Machen Linke die Aussiedler zu ihren Sündenböcken?

Reaktionäre „Biedermänner“ aus dem Osten sollen draußen bleiben / Alternative erwägen de facto-Einreisestopp / Ausländerromantik gilt nicht für Ostflüchtlinge  ■  Von Silke Mertins

Für die einen sind sie „Schönhubers 5.Kolonne“ und Kohls „Stimmvieh“, von den anderen werden sie als „Polacken“ und „Russen“ beschimpft: AussiedlerInnen, politische und wirtschaftliche Flüchtlinge wie andere auch, bekommen feindliche Ressentiments von allen Seiten zu spüren. Sogar ihre grundgesetzlichen Rechte sollen jetzt eingeschränkt werden. Ungewollt und ungeliebt werden sie den Vertriebenenverbänden überlassen.

„Meine linken Freunde haben mir alle Gründe aufgezählt, warum ein anständiger Mensch in Rumänien geblieben wäre“, erinnert sich der in Frankfurt lebende rumäniendeutsche Schriftsteller Werner Söllner. „Als ich mich im Verband deutscher Schriftsteller (VS) als neues Mitglied vorstellte, wurden mir von einer Kollegin die Worte: 'Na, biste auch gekommen, um hier das rechte Lager zu verstärken‘ entgegengeschleudert.“ „Die Ausländerfeindlichkeit der Linken“ nennt der aus Siebenbürgen stammende Neu-Berliner Richard Wagner die zunehmenden Aggressionen gegen AussiedlerInnen im politischen Spektrum links der SPD. Auch hier werden Neuankömmlinge rasch zu politischen Gegnern, deren ungewollten und sozial unverträglichen Zustrom man hinter vorgehaltener Hand lieber heute als morgen einschränken würde.

„Ich habe in meinem Umfeld deutlich gemerkt“, sagt Wagner, „daß die Aussiedler für die Linken so etwas sind wie die Ausländer für die Rechten. Als Linker kann man jedoch Ausländer nicht kritisieren, ohne aus den eigenen Reihen sanktioniert zu werden. Umso mehr dafür die Aussiedler, als angeblichen Restposten des reaktionären Spektrums.“ Darin, daß gerade die Linken sich schwer tun, Wohnungsnot und Arbeitslosigkeit als strukturelle Probleme zu erkennen, sieht der Schriftsteller ein heimliches Suchen nach dem Sündenbock.

„Diese Typen wollen wir hier nicht haben“

Als Deutschtümler, privilegierte Wirtschaftsflüchtlinge und Hätschelkinder der Rechten sind sie seit Monaten in aller Munde. Während der grüne Frankfurter Stadtverordnete Micha Brumlik sie als „ethnische Minderheit wie andere auch“ versteht, fühlen sich andere Linke, laut Gerhard Reutter vom „Büro für Sozial- und Bildungsplanung“, „an den verhaßten Muff der fünfziger Jahre erinnert“. „Es ist widerlich“, kreischt das linkskommerzielle Hochglanzblatt 'Wiener‘ in der Aprilausgabe, „sie wollen alles, was wir nicht wollen“. Es sei, als kämen die „dumpfen Biedermänner“ direkt „aus dem Dritten Reich in die Bundesrepublik“. Die kommunistischen Länder „sind froh, wenn sie die Typen loswerden“, doch „diese Leute wollen wir nicht“.

Im Gegensatz zu dem Berliner AL-Abgeordneten Michael Haberkorn, der die Rechte der Aussiedler beschneiden will, um eine Gleichstellung von AusländerInnen und AussiedlerInnen zu erreichen, fordert Rosi Wolf-Almanasreh, Amtsleiterin im Frankfurter Dezernat für Multikulturelle Angelegenheiten, daß alle EinwandererInnen die Rechte erhalten sollten, die Deutsche für sich in Anspruch nehmen. Haberkorn hält das Bundesvertriebenengesetz für „ideologisch überholt und nicht zeitgemäß in der Beschreibung des Personenkreises“. Er möchte die Anerkennung als „Volksdeutsche“ auf die Kriegsgeneration einschränken: „Dann ist das Problem in fünf bis zehn Jahren erledigt, weil diese Generation dann ausgestorben ist.“ Die Haberkornsche Lösungsvision liebäugelt damit sowohl mit einem de facto -Einreisestopp für die Mehrzahl der AussiedlerInnen als auch mit einer Aberkennung ethnischer Identität.

Auch „richtig Gesinnte“ werden Sündenböcke

„Die Gleichstellung von Gruppen kann doch nicht bedeuten, daß man die Rechte der einen beschneidet“, empört sich der Bildungsberater Reutter und verlangt: „Wir müssen die Toleranz, die wir im Bereich der Ausländerarbeit begründet und berechtigt erheben, auch auf andere Gruppen übertragen.“ „Wer in der Linken den Begriff den Begriff 'Heimat‘ in den Mund nimmt und ihn nicht im gleichen Augenblick auseinandernimmt“, weiß der Schriftsteller Söllner, „der darf nicht dazugehören. Für mich bedeutet Heimat jedoch einen Ort, wo ich Kritik üben darf, wo ich so dazugehöre, daß ich mitbestimmen kann.“

Nicht stärker anfällig

für Rechtsradikale

Doch selbst AussiedlerInnen mit der „richtigen“ Gesinnung fühlen sich zu Sündenböcken degradiert. „Daß es den Ausländern so schwer gemacht wird, dafür gibt man den Aussiedlern die Schuld“, meint die ehemalige Solidarnosc -Aktive Jutta Franz aus Schlesien, „die Gespräche der Linken über Ausländer sind voller Sympathie, aber wenn man mal nachfragt, stellt sich meist heraus, daß sie kaum Kontakt haben. Wir hingegen teilen Wohnquartier, Müllcontainer und Kindergarten mit ihnen. Für mich sind sie keine anonyme Masse mehr, und deshalb fühle ich mich in der Entwicklung, was das Multikulturelle betrifft, weiter als viele Deutsche.“

Natürlich existieren unter AussiedlerInnen auch rassistische Tendenzen und rechte Sympathien. Allerdings, so ein Lehrer des „Internationalen Bunds für Sozialarbeit“ (IB) in Offenbach, sei „die überwiegende Mehrheit interessiert, offen, leicht belehrbar und nicht mehr oder weniger anfällig für rechtsextreme Ausfälle als Bundesdeutsche.“

Soziale Marginalisierung, eigene Konkurrenzängste und das dumpfe Gefühl der Enttäuschung sind unmittelbare Gründe, die viele Aussiedler dazu bewegen, sich von anderen Minderheiten zu distanzieren. Die Betonung des Deutschseins erwächst häufiger aus dem Gefühl, nicht als Deutsche akzeptiert zu werden und letztlich auch aus der eigenen Unsicherheit ethnischer Zugehörigkeit, als aus deutschem Überlegenheitsdünkel.

Auf der anderen Seite wird das, was sie aus der Kultur des Ausreiselandes mitbringen, von den multikulturell verzückten Linken weder wahrgenommen noch als Bereicherung gewertet. Hier werden plötzlich die in südlichen Gefilden so geliebten und romantisierten traditionellen Familienstrukturen und Zusammengehörigkeitsgefühle zu Relikten Ewiggestriger, die andere ausgrenzen, diskriminieren und sich selbst für etwas Besseres halten. „Selbst wenn es stimmen sollte“, so Schriftsteller Söllner, „daß die Mehrheit der Aussiedler politisch rechts orientiert ist, so ist das noch lange kein Grund, uns wie Menschen zweiter Klasse zu behandeln“, nach dem Motto: „Bei denen ist eh nichts mehr zu machen.“

„Sollen doch die Rechten sich um die Aussiedler kümmern“, meint die grünwählende Deutschlehrerin Karin Hangen, schließlich habe sich die CDU „das Wahlvolk ja auch heim ins Reich“ geholt.

Politische Vorverurteilung von Ostflüchtlingen

„Es gibt keinen Menschen auf der Welt“, so Rosi Wolf -Almanasreh, „der aus Vergnügen seine Heimat verläßt und ins ungewisse Ausland abflippt.“ Die Toleranzbereitschaft in der BRD sei allerdings schon immer sehr gering gewesen, und „was die rassistischen Ressentiments betrifft, gibt es keinen Unterschied zwischen links und rechts“.

Die vermeintlich rechte Gesinnung der Umsiedler lastet den Anhängern gesellschaftlicher Veränderung von links besonders auf der Seele. Die einen möchten den Flüchtlingen aus der südlichen Hemisphäre den Vorrang geben, weil „nur begrenzter Platz im Boot“ vorhanden sei (Roswitha Beck, Die Grünen Frankfurt), die anderen trachten der Völkerwanderung durch Grundgesetzänderung a la Haberkorn Einhalt zu gebieten. Ungebetene Gäste mit ungeliebter politischer Gesinnung sind die neuen Bundesbürger allemal.

Die politische Vorverurteilung der Ostflüchtlinge kündigt möglicherweise die Qualität der politischen Toleranz an, mit der wir es zu tun bekommen, wenn sich bei einem zukünftigen AusländerInnenwahlrecht zeigt, daß nicht alle von ihnen grün und SPD wählen. „Die Toleranz gegenüber Türken hat uns nichts gekostet“, meint die langjährige Deutschlehrerin für AussiedlerInnen Elvira Gekeler. „Ausländer waren nie eine Konkurrenz für uns progressive Linke. Bei den Aus- und Übersiedlern ist das anders, und erst hier wird sich zeigen, wie ernst es uns mit der Toleranz ist.“

(vom Informationsdienst „Projekt Alltag“, Frankfurt/Main)