Südkoreas Vergangenheitsbewältigung

Südkorea ringt immer noch mit der Vergangenheit eines Diktators / Ein „Besuch“ bei Chun Doo Hwan im Paekdam-Tempel  ■  Aus Seoul Peter Jakobs

„Wo wollen Sie hin? Bleiben Sie weg vom Paekdam-Tempel“, faucht uns der Wärter in holprigem Englisch am Eingang zum bekanntesten Nationalpark Südkoreas unwirsch an. Feucht -schwüle Sommerwolken hängen noch tief über dem Sorak -Gebirge an diesem windstillen Morgen. Dort drüben, irgendwo in den Bergen, soll er sich also befinden, der inzwischen berühmt gewordene buddhistische Paekdam-Tempel, wegen seiner Stille und Abgeschiedenheit von Insidern lange Zeit als Geheimtip gehandelt - doch jetzt?

„Chun Doo Hwan“, antwortet der Aufseher auf das vermeintliche Unverständnis der beiden westlichen Eindringlinge. Nur sechs Kilometer Fußmarsch sind es noch bis in das selbstgewählte innere Exil, den Verbannungsort des Ex-Diktators.

Seit mehr als acht Monaten schon lebt der ehemalige Staatspräsident unter Mönchen, selbst in Einsamkeit und Askese von der Außenwelt hermetisch abgeschirmt. Aber Isolation sei für Chun nichts Neues, nachdem er sieben Jahre als Machthaber auf dem südlichen Teil der Halbinsel von der Bevölkerung isoliert war, sagen viele Koreaner. Er, der Hauptverantwortliche für die blutige Niederschlagung des Bürgeraufstandes in Kwangju 1980, verwickelt in Korruptionsfälle und Bestechungsskandale während seiner Amtszeit, ist bislang unbehelligt geblieben.

Nachdem über 40 nahe und entfernte Verwandte des ehemaligen Staatschefs 1988 verhaftet und zur Rechenschaft gezogen wurden und sich die Schlinge um seinen eigenen Hals immer fester zuzog, hat er sich, bedrängt von der Regierung, mit einer Entschuldigung davongeschlichen. Sein Nachfolger Roh Tae Woo, Freund und Klassenkamerad Chuns auf der Militärakademie, will es damit bewenden lassen; doch das nehmen viele Südkoreaner den Machthabern in der Seouler Führung übel.

Aber der Fall Chun Doo Hwan und die Skandale seiner fünften Republik fielen nach und nach aus den Schlagzeilen. Innenpolitisch standen plötzlich andere Themen im Vordergrund. Dafür hatten vor allem Dissidentenpfarrer Moon Ik Hwan, der Oppositionsabgeordnete Suh Kyong Won und die Studentin Rim Suk Jung mit ihren nichtgenehmigten Reisen nach Nordkorea gesorgt. Die rechten Kräfte formierten sich wieder und setzten die Roh-Regierung unter Druck; mit dem berüchtigten antikommunistischen Sicherheitsgesetz griff Seoul wieder stärker gegen Studenten, Dissidenten und rebellische Arbeiter durch.

Über 750 Verhaftungen von „politischen Straftätern“ in den vergangenen sieben Monaten, 3,5 Festnahmen pro Tag, schrieb die regierungskritische Tageszeitung 'Hangyoreh Shinmun‘ soviele hatte es in Südkorea schon lange nicht mehr gegeben.

Doch Koreaner vergessen nicht so schnell. Die Abrechnung mit der fünften Republik scheint noch längst nicht abgeschlossen, wie einige Mitglieder der regierenden „Demokratischen Gerechtigkeitspartei“ bereits gehofft hatten. Anfang August lancierten koreanische Tageszeitungen Meldungen, wonach die Seouler Führung in Geheimverhandlungen mit dem Ex-Diktator diesem einen „unbefristeten Auslandsaufenthalt“ nahelegte. Chun wies dieses Ansinnen angeblich mit Entschiedenheit zurück, und die Regierung dementierte die Berichte; aber das Thema Liquidation der Chun-Ära lag damit erneut auf dem Tisch.

Mitte dieses Jahres sollen sich Chun und seine Ehefrau noch weiter ins Gebirge verkrochen haben: Eine Einsiedelei im Sorak-Gebirge wäre ihre neue Heimat geworden, hieß es in der Hauptstadt. Für die Einwohner von Injo-gun, am Fuße des Sorak-Gebirge, gibt es da nur eine Lösung: „Chun muß gehen!“ sagen sie. Ihnen geht es um ihre Existenz und ums Überleben. Denn seit sich die Chuns in dieser Gegend aufhalten, sind die Einnahmen aus dem Tourismusgeschäft bedrohlich gesunken.

Weit und breit ist keine Menschenseele zu sehen, bis auf jene Pärchen, die, ausgerüstet mit Sprechfunkgeräten, alle 500 Meter auftauchen und nach potentiellen Unruhestiftern Ausschau halten. Vor dem Tempeleingang dient ein ausgetrocknetes Flußbett gewissermaßen als Demarkationslinie. Hier hat eine Armee von Sicherheitskräften ihr Camp aufgeschlagen.

In den Tempelanlagen herrscht Hektik und Aufregung. Neben den vielen auserwählten koreanischen Besuchern in traditioneller Hanbok-Kleidung wimmelt es von „unauffälligen“ Sicherheitsbeamten. Ein junger Mann, der sich angeblich zu Meditation und Gebet an diesem Wochenende in die Berge zurückziehen will, erkundigt sich peinlich genau nach Berufen und Aufenthaltsgenehmigungen der beiden Ausländer. Keine Ruhe um Chun Doo Hwan.

(siehe auch Kommentar Seite8)