DAUERLUTSCHER

■ „Beute“ von Joe Orton im Ensemble-Theater

Seid nett zu Mr. Orton“, wirbt das Programmheft scheinheilig, denn Joe Orton ist nicht nett zu uns. Sein Stück „Beute“ ist eine Mischung aus Mord, Bankraub und Beerdigung ungefähr folgenden Inhalts: Vater und Sohn McLeavy trauern um Mrs. McLeavy zusammen mit der Krankenschwester Fay. Die aber hat die Verstorbene um die Ecke gebracht, um sich deren Vermögen anzueignen. Der Sohn Hal dagegen hat mit Dennis, dem Angestellten des Bestattungsinstituts, eine Bank leergeräumt. Inspektor Truscott macht sich, getarnt als Beauftragter des Städischen Wasserwerks, an die Aufklärung der Verbrechen und stellt schließlich die Ordnung her - oder genauer gesagt: eine Ordnung, denn es hätte auch irgendeine andere sein können. Es ist ein Amoklauf gegen sämtliche erreichbaren Konventionen: Liebe, Trauer, Gerechtigkeit, Heldenmut - das sind Verhaltensweisen, die entweder taktisch und zweckbestimmt oder aus Blödheit entstehen. Nun aber hat sich seit den 60er Jahren, in denen Joe Orton, dessen Leben inzwischen Stephan Frears („Prick up your ears“) verfilmt wurde, sein Stück schrieb, so einiges geändert. Man ist aufgeklärt, liberal, tolerant, unkonventionell, und man ist inzwischen ja auch so einiges gewohnt. Aber einige Geschmacklosigkeiten tun auch heute noch ihre Wirkung: „Sie werden doch niemals in den Genuß einer Vergewaltigung kommen!“ wirft Hal der mörderischen Krankenschwester Fay vor, weil es ihr stets gelingt, alles rechtzeitig zu ihrem Vorteil abzubiegen.

Joe Orton hat einen Dauerlutscher geschrieben und sinnigerweise ist dem hilfreichen und witzigen Programmheft von Tanja Neumann und David Balzer in Speisekartenformat und -layout gestaltet, ein solcher beigegeben. Doch so, wie ihn die Studiobühne der FU unter der Regie von Bernd Mottl und Marcel Pomplun serviert, schmeckt er ziemlich fade. Der „Dekomponist“ Thomas Gabriel versuchte, den überkünstlichen Pop-Art-Stil der 60er zeitgemäß nachzuempfinden, indem er die Bühnenwände mit Ausschnitten aus dunkelblauer Zigarettenreklame tapezierte. Bei den Kostümen aber fiel ihm nichts Besseres ein, als alle in schwarze Anzüge, beziehungsweise Abendkleid zu stecken. Diese Ödnis aber paßt zur Aufführung. Viel zu hastig und viel zu gleichförmig rauschen die schnell wechselnden Dialoge herunter, dazu häufig auch noch mit falscher Betonung. Die Ehrlichkeit McLeavys (Michael Hansen), der einzige, der glaubt, was er sagt, ist genauso aufgesetzt und unglaubhaft wie die Unehrlichkeit von Fay (Sabine Schwarzlose), Hal (Stefan Häuser) und Dennis (Rolf Schuhmann). Zum guten Boulevardtheater fehlt das Bekannte und Beliebte, das hemmungslose Chargieren, die Erwartungen, die enttäuscht werden können. Nur Günter Rüdiger als korrupter Polizeibeamter Truscott läßt ein bißchen davon sehen, etwas Trotteliges, Schäbiges, Columbohaftes.

Aber Ortons Dialoge und Einfälle sind so grell, so abenteuerlich, daß selbst Gleichförmigkeit ihm nichts anhaben kann. Trotz allem kommt keine Langeweile auf. Der beste Einfall der Studiobühne steht zum Schluß: In kaltblauem Licht sitzen Fay, Hal und Dennis und rühren geziert in ihrem Tee herum, und sie sprechen englisch. Das hätten sie die ganze Zeit über tun sollen. Es fehlt halt die ganze Zeit das Britische, weil es keinen deutschen Ersatz gibt.

Michael Vahlsing

Die Studiobühne der FU spielt „Beute“ bis zum 27.August jeden Donnerstag, Samstag, Sonntag und Montag, um 21Uhr, im Ensemble-Theater, Hasenheide54, 1/61.