LIEBHABER: Georges Perec "Ein Kunstkabinett"

Es gibt Menschen, die gehen nie in eine Ausstellung und haben vor zwanzig Jahren das letzte Mal einen Bildband in der Hand gehabt, reden aber voller Leidenschaft über die Bedeutung des Ästhetischen. Andere wieder lesen keine Bücher, erhitzen sich aber beim Anblick eines Buchkataloges. Ihre Phantasie wird nicht durch Handlungen oder ihre Beschreibung in Gang gesetzt, sondern durch einen Kürzelsalat, der Autor und Titel als Pflicht betrachtet, seine inspirierende Würze aber aus der eingehenden Beschreibung der Edition und des Erhaltungszustandes des angebotenen Exemplares bezieht. Otto Normalverbraucher unter den Lesern erscheint das als verkehrte Welt. Er wird nie verstehen, welche Wonnen der Hinweis auf ein bestimmtes Wasserzeichen oder auf einen Fehler in der Paginierung bewirkt. Wie ein Liebhaber die Narbe am rechten Oberschenkel seiner Geliebten streichelt oder das Muttermal unter dem Auge, nicht weil er eine Schwäche für diese Gebrechen hätte, sondern weil sie zu ihr hinzugehören, so liebt der Sammler alles an seinem Stück, was dessen Identität bestätigt. Je unzugänglicher, je intimer das Merkmal, desto größer die Freude des Sammlers, wenn er es entdeckt. Auf die Spitze getrieben werden diese Schrullen auf dem Kunstmarkt. Anders als der Laie denkt, regiert nicht allein der Name des Künstlers. Die Sujets sind wichtig. Eine große Sammlung früher Eisenbahnbilder z.B. wäre Anfang dieses Jahrhunderts ein Streitobjekt zwischen den mächtigen amerikanischen Eisenbahnmagnaten gewesen. Georges Perecs (1936-1982) Roman „Ein Kunstkabinett“ wendet sich an die Liebhaber von Auktionskatalogen. Ein Drittel des Buches ist gefüllt mit Beschreibungen von bekannten und unbekannten Bildern, dazu kommen die, die Perec so gut erfunden hat, daß man sie der ersten Kategorie zuzählen möchte. Der deutsch-amerikanische Bierbrauer Hermann Raffke hat eine große Gemäldesammlung zusammengetragen. 1913 wird ein Teil von ihr ausgestellt, darunter ein Bild, das den Sammler vor seinen Stücken zeigt, darunter das Bild, das den Sammler vor seinen Stücken zeigt, darunter... Ein vertracktes Spiel mit dem Realismus/Irrealismus von Kunst. Die knappen Beschreibungen, die vorgeben, Kataloge zu zitieren, sind sehr gekonnt unfreiwillig komisch. Sie gewinnen ihren Reiz auch für Otto Normalverbraucher unter den Lesern, indem sie ihn hineinziehen in die fremde Welt der Jäger und Sammler nach und von Bildern. Perecs Genie besteht nicht zuletzt darin, die Langeweile, die die Lektüre der monotonen Katalogtexte bewirkt, nicht etwa zu überspielen, sondern sie nutzbar zu machen für eine Spannung, von der man nicht weiß, worauf sie zielt, die aber bis zum letzten Satz des Buches anhält. Die Schlußpointe ist keine Überraschung, aber sie wird von Perec virtuos serviert. Die ganze Sammlung besteht aus nichts als Fälschungen und ebenso wenig wie es einen Hermann Raffke gegeben hat, so wenig hat es all die Bilder gegeben, von denen Perec in der lakonischen Sprache der Triebtäter spricht. Sammlung wie Erzählung wurden „einzig und allein zum Vergnügen und zum Kitzel des schönen Scheins erdacht.“

Georges Perec, Ein Kunstkabinett, aus dem Französischen von Eugen Helmle, Carl Hanser Verlag, 109 Seiten, 26 DM