'Doherty hat sich die Abkehr von der IRA bezahlt gemacht. Er wurde zunächst in das nordirische Hochsicherheitsgefängnis Maghaberry verlegt und wird demnächst auf Bewährung entlassen. „Wir haben die Grenze zwischen Nord- und Südirland nicht abgeschafft, sondern sogar neue Grenzen in den Köpfen geschaffen. Diese Grenzen trennen nordirische Städte, Straßen und Familien. Wir haben die Polarisierung der Bevölkerung verschärft.“
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