Bruderliebe für eine Million täglich

■ Das Bundesland Hessen trägt die Hauptlast bei der Aufnahme von DDR-Aussiedlern und -Flüchtlingen

Wiesbaden (taz) - Das Land Hessen zahlt täglich mehr als eine Million Mark für die Betreuung und Unterbringung von Aussiedlern, Übersiedlern und Asylbewerbern. Diese Zahlen legte gestern Ministerpräsident Wallmann (CDU) vor. Nach Wallmanns Ansicht sind jedoch nicht nur die finanziellen Belastungen, die höher sind als in jedem anderen Bundesland, „untragbar“ geworden. Trotz der „außerordentlichen Leistungen“ des Personals im einzigen westdeutschen Notaufnahmelager für DDR-Aussiedler und -Flüchtlinge in Gießen könne der Zustrom nicht länger bewältigt werden. Alleine im ersten Halbjahr 1989 seien in Gießen mehr Zugänge an Aussiedlern und Übersiedlern registriert worden wie im gesamten Vorjahr. Und die Tendenz ist steigend: Für das gesamte laufende Jahr prognostiziert die Landeseinweisungsstelle Gießen Aussiedlerzahlen von etwa 400.000 - nicht gerechnet die noch nicht vorliegenden Prognosezahlen für Übersiedler aus der DDR.

Walter Wallmann, der am Freitag mit Bundeskanzler Kohl das „drängende Problem“ erörtern will, erklärte die Lösung der Aus- und Übersiedlerfrage zur „nationalen Aufgabe“. Es könne nicht angehen, daß Hessen alleine fast die ganze Last der Betreuung und Unterbringung zu tragen habe. In diesem Zusammenhang wies Wallmann auch darauf hin, daß gut 25 Prozent aller Asylbewerber gleichfalls in Hessen Aufnahme finden würden, da sie über den Rhein-Main-Flughafen einreisten. Deshalb könne nicht davon die Rede sein, daß die zwischen den Bundesländern vereinbarte Quotenregelung bei der Aufnahme auch eingehalten werde.

In der Tat kommt die hessische Landesregierung in den nächsten Tagen und Wochen in arge Bedrängnis. Zum Schuljahresbeginn am kommenden Montag müssen die mit DDR -Flüchtlingen und Aussiedlern belegten Schulturnhallen geräumt sein, „denn wir können doch nicht wochenlang den Schulsport ausfallen lassen“ (Wallmann). Die Flüchtlinge und Aussiedler sollen dann notdürftig in „Pavillons“ untergebracht werden. Container, wie sie für Asylbewerber vielerorts errichtet wurden, will man den „deutschen Brüdern und Schwestern“ nicht zumuten. Zusätzlich hat das Land Hessen ein Hotel in Wiesbaden sowie eine Klinik und ein Wohnhaus in Gießen angemietet.

kpk