Vom „Roten Wedding“ in den blauen Himmel

■ Ein Besuch in der einzigen Flugzeugwerft Berlins / Hier werden Segelflieger gebaut, die für ökologische Zwecke genutzt werden können

Keine leichte Aufgabe: Mit vereinten Kräften schieben drei junge Leute ein schwerfälliges Vehikel in den Hof des ehemaligen AEG-Werks im Wedding. „Stemme S 10“ prangt in dicken Lettern drauf, und es ist mit einer Anhängerkupplung versehen. „200 Kilometer pro Stunde bringt der locker“, weiß einer der Schieber mit ebensolcher Mütze zu berichten und weist dabei auf das kompakte Paket mit Rädern. Darin soll sich angeblich ein Motorsegler mit 23 Meter Spannbreite befinden. Ein Lügenmärchen? Der Blick in die Werkshalle an der Gustav-Meyer-Allee, aus der das lange Ungetüm stammt, genügt, um sich von dem Wahrheitsgehalt solch kühner Behauptung zu überzeugen. Emsig wie die Heinzelmännchen sind dort rund dreißig Angestellte damit beschäftigt, einen weiteren Flieger in Form zu gießen. Denn Handarbeit ist in Berlins einziger Flugzeugwerft an der Tagesordnung. „Wir brauchen so ungefähr sechs Wochen pro Maschine“, erklärt eine junge Frau, während sie ihren sicherlich einmal weiß gewesenen Overall zurechtzupft. Als gelernte Tischlerin hat sie sich dem Flugzeugbau verschrieben und hilft mit, das Firmenziel - den Bau von 25 Segelfliegern pro Jahr - zu erreichen.

200.000 Mark koste so ein motorisiertes Segelflugzeug. Über Absatzschwierigkeiten könne man nicht klagen. „Wir haben Aufträge für die nächsten zwei Jahre“, freut sich Firmenchef Stemme. Abnehmer seien vor allem Haltergemeinschaften in Westdeutschland, aber auch in Berlin. Gemeint ist damit vor allem der Berliner Motorseglerclub mit Flugstützpunkt in Peine.

„Unsere Idee war es, ein Segelflugzeug zu bauen, das aus eigenem Antrieb starten kann“, beschreibt Stemme den innovativen Charakter des Fliegers. Aber auch wenn keine Thermik vorhanden ist, kann der Motor angeschmissen werden. Besonders in Hinsicht auf den Umweltschutz sei der Bedarf für ein solches Flugzeug groß. In Zürich wurden im letzten Jahr mit unseren Flugzeugen thermographische Luftaufnahmen gemacht, erzählt Stemme, während er in einem Batzen nach Zeitungsartikeln sucht, in denen über die Aktion berichtet worden war. „Da konnte hinterher jeder Bürger ein Foto seines Hauses kaufen und erkennen, wo es unnötige Wärme abgibt.“ Ein riesiger Erfolg sei das gewesen, 10.000 Hauseigentümer hätten davon Gebrauch gemacht und dementsprechend ihre Gebäude isoliert. Aber auch zur Waldbrandfrüherkennung oder dem Aufspüren von Wasserverschmutzungen kann der Motorsegler verwendet werden, preist der Flugzeugbauer, der schon während seines Studiums an der TU seine Passion für Flugzeugentwicklung erkannte, die Vorzüge seiner Maschine an.

Flugzeugbaustudenten der TU sind es auch heute, die Stemme mitunter zur Hand gehen. „Als ich die Firma vor vier Jahren gründete, gab es null Flugzeugbauer in Berlin.“ Fachlich versiertes Personal aus Westdeutschland mußte quasi importiert werden. Und nicht nur von dort: „Auch Polen haben häufig fundierte Kenntnisse im Flugzeugbau, erklärt Stemme mit lauter Stimme, um den hohen Lärmpegel in der Werkshalle zu übertönen. „Polen ist überhaupt das Segelflugzeugland im Osten.“ Viele Fertigbauteile kämen daher auch aus Schlesien und dem Riesengebirge.

Stemmes Hoffnungen für Berlin: die Luftüberwachung per Segelflieger. „Da hat es mit dem alten Senat schon mal Gespräche gegeben. Das blieb aber leider erfolglos.“ Von Umweltsenatorin Michaele Schreyer erhoffe er sich mehr Kooperationsbereitschaft. „Schließlich sind Kontrollflüge mit dem Motorsegler erheblich billiger als mit dem Hubschrauber.“ Schließlich frißt sein Fluggerät nur in Ausnahmefällen Kerosin und lebt ansonsten vom Wind.

Christine Berger