Erinnerung an Bruce Chatwin

■ „What Am I Doing Here“ by Bruce Chatwin

Salman Rushdie

Im Jahre 1984 durchquerten Bruce Chatwin und ich einige Wochen lang das Innere Australiens mit einem allradgetriebenen Kombiwagen, einem Fahrzeug, das, wie uns wiederholt verkündet wurde, „Toyotas Antwort auf den Kleinen Subaru“ sei. Bruce zerbrach sich lange den Kopf über die merkwürdige Äußerung und versuchte, eine besondere Mythologie zu erfinden, die als Erklärung dienen könnte. Der „Kleine Subaru“ war offensichtlich irgendein Urahne aus der Traumzeit; wenn aber unser Wagen die „Antwort“ sein sollte, wie um alles in der Welt - so fragte sich Bruce (mit Gertrude Stein) - hatte dann die Frage gelautet?

Mit Bruce Chatwin zusammen zu sein war in der Regel gleichbedeutend damit, ihm ein williger Zuhörer zu sein. Seine Gedanken bewegten sich etwa auf der Höhe des Mount Everest (wir waren auf halber Höhe am Ayers Rock, und ich war halbtot und schon ganz violett angelaufen, als er beiläufig erwähnte, er sei kürzlich sogar bis zum Basislager oben am Mount Everest aufgestiegen), aber schon im nächsten Augenblick vertiefte er sich mit der gleichen atemberaubenden Geschwindigkeit in eine Diskussion über die zahlreichen Krankheiten, die man sich bei den verschiedenen europäischen und afrikanischen Huren holen kann. Er war ein großartiger Geschichtenerzähler mit der Unerschöpflichkeit einer Scheherazade, der es liebte, beiläufig alle möglichen Namen zu erwähnen, und offensichtlich alle möglichen esoterischen Texte verschlungen hatte, ein wahrhaft gelehrter Zigeuner, ein großartiger Imitator - seine Version von Frau Gandhi war wirklich perfekt - und ein Herumalberer von internationalem Rang. Er war ebenso gesprächig wie neugierig und interessierte sich für alles, vom Ursprung des Bösen in der Welt bis hin zu der rätselhaften Frage des Kleinen Subaru. Was er über den ehemaligen Haushofmeister des Königs Zog von Albanien sagte: „Diese Art von Menschen wird es nie wieder geben.“ Welch eine Stimme haben wir mit seinem Verstummen verloren! Und er hatte immer noch so viel zu sagen!

What Am I Doing Here (ob Chatwin wirklich zugelassen hätte, daß das Fragezeichen weggelassen wurde?) ist alles, was uns geblieben ist. Sein letztes Buch, eine „persönliche Auswahl“ von Essays, Porträts, Meditationen, Reiseberichten und anderen schwer zu klassifizierenden Prosastücken, wurde während seines letzten, leidvollen Lebensjahres zusammengestellt und besitzt natürlich ein paar unvermeidliche Schwächen, zeichnet sich jedoch unter anderem dadurch aus, daß es zahlreiche der besten Anekdoten und größten Erfolge des Autors enthält.

Da ist Bruce Chatwins Schlangengeschichte, wie sie ihm von Assunta, der Reinmachefrau aus Palermo erzählt wurde, und ihr Monolog ist eigentlich Bruces Imitation dieser Assunta mit ihren wild gestikulierenden Armen und glühenden Augen - keine Figur aus dem Alltagsleben, sondern eher aus der Operette. Da ist Bruce, wie er die Fährte des Yeti entdeckt, und sein Besuch bei einer an Charles Manson erinnernden Hippie-Familie in Boston. Hier finden sich auch einige seiner ausgefalleneren Stücke: eine köstliche Episode mit Diana Vreeland und auch meine eigene Lieblingsgeschichte, in der er von seiner Begegnung mit Noel Coward erzählt, der zu ihm meinte: „Auch ich habe mich sehr gefreut, Sie kennenzulernen, aber leider werden wir uns nie wiedersehen, denn ich werde sehr bald tot sein. Aber wenn ich Ihnen zum Abschied einen Rat geben darf: 'Lassen Sie sich nie durch irgendwelche künstlerischen Überlegungen von etwas abhalten!'“.

Dabei hält diese Sammlung, das sollte betont werden, durchaus zahlreiche vergnügliche Überraschungen bereit. Bruce Chatwin war oft dann am besten, wenn er weit weg auf Reisen war, und What Am I Doing Here enthält unter anderem eine Reihe großartiger Szenen zum Beispiel aus Rußland - die unvergeßliche Nadezhda Mandelstam, wie sie sorglos eine vorwitzige Brust in ihre Bluse zurückstopft; eine genaue, brillante Schilderung des Untergangs der linken Bewegung an der post-revolutionären russischen Kunst und ihre Wiederentdeckung und Bewahrung durch den Sammler George Costakis; und schließlich der Bericht über eine Fahrt auf der Wolga, der zu den absoluten Klassikern der „Reiseliteratur“ gehört. Kurz vor seinem Tode plante Bruce einen großangelegten Rußland-Roman - wer weiß: vielleicht hätte er sich als eine Art umgekehrter Nabokov entpuppt. Wir werden es nie wissen.

Afrika, der Kontinent, auf dem sich jene an die Wüste adaptierte Mutation des homo sapiens, der Nomade, entwickelte, bildet den Hintergrund für eine Reihe anderer, nicht weniger beeindruckender Arbeiten: den Bericht über den Staatsstreich, in den Chatwin in Benin bei den Recherchen für The Viceroy of Ouidah („Der Vizekönig von Ouidah“) hineinstolperte, und dann der keineswegs erschreckende, sondern vor allem komische Bericht über die Dreharbeiten zu Werner Herzogs Film Viceroy (später umbenannt in Cobra Verde) mit Klaus Kinski ein paar Jahre später in Ghana. Bruce war in diesem Falle - und ganz gegen seine sonstige Art - freundlich genug, sich einer Selbstzensur zu unterwerfen und die zahlreichen zweifellos rufschädigenden Details der sexuellen Ausschweifungen während der Dreharbeiten dezent auszulassen, ebenso wie auch seine alles andere als schmeichelhafte Einschätzung des fertigen Films wobei er natürlich beides in seinen mündlichen Berichten mit großem Genuß auszumalen pflegte.

Seine politischen Überzeugungen waren, um es freundlich auszudrücken, meistens ein wenig naiv. So ließ er sich häufig darüber aus, daß die Lage in Südafrika seiner Meinung nach immer besser werde, und verstand nicht, warum Nadine Gordimer sich darüber aufregte, daß er statt Namibia immer „Südwestafrika“ sagte. Andererseits gelang es ihm doch manchmal, die Dinge wirklich auf den Punkt zu bringen, und sein ebenfalls in dieser Sammlung enthaltener Essay mit dem Titel The Very Sad Story of Salah Bourguine („Die überaus traurige Geschichte von Salah Bourguine“), die einen rassistisch motivierten Mord in Marseille zum Anlaß für eine Auseinandersetzung mit dem unerfreulichen Thema des französischen Kolonialismus in Nordafrika nimmt, gehört zu dem Eindrucksvollsten, was je darüber geschrieben worden ist.

Bruce war durchaus attraktiv und fühlte sich sehr zu Damen eines bestimmten Alters hingezogen, und der Sammelband enthält eine ganze Galerie von ihnen - nicht nur die bereits erwähnten Nadezhda Mandelstam und Diana Vreeland, sondern unter anderen auch Madeleine Vionnet, die „Architektin der Couture“, die ihre Kleider immer am Modell einer Kinderpuppe entwarf, weil sie sich nicht traute, ihrem Vater die Größe ihres Unternehmes zu offenbaren - woraufhin er sich prompt Sorgen machte, sie könnte vielleicht ein bißchen zurückgeblieben sein, sowie Maria Reiche, die ihr Leben dem Bemühen widmete, das Rätsel der Linien und Figuren auf der peruanischen Pampa zu lösen. Sein Porträt von Mrs.Gandhi schließlich ist in der gedruckten Version nicht weniger eindrucksvoll als in seiner mündlichen Schilderung. „Wie sehr diese Frau doch Premierministerin werden will!“ sagt darin Mrs.Gandhi über Mrs.Thatcher. „Ich hätte ihr am liebsten gesagt: 'Wenn Sie so sehr Premierministerin werden wollen, dann werden Sie es nie schaffen‘.“ Woran man sieht, daß selbst Mutter Indira sich irren konnte.

What Am I Doing Here ist, wie der Klappentext verrät, eine Art von Autobiographie, aber eher eine Autobiographie des Geistes. Bruce machte nicht nur in diesem Buch, sondern auch im Leben immer ein Geheimnis aus dem, was in seinem Herzen vorging. Ich wünschte mir, es hätte anders sein können, denn er hatte ein wahrhaft großes Herz und war zu echten, tiefen Gefühlen fähig, auch wenn sie nur selten in seinen Prosaarbeiten zum Ausdruck kamen. Die einzigen Ausnahmen hier sind die bewegende Vignette über seinen Vater und die Elegie für jenes Afghanistan, das Robert Byron so vertraut war und das von den russischen Truppen zertrampelt wurde - ein Bericht, der sich für viele von Bruce Chatwins Bewunderern wie eine Klage darüber anhören wird, was wir durch seinen allzu frühen Tod verloren haben:

Wir werden nicht mehr im Nomadenzelt schlafen oder das Minarett von Jam besteigen. Und werden den Geschmack auf der Zunge verlieren - das heiße, grobe, bittere Brot; den grünen, mit Kardamon gewürzten Tee... Auch den Duft der Bohnenfelder werden wir nie mehr verspüren... noch den Geruch eines Schneeleoparden in dreieinhalbtausend Metern Höhe.

Übersetzung: Hans Harbort, aus 'Observer‘, 14.Mai 198