Das Herz des Polo schlägt in Argentinien

2.Polo-Weltmeisterschaft auf dem Berliner Maifeld / Champagnerseligkeit, Volkstümelei und wilde Reiter / Tierschutzbund äußert scharfe Kritik / Titelverteidiger Argentinien favorisiert  ■  Aus Berlin Matti Lieske

Es war im Jahre 1966, als - so geht die Mär - Prinz Philip von England am Rande eines Poloturniers in Buenos Aires den ketzerisch-scherzhaften Vorschlag äußerte, man möge doch einfach die Falkland-Inseln gegen das Brüderpaar Heguy, die zu jener Zeit besten Polospieler der Welt, eintauschen. Inzwischen ist in Falklands Namen eine erkleckliche Zahl von argentinischen und britischen Soldaten auf den Meeresgrund befördert worden, und der Gatte der Queen wird sich hüten, seiner damaligen Idee erneuten Ausdruck zu verleihen. Ein Genickschlag mit Margaret Thatchers Handtasche wäre das mindeste, was er zu gewärtigen hätte.

Objekte der Begierde des begeisterten prinzlichen Polospielers Philip gäbe es in Argentinien allerdings nach wie vor genug. Zwar sind die Heguys in die Jahre gekommen und haben ihr „Handicap 10“, das die höchste Spielstärke im Polo bezeichnet, eingebüßt, doch andere sind an ihre Stelle getreten. Die Handicaps, bei deren Festlegung neben Reitkünsten und Treffsicherheit auch taktisches Verhalten und Mannschaftsgeist eine Rolle spielen, werden jedes Jahr von einer nationalen Kommission vergeben, die Skala reicht von -2 bis 10. Sechs Spieler mit einem Zehnerhandicap gibt es derzeit auf der Welt, davon kommen fünf aus Argentinien. Nur ein Mexikaner hat das Format, es mit den wilden Reitern vom Rio de la Plata aufnehmen zu können.

3.000 eingeschriebene Polospieler gibt es in Argentinien, in bestimmten Kreisen der ländlichen Großbourgeoisie gehört Polo zur Erziehung wie das Alphabet und der Antikommunismus. „Das Pferd war fast wie meine Beine“, erinnert sich Horacio Heguy, mittlerweile 52, „unser Vater lehrte uns das Polospiel zuerst zu Fuß, dann auf dem Fahrrad, dann auf Ponys, schließlich auf Pferden.“

„Medium Goal„-Turnier

Kein Wunder, daß auch bei der nach 1987 zum zweiten Mal ausgetragenen Weltmeisterschaft in Berlin die Argentinier erklärte Favoriten sind, obwohl der Begriff Weltmeisterschaft keineswegs bedeutet, daß die besten Spieler der Welt auf dem riesigen Maifeld, einst Schauplatz des Olympischen Poloturniers von 1936, der tückisch -hüpfenden Plastikkugel von der Größe eines Tennisballs hinterherjagen. Denn die WM hat nur den Status eines „Medium Goal„-Turniers. Das höchste zugelassene Handicap ist 5, exakt das Niveau, mit dem Prinz Philip bei jenem denkwürdigen Turnier 1966 aus dem britischen Team flog, da es sich um eine High-Goal-Veranstaltung handelte. Ein Team, bestehend aus vier Spielern, darf in Berlin ein Gesamthandicap von 14 nicht überschreiten. Wenn also zwei Akteure mit Handicap 5 aufgestellt werden, müssen die restlichen Plätze von Spielern mit niedriger Spielstärke eingenommen werden.

Aus diesem Grund ist beispielsweise der 21jährige Leonardo Martin aus Buenos Aires mit seinem Handicap 2 als Ersatzspieler ins junge argentinische Team gekommen. Die Auslese war nicht einfach. „Zuerst gab es einen Lehrgang im April, da waren wir noch 50 Kandidaten, davon wurden 15 ausgewählt, und nach einigen Testspielen blieben schließlich acht Leute für das endgültige WM-Team übrig.“ Es ist Leonardos erstes Turnier im Ausland, sonst spielt er in einem Klub in der Nähe von Buenos Aires, wie alle Polospieler in Argentinien als Amateur. Wer Geld verdienen will, muß ins Ausland gehen, und wo immer Polo professionell gespielt wird, besonders in den USA und in Australien, sind Argentinier mit von der Partie. Bis zu 150.000 Dollar können die Cracks dieser rasanten Mischung aus Hockey und Galopprennen für sechs schweißtreibende Monate kassieren. Die Amtssprache des Polo ist zwar Englisch, die Umgangssprache aber Spanisch. Auch in Berlin sind die Teams durchsetzt von spanischen Namen, und selbst die Schweiz greift mit der Familie Pando-Soldati auf argentinisches Know -how zurück.

Orientalisches Erbe

Gespielt werden bei dieser WM sechs „Chukkers“, wie die einzelnen Spielabschnitte heißen, mit je siebeneinhalb Minuten effektiver Spielzeit. Nach jedem Tor werden die Seiten gewechselt, was nach Auskunft des polosüchtigsten Radioreporters Europas, Florian Barckhausen vom SFB, auf die altpersische Vergangenheit des Sportes zurückgeht. Wegen der Hitze in jenen Breiten konnte nur abends bei tiefstehender Sonne gespielt werden, und die Seitenwechsel sollten für Chancengleichheit sorgen.

Dasselbe Ziel verfolgt die Regel der Torvorgabe. Hat ein Team ein geringeres Gesamthandicap als der Gegner, bekommt es einen der Differenz entsprechenden Vorsprung. So durfte die Bundesrepublik mit ihrem mickrigen Handicap von 10 gegen die USA, die die 14 erlaubten Punkte voll ausschöpft, einen Vorsprung von vier Toren mit zum ersten Kommando „Play!“ nehmen. Genutzt hat es zum Kummer der 2.000 Zuschauer wenig. Die USA gewannen noch mit 12:8, nicht zuletzt ein Verdienst des 16jährigen Julio Arellano, der zwar erst Handicap 1 aufweist, aber den ungebärdigen, 130 Gramm schweren Ball mit der Treffsicherheit eines dem Jungbrunnen entstiegenen Heguy über das 274 Meter lange und 182 Meter breite Feld trieb. Fünf Tore erzielte er und wurde in den ersten Spielen nur vom 18jährigen Argentinier Javier Tanoeira (Handicap 4) übertroffen, der beim blendend herausgespielten 17:8 gegen das formal gleichwertige Australien allein achtmal ins 7,30 Meter breite und unendlich hohe Tor traf.

Geplagte Pferde

Leidtragende der ganzen Sache sind die Pferde. Sie werden, meist in Argentinien, extra für diesen Sport gezüchtet und haben während des Matches einiges auszuhalten. Ihre Leiden sind es, die das spektakuläre Spiel neben dem Ruch von Noblesse und Champagnerseligkeit, der ihm anhaftet, ins Zwielicht rücken. Der „Bund gegen den Mißbrauch der Tiere e.V.“ versuchte sogar per Klage, die Berliner Weltmeisterschaft zu verhindern und zitierte zur Begründung eine Verlautbarung der Welttierschutz-Gesellschaft, London. Darin heißt es, daß die Polopferde ständig zu artfremden Bewegungen gezwungen würden: übergangsloses Stoppen aus vollem Lauf, größtmögliche Beschleunigung aus dem Stand und vor allem das „völlig atypische“ Abdrängen des Pferdes des Gegners. Die Abrichtung zu diesem Verhalten sei „als höchst gemeine Form einer Tierquälerei“ zu betrachten. Polofans halten dem das komplizierte Regelwerk entgegen, welches das „Wegerecht“ genau definiert, um die Pferde vor Kollisionen und Verletzungen zu schützen.

Wie dem auch sei, die Klage wurde abgeschmettert, die Veranstaltung, mit der die Ausrichter dem Polosport gern einen Gutteil seines elitären Rufes rauben wollen, nahm ihren Lauf, und Staatssekretär Kuhn vom rotgrünen Berliner Senat, der von seinem unchristlichen Vorgänger eine Ausfallbürgschaft für die WM von einer runden halben Million geerbt hatte, sprach sogar ein Grußwort zur Eröffnung. Am Donnerstag findet das erste absolute Spitzenspiel des Turnieres statt. Der Titelverteidiger Argentinien trifft auf den Europameister England. Ohne Prinz Philip. Warum die Engländer, deren Militaristen das Spiel in der Neuzeit zuerst in Indien - wieder aus der Versenkung holten, wahrscheinlich die Unterlegenen sein werden, analysiert die profunde Polo-Kennerin Anne Murphy de Carlisle: „In England ist es ein viel langsamerer Sport; und sie fallen öfter vom Pferd.“