„Das weiche Wasser bricht den (Ram-)Stein“

Die Mehrheit der Ramsteiner boykottierte das Hearing der Friedensbewegung zur Katastrophe beim Flugtag auf dem Air-base in Ramstein vor knapp einem Jahr / Amoklauf der CDU gegen die Veranstalter / Experten fordern Friedensstrukturplan für die Pfalz  ■  Von Klaus-Peter Klingelschmitt

Ramstein (taz) - Mehrere hundert Menschen folgten am Sonntag dem Aufruf der „Initiative wider das Vergessen“ und kamen nach Ramstein, um - knapp ein Jahr nach der Flugkatastrophe auf der Air-base - mit einer Demonstration und im Rahmen eines Hearings der 70 Toten des Flugtages auf der Air-base im August '88 zu gedenken und Konsequenzen einzuklagen. Die Veranstalter um die Ramsteiner Bürgerinitiative „Mer schnappe nimmer!“ hatten mit rund 5.000 Demonstranten gerechnet, doch die Einwohner von Ramstein boykottierten nach einer beispiellosen Hetze der Christdemokraten aus der Region die Veranstaltung der rheinland-pfälzischen und der saarländischen Friedensbewegung. Der Ramsteiner CDU -Bürgermeister Julius Divivier verweigerte der Initiative das Haus des Bürgers und bezeichnte die Organisatoren als „Staatsfeinde und Kommunisten“. Und die Junge Union demonstrierte noch am Vorabend des Hearings in Ramstein gegen die Initiative, die aus einem „Berg von Toten politisches Kapital schlagen“ wolle. Daß auch die rheinland -pfälzische SPD dem Hearing die Unterstützung verweigerte und die Teilnahme der saarländischen SPD am Hearing sabotieren wollte, hat für Verärgerung bei den Genossen an der Saar gesorgt.

Der Tag in Ramstein hatte mit einem Gottesdienst an der Air -base begonnen, dessen Teilnehmer anschließend zum Ort des Hearings vor dem Ramsteiner Bürgerhaus marschierten. Wiederholt wurden die Demonstranten von Ramsteiner Bürgern beschimpft. Eine der wenigen mitdemonstrierenden Ramsteiner Bürgerin schämte sich im Anschluß an eine erste Kundgebung vor dem Bürgerhaus öffentlich - am Bühnenmikrophon - für die „Ignoranz“ ihrer Mitbürger. Waltraut Delaber von der BI wurde wochenlang am Telefon beschimpft. Und Brigitte Berthold von der saarländischen SPD mußte sich als „Russenhure“ beleidigen lassen.

Daß es mit dem Kampf gegen den Fluglärmterror und gegen Flugshows in der Pfalz nicht getan sei, machten im Anschluß mehrere Redner auf dem Hearing deutlich. Gefordert wurde ein umsetzbares ökonomisches Alternativkonzept zur militärischen Infrastruktur in der Region, damit der Bevölkerung auf dem Flugzeugträger Pfalz eine friedliche Lebensperspektive geboten werden könne. Bislang akzeptiert sie die „lebensbedrohliche Militärmaschinerie“ schweigend aus wirtschaftlichen Gründen.

Das Mitglied des Bundesvorstandes der Grünen Martha Rosenkranz warf der CDU-Landesregierung in Rheinland-Pfalz vor, bislang keine dieser strukturpolitischen Maßnahmen ergriffen und im Gegenteil mit der Aufforderung an die Bevölkerung zur Teilnahme an den Ramstein-Flugtagen die Akzeptanz für die Dauerpräsens der Militärs in der Region erhöht zu haben. Und mit Blick auf den SPD-Vertreter, der sich zuvor für die Einstellung aller Tiefflüge ausgesprochen hatte, erklärte Rosenkranz, daß damit allein das „Grundproblem Militärmaschinerie“ nicht aus der Welt geschafft werden könne. Rosenkranz: „Die Bundesrepublik muß raus aus der Nato.“ Die „soziale Bewegungen“ seien jetzt gefordert, denn auf die Politiker könne man sich hierbei nicht mehr verlassen. Der Hoffnung, daß auch in der Pfalz die Friedensbewegung langsam, aber stetig erstarken möge, hatte zuvor schon Initiativmitglied Christa Jenal Ausdruck gegeben: „Das weiche Wasser bricht den (Ram-)Stein.“

Die Sachverständigen, Politiker und Jurymitglieder auf dem Podium des Hearings bestätigten abschließend mit ihren Beiträgen die Verantwortlichkeit sowohl des Bundesverteidigungsministeriums als auch der regional zuständigen Behörden und der US Army für die Katastrophe. Darüber hinaus seien die Untersuchungsausschüsse in Bonn und in Rheinland-Pfalz - im Gegensatz zur Auffassung von CDU und SPD in Bonn und in Mainz - nicht in der Lage gewesen, das ganze Ausmaß von „Fehlern, Versäumnissen und unzulässigen Absprachen mit der US Army“ (Gertrud Schilling/Grüne) offenzulegen. Die Jury kam auch zu dem Ergebnis, daß die Vorsorgemaßnahmen zum Katastrophenschutz nicht ausreichend waren, daß aber eine Katastrophe diesen Ausmaßes nicht handhabbar sei. Die Hilfe und Entschädigung für die Opfer sei bürokratisch abgewickelt bzw. gar nicht ausbezahlt worden, und solche Flugschauen dienten nur dazu, die Akzeptanz für Tiefflüge zu fördern.