Ein Kommunist im Chevrolet

■ Zeitungsverleger, KPD-Politiker und schillernde Persönlichkeit der Weimarer Republik: Willi Münzenberg zum 100.Geburtstag

Jörg Burger

Berlin, Mitte der zwanziger Jahre: Ein führender KPD -Politiker fährt im offenen Chevrolet und trägt teure Anzüge. Auf proletarische Gepflogenheiten legt er keinen Wert. Er ist um die 30 Jahre alt, Reichstagsabgeordneter, ein ehemaliger Freund Lenins und hat die Finger im Mediengeschäft: eine schillernde Figur, ein Idealist, ein früher Yuppie.

Wer war Willi Münzenberg? Es ranken sich Legenden um den kommunistischen Zeitungszar der Weimarer Republik: War er wirklich ein ernstzunehmender Gegenspieler des rechten Pressemagnaten Alfred Hugenberg? Hatte er mit seiner Handvoll Zeitungen und Zeitschriften tatsächlich jene Macht, vor der seine Gegner warnten? Und war er, obwohl Mitglied der KPD-Führung, wirklich jener unabhängige Individualist, der es schaffte, den Inhalt seiner Blätter weitgehend vor den Weisungen aus Moskau zu verteidigen?

Vieles ist bis heute ungeklärt. Etwa die Frage, welche Rolle Münzenberg in seinen Unternehmen spielte. In einigen Blättern war er Chefredakteur, in den meisten wohl Geschäftsführer. Angeblich war er an den Unternehmen gar nicht finanziell beteiligt. Wo er das Gründungskapital auftrieb, wovon er lebte, wie er seinen Chevrolet bezahlte, bleibt größtenteils im Dunkeln. Und trotzdem: Münzenbergs Leben spiegelte nicht nur die politischen Ereignisse zweier aufregender Jahrzehnte - es ist auch die Geschichte eines großen Verlierers.

Willi Münzenberg wurde am 14.August 1889 im thüringischen Erfurt als Sohn eines Gastwirts geboren. Nach einer abgebrochenen Barbierlehre arbeitet er in einer Schuhfabrik. Schon mit 17 engagiert er sich in einem proletarischen Jugendverband und verliert den Job - wegen politischer Agitation. 1910 verschlägt es den wandernden Handwerksburschen nach Zürich. Er gerät in einen Kreis von radikalen Intellektuellen, lernt Karl Liebknecht kennen, Leo Trotzki und später Lenin, dessen enger Mitarbeiter er wird. Hier findet Münzenberg seine erste wichtige Aufgabe: Er wird Sekretär der Jugendinternationale, der neuen Jugendorganistion der II.Kommunistischen Internationale. Weil er sich für die russische Revolution einsetzt, wird er verhaftet und geht nach Berlin. Hier erlebt er seinen ersten Mißerfolg. Moskau ist mit seiner Arbeit nicht zufrieden. Er arbeitet zu eigenwillig und muß die Leitung der Jugendinternationale abgeben - ein Tiefschlag, der ihm sein Leben lang ein nervöses Magenleiden beschert.

Aber Lenin braucht ihn. Im Sommer 1921 fällt in den wichtigsten russischen Getreideanbaugebieten kein Tropfen Regen. 25 Millionen Menschen hungern, zwei Millionen sterben. Lenin ruft die Arbeiter weltweit zur Hilfe auf. Münzenberg organisiert sie: in der „Internationalen Arbeiterhilfe“ (IAH). Jetzt kann Münzenberg sein Gespür für wirksame Öffentlichkeitsarbeit beweisen und zudem die Gabe, Mitstreiter zu gewinnen.

Den ersten Spendenaufruf unterschrieben Intellektuelle wie Käthe Kollwitz, Albert Einstein, George Grosz und George Bernhard Shaw. In kurzer Zeit schafft Münzenberg ein weltweites Hilfsnetz. Schon zwei Monate nach dem Start der Hungerhilfe erscheint die erste Nummer der 'Illustrierten Arbeiterzeitung - Sowjetrußland im Bild‘, die später das wichtigste kommunistische Blatt der Weimarer Republik werden soll: die AIZ, 'Arbeiter-Illustrierte Zeitung‘. Die Hungerhilfe sendet Nahrungsmittel in die Sowjetunion, baut Fabriken auf, bewirtschaftet Güter. Daß der Großteil der gesammelten Gelder aus den USA stammt, wird später verschwiegen: 63 Millionen Dollar. Die Hungerhilfe bringt nur fünf Millionen zusammen.

Erst über ein Jahr später wird die Sowjetunion der Hungerkatastrophe Herr. Die Hungerhilfe aber besteht weiter. Die Arbeiter werden unter dem Niedergang des Kapitalismus zu leiden haben, meinen die Kommunisten. Man glaubt an die Weltrevolution. Aber die Hungerhilfe bleibt nicht nur Nothelfer. Münzenberg baut sie zum Dach seiner Medienunternehmen aus: Vier Zeitungen, sieben Zeitschriften, ein Buchverlag, ein Buchclub, zwei Filmgesellschaften und eine Verleihfirma.

1923 gründet Münzenberg seinen „Neuen Deutschen Verlag“, der das Herz der IAH-Presse werden soll. Den Namen übernimmt er von einem ehemals bürgerlichen Verlag. Das trifft sich gut: Münzenberg ist immer darauf bedacht, seine Unternehmen und vor allem die IAH als relativ unabhängig von der KPD darzustellen. Was nicht stimmt: Seine Lebensgefährtin, Babette Gross, schreibt später, daß Münzenberg „wider besseres Wissen“ behauptet, die Hungerhilfe sei „an keine Partei gebunden“. Vor allem die Sozialdemokraten sind mißtrauisch. 1924 verbieten sie ihren Genossen, Mitglieder der Hungerhilfe zu werden. Das publizistische Flaggschiff und Münzenbergs erfolgreichstes Blatt war die 'Arbeiter -Illustrierte Zeitung‘. Erster Redakteur war zunächst Franz Höllering, ein ehemaliger Journalistenkollege Bert Brechts. Die Redaktion bestand nur aus einer Handvoll festangestellter Mitarbeiter. Dafür gab es viele „Freie“, darunter prominente Namen wie Egon Erwin Kisch, Käthe Kollwitz, Heinrich Mann, Kurt Tucholsky. Wichtige politische Artikel schrieb Münzenberg selbst. Die Auflage soll, je nach Quelle, zwischen 300- und 500.000 Exemplaren gelegen haben. Die 'Arbeiter-Illustrierte Zeitung‘ sah sich als Alternative zur bürgerlichen Presse, die eine „knechtische Gesinnung“ erzeuge. Oder, um es mit John Heartfield zu sagen: „Wer Bürgerblätter liest, wird blind und taub...“ Bevorzugte Themen waren Sowjetrußland und die Welt der Arbeiter. Eine Frauenseite und eine Kinderseite mit Zielgruppenthemen wirken aus heutiger Sicht sehr modern, ebenso die Aufmachung: Zweiseitenumbruch, Zweifarbendruck. Obwohl dem Blatt gewisse journalistische Qualität nachgesagt wird Höllering führte den neuen Stil der Bildreportage ein -, war es mit der Objektivität nicht weit her. Berichte über die Rote Armee und das Leben der sowjetischen Arbeiter waren positiv überzeichnet und von den Tatsachen weit entfernt.

Das größte Problem der 'Arbeiter-Illustrierten Zeitung‘ war, die frisch gedruckten Exemplare zum Käufer zu bringen. Denn viele Kioske weigerten sich, das kommunistische Blatt zu verkaufen. Dahinter soll Hugenberg gesteckt haben, der die meisten Kioske belieferte und offenbar auf die Besitzer Druck ausübte.

Die 'Arbeiter-Illustrierte Zeitung‘ behalf sich mit einem eigenen Vertriebsnetz. Rund 4.000 Vertriebsmänner trugen sie in die Betriebe.

„In jede Proletarierwohnung die AIZ!“ hatte Münzenberg gefordert. Das schlug fehl. Aber seinem Ziel, neue Käuferschichten, vor allem die unpolitischen Arbeiter, zu erreichen, kam er einen großen Schritt näher. Daß Zeitungen Machtinstrumente sind, hatte er richtig erkannt. Aber ebenso, daß die traditionelle KPD-Presse nur die eigenen Gefolgsleute erreichte. Und diese Parteipresse war eine stumpfe Waffe. 1928 besaß die KPD 36 Tageszeitungen mit einer Auflage von insgesamt knapp 300.000 Stück, und nur ein Zehntel ihrer Wähler las kommunistische Zeitungen. Münzenbergs Blätter erreichten um 1930 eine Auflage von fast einer Million, sofern man den angegebenen Auflagenzahlen trauen kann. Und diese Firmen waren auch finanziell erfolgreich, während die KPD ihre Blätter ständig unterstützen mußte. Von einer ernsthaften Konkurrenz zu Alfred Hugenbergs Medientrust kann allerdings nicht die Rede sein. Der politisch rechtsaußen stehende Hugenberg, der später Hitler mit zur Macht verhalf, kontrollierte die Nachrichtenagenturen und vertrat die Interessen der Industrie.

Zu den erfolgreichsten Zeitungsgründungen Münzenbergs gehört die 'Welt am Abend‘: 1926 stampft Münzenberg das Boulevardblatt aus dem ohnehin dicht bewachsenen Berliner Boden. Seinen Chefredakteur fragt er, wieviel Geld wohl für die Neueinführung nötig sei. 40.000 Mark, meint dieser, und Münzenberg blufft: „Die sind vorhanden.“ Dabei hatte er nur 20.000 - und die auf Pump.

Die 'Welt am Abend‘ wich vom Parteikurs ab - weniger Kommentar, mehr neutrale Information. Nach einem Jahre wurde in mehr als 100.000 Exemplaren gelesen, 1929 mehr als doppelt so häufig.

Anfang der Dreißiger, in der Wirtschaftskrise, gründete Münzenberg in Berlin zwei weitere Zeitungen: 'Berlin am Morgen‘ als seriöse Tageszeitung und die 'Neue Montagszeitung‘ als Wochenblatt. 'Berlin am Morgen‘ machte der Rechtspresse Konkurrenz, Ullsteins 'Morgenpost‘ und dem 'Lokalanzeiger‘. Der Chefredakteur, ein parteiloser Linker, hievte sein Kind nach anderthalb Jahren auf eine Auflage von 60.000. Die 'Berlin am Morgen‘ machte sich vor allem mit dem Aufdecken von Affären einen Namen. Weniger erfolgreich war die 'Neue Montagszeitung‘. Sie wurde erst 1931 oder '32 geboren; ihr blieb kaum noch Zeit zu wachsen.

Unter den Münzenbergschen Zeitschriften fällt eine besonders aus der Reihe. Neben dem schwerfälligen Satireblatt 'Eulenspiegel‘, dem defizitären 'Arbeiterfotograf‘, theoretischen Schriften wie 'Der Mahnruf‘ und 'Roter Aufbau‘ und einigen kleinen, unbedeutenden Blättern erreichte eine Zeitschrift neue, größtenteils unpolitische Leser: die Frauen. Die hieß 'Welt der Frau‘ und war pfiffig gemacht. 1931, als die Zahl der Arbeitslosen auf sechs Millionen kletterte, versuchte sie den Heile-Welt-Frauenzeitschriften Leser wegzunehmen. Das Konzept: viel Mode, Haushalt, Kosmetik, Unterhaltung, Schnittmusterbögen. Aber auch Politik. Die Auflage soll zwischen 15- und 150.000 gelegen haben.

Die zwanziger Jahre waren auch die Zeit des Buchclub-Booms. Der „Volksverband der Bücherfreunde“ hatte rund 600.000 Mitglieder, die SPD-nahe „Büchergilde Gutenberg“ gibt es heute noch. Auf dem schon engen Markt hatte Münzenbergs „Universumsbücherei für alle“ zu kämpfen. Das Volk hatte wenig Geld, die Bücher mußten billig sein. Monatsbeitrag: eine Reichsmark und zehn Pfennige.

Der Name des Buchclubs klingt beliebig, das Programm war es teilweise auch: Maxim Gorki neben Friedrich Schiller, Egon Erwin Kisch neben Emile Zola - nicht nur „proletarische Literatur“. Der „Neue Deutsche Verlag“ bot dagegen vor allem Klassenliteratur an, und es gab sogar eine „Rote Detektivserie“. Das neue Medium des Jahrzehnts war der Film. Schon seit 1922 besaß Münzenberg eine Firma, die deutsche Filmlizenzen für die Sowjetunion kaufte. Zwei Jahre später gründete er die Filmgesellschaft „Menschrabpom-Russ“, die später „Meschrabpom-Film“ hieß. Zuerst Gemeinschaftsfprojekt mit einem russischen Künstlerkollektiv, gehörte sie später völlig der „Internationalen Arbeiterhilfe“. Bis 1931 produzierte die Firma 241 Filme. Ein erfolgreicher Propagandafilm, Sein Mahnruf, widmete sich dem Leben Lenins, Spielfilme orientierten sich auch an Literatur -Vorlagen wie Maxim Gorkis Mutter. Regisseur Wsewolod Pudowkin wurde damit weltberühmt.

Seinen größten Knüller landete Münzenberg mit seinem Filmvertrieb „Prometheus“. Der verlieh nämlich 1925 Sergej Eisensteins Panzerkreuzer Potemkin, den Münzenberg mit Tricks durch die staatliche Prüfstelle schleuste und der heute als wegweisendes Werk der Filmkunst gilt.

Wo stand Willi Münzenberg politisch? Zwei Legenden verbinden sich mit der historischen Figur Münzenberg. Mythos Nummer Eins: Der „rote Millionär“ habe phantastische Geldmittel aus dem Osten erhalten. Nachprüfen läßt sich kaum, wieviel Münzenberg tatsächlich in der Tasche hatte. Seine Lebensgefährtin Babette Gross behauptete sogar, er habe privat kaum Geld besessen, und seine Unternehmen mit geringsten Mitteln und viel Improvisationskunst aufgebaut. Für seine Arbeit als IAH-Sekretär habe er jeden Monat nur 500 Mark Lohn eingesteckt.

Mythos Nummer Zwei: Die kommunistische Partei habe die „Internationale Arbeiterhilfe“ und die angeschlossenen Firmen kaum beeinflußt. Einige Zeitzeugen stützen diese These. Etwa der Schriftsteller Arthur Koestler. Er meint, Münzenberg habe „ungestört von der lähmenden Kontrolle der Parteibürokratie“ arbeiten können. Daß dies nicht stimmt, ist schon deshalb wahrscheinlich, weil das Zentralkomitee der KPD und auch Moskau immer ein scharfes Auge auf die Parteipresse hatten. Und auch Repressalien auf Münzenberg -Blätter sind dokumentiert. Denn Münzenberg arbeitete ungern mit linientreuen Parteileuten zusammen; er stellte Mitarbeiter an, die in der Partei gern gelitten waren. Einer von denen, die von der Parteiführung geschaßt wurden, war Otto Heller. Der Redakteur der 'Welt am Abend‘, laut Babette Gross ein fähiger Journalist, wurde wegen „rechter Abweichungen“ gefeuert. Ein anderes Beispiel politischer Zwänge: das Verhalten der Münzenberg-Presse gegenüber der SPD. Zwar wird Münzenberg jener Fraktion der KPD zugeordnet, die eine Zusammenarbeit mit der SPD anstrebte. Als Stalin jedoch Ende der zwanziger Jahre einen harten Kurs befahl, folgte Münzenberg gehorsam. Seine Anpassung ging sogar so weit, daß er 1932 den verhängnisvollen Befehl Moskaus befolgte, ein Volksbegehren der Nazis gegen die preußische Regierung zu unterstützen.

„Ihr habt gehandelt, als hättet ihr Nazi-Agenten in eurem Zentralkomitee“, schimpfte der Schriftsteller Kurt Hiller in einem offenen Brief. Wahrscheinlich ist, daß Münzenberg gehorchen mußte, auch wenn er anderer Meinung war. Daran muß der „unwiderstehliche Redner und geborene Menschenführer“ (Arthur Koestler), ein eigenwilliger Kopf und alles andere als ein einfacher Befehlsempfänger, sehr gelitten haben. „Während seine Unternehmen gediehen, verfiel Münzenberg politisch mehr und mehr in eine Lethargie, die wie Zynismus anmutete...“, berichtet Babette Gross.

1933, in der Nacht des Reichstagsbrands, flieht Münzenberg nach Paris. Im Exil gibt er weiter Zeitungen heraus, die er nach Deutschland schmuggeln läßt. Als Stalin seine innenpolitischen Gegner beseitigt, bricht Münzenberg mit Moskau. Er stirbt 1941 auf der Flucht vor den Deutschen. Die Leiche, gefunden in einem Wald bei Lyon, hat einen Strick um den Hals. Ob Münzenberg ermordet wurde oder sich selbst tötete, wurde nie geklärt