Schinken im Morgenrot

■ "Kunst und das schöne Heim - Ri-Veduta" von Felice da Milano

Wer, nichts Böses ahnend, die Oranienstraße entlang Richtung Moritzplatz schlendert, bleibt höchstwahrscheinlich an den Auslagen einer Galerie hängen, die übermalte Heimatschinken feilbietet. Und siehe da, wo früher nur die Einfältigen sich am schönen Bild im schönen Heim erfreuten, ist nun der Geist der Dekonstruktion ins stille Reich der Trivialität eingekehrt, und es ward Kunst: „Felice da Milano hat die Auftragsmalerei - die Kunst für das Wohnzimmer, die sich jede Familie in den Wiederaufbaujahren leisten konnte übermalt. Er hat das vorgegebene Motiv (stiller See, Almhütte, Nadelwald, blauer Himmel) aufgenommen und es mit eigenem künstlerischen Ausdruck demontiert: Die Almhütte mußte einem vergleichsweise magischen Realismus weichen...„; so helfen die Galeristen nach.

Die Demontierten quetschen sich als noch immer breit ausladende Ölschinken in den dezenten Rahmen, am unteren Bildrand ist - etwa 1:10 - das verfemte Heimatbildchen, das jetzt unter Farbe begrabene Original, als Reproduktion eingelassen. Oben verwischen schwarze Wolken den dunkelgrünen Himmel, unten strahlt er noch kristallenblau. Bis daß da kam der Maler und hing den seelenlos eingewölkelten Himmel zu und ließ die Bäume tiefe Schatten ausstoßen. Die ewig besonnte, schattenlose, menschen- und streßfreie Naturlandschaft ward theatralisch erhöht, im See spiegelt sich nun die Götterdämmerung.

Und endlich kam der Kunstkritiker und sinnierte über „die Präsenz und Absenz des Bildlichen in unserer Zeit“ und die Entzauberung des Originals an sich & überhaupt beziehungsweise die Modernisierung des Heimatbildchens analog zur Deckenbemalung der Sixtinischen Kapelle und zugunsten der Erschließung neuer Käuferschichten, zumal bei einer zunehmenden „Verknappung der Ressourcen“. Solcherlei kaum verhüllter Schmerz über den Verlust der künstlerischen Einmaligkeit im Angesicht der übermalten Warenhausreproduktion rührt tief, tiefer noch der verzweifelte Versuch, das neue Endprodukt als eine „besondere Malerei“ aufzuwerten. Offenbar hat sie es nötig.

Aber sollte hier nicht demontiert, enthüllt und entlarvt werden? „Die Bilder sind jetzt viel besser“, hat jemand ins Gästebuch geschrieben. Da finde ich es aber gemein, daß kein fairer Wettbewerb stattfindet. Wenn man hier durchgeht und nach dem Preis-Leistungs-Verhältnis vergleicht, muß man die handwerklich geschicktere Ausarbeitung vorziehen: Echte Pinselstriche schlagen den reproduzierten Kleister. Das richtige Kunstwerk erdrückt das kleine Almhüttenidyll. Kunststück, wo dunkelverhangene Landschaften „mehr Präsenz vermitteln“ als Blaue Berge (ein amerikanischer Ausstellungsbesucher). Heute genügt es eben nicht mehr, eine saubere Landschaft zu pachten. Der süße Schauder, daß jeden Moment hinter den Fichten die mutierten Monster hervorwuseln könnten, ist wohl das Mindeste, was man von einem Bild, das auf der Höhe der Videos sein will, erwarten kann. Auf die gruselige Hommage an den schönen Schein folgt konsequent die schöne Hingabe an das gruselige Panorama. Fürwahr, ein demokratischer Fortschritt.

Der Galerist weist solcherlei Kunstbanausentum weit von sich und mich auf den Gehalt der Blauen Berge in Form übelster Ideologie hin. Wer überdies unschuldig - neugierig im Gästebuch herumblättert, wird aus datenschutztechnischen Gründen angeherrscht: Hier schrieben Besucher an die Galerie. Ausgerechnet hier, wo doch kräftig demontiert und dekonstruiert wird, hält man der Einwegkommunikation altmodisch die Stange. Im Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit leistet eine kleine Galerie verzweifelten Widerstand, setzt mitten in Kreuzberg auf die stille Kontemplation in das wiederauferstandene Kunstwerk, den schönen Schocker.

Dorothee Hackenberg

„Kunst und das schöne Heim - Ri-veduta“, bis 29.August, Do -So 12-20Uhr, im Kunsthaus am Moritzplatz