Kahlschlag am Ende der Welt

Die Wälder der australischen Insel Tasmanien werden von der gefräßigen japanischen Papierindustrie geplündert / Regierungswechsel nach Wahlerfolgen der Umweltschützer könnte Wende einleiten / Tasmaniens Grüne demonstrieren in Bonn und hoffen auf medialen Rückkopplungseffekt in der Heimat  ■  Von Reiner Scholz

Ein wenig kleiner als Irland, fast ebenso feucht und mindestens so grün - das ist Tasmanien, australischer Insel -Bundesstaat, vom fünften Kontinent durch die 270 Kilometer breite „Bass Strait“ getrennt. Hier, in der Wildnis dieses rauhen, gebirgigen Eilands, wachsen die Bäume buchstäblich in den Himmel. Noch. Tasmanien liegt weit vom Schuß, aus europäischer Sicht am Ende der Welt und dennoch nicht weit genug. Seit das „Big Business“ die Insel vor etwa zwei Jahrzehnten entdeckte, scheint das Schicksal der ehemals die Landschaft dominierenden Regenwälder der gemäßigten Zonen besiegelt. Eine hungrige Papierindustrie frißt sich immer tiefer in die Waldgebiete vor.

Als die Engländer vor nicht mal zweihundert Jahren, zu Beginn des 19.Jahrhunderts, ihre schwierigeren Sträflinge nach Tasmanien abschoben, wucherte Wald auf vier Fünfteln der Inselfläche, die Hälfte davon Regenwald. Heute ist der Regenwaldanteil auf traurige sieben Prozent zusammengeschmolzen. Ein Großteil der ungeheuren Zerstörung stammt aus jüngster Vergangenheit. Was der Reiseführer mit dem harmlosen Satz „die Holzwirtschaft und die Papierindustrie spielen eine größere Rolle“ eher verschleiert als beschreibt, bedeutet in Wahrheit einen Großangriff internationaler Konzerne auf die Wälder der Insel seit den siebziger Jahren.

Objekt der Begierde sind nicht etwa edle Hölzer seltener Baumsorten, sondern der Rohstoff Holz an sich. Mit raumgreifenden Abholzfahrzeugen werden große Waldgebiete in rasantem Tempo plattgemacht. Lastwagen karren die Bäume - im wesentlichen der schnellwachsende Eukalyptus - in die Papierbreimühlen des Landes, wo der Rohstoff zerkleinert, gebleicht und getrocknet wird. Das Zwischenprodukt landet vornehmlich in der Zellstoffindustrie Japans. Beim Wirtschaftsriesen im Norden wird die tasmanische Natur zu Werbeprospekten, Fotopapier und ähnlichem weiterverarbeitet, um in dieser Form teilweise auf den australischen Kontinent zurückzukehren.

Skurrile Umweltschutzpolitik

250.000 Hektar Wald fielen auf diese Weise allein in den zwölf Jahren zwischen 1968 und 1980 Bränden zum Opfer, die zum Teil gezielt gelegt wurden. Und dies, obwohl Tasmanien über das weitestgehende Regenwald-Schutzgesetz des Kontinents verfügt. Doch als „Regenwald“ gelten danach nur Gebiete, in denen der Anteil der zahlreichen Eukalyptusarten, die wegen ihres schnellen Wuchses besonders profitträchtig sind, weniger als fünf Prozent beträgt. Eukalyptus ist eben per Defenition keine Regenwaldpflanze. Was zur Rettung der Bäume gedacht war, führt deshalb eher zu skurrilen Ergebnissen. Weil auch in den zur Nutzung freigegebenen Gebieten typische Regenwaldhölzer wachsen, aber nicht geschlagen werden dürfen, bleiben diese auf dem Schlachtfeld zurück: Beschädigt oder von den bulligen Forstmaschinen einfach umgefahren.

Forstindustrie schafft Arbeitsplätze ab

Tim Cadman, der zur Zeit als „Informant“ durch Europa reist, ist wie fast jeder vierte Australier Mitglied in der Umweltbewegung „Wilderness Society“. Er sorgt sich nicht nur um die tasmanischen Wälder, sondern auch darum, „was hinten rauskommt“. Cadman: „Die Abwässer der Holzbreimühlen von Burnie und Devonport werden direkt in die Bass-Bucht im Norden Tasmaniens geleitet. Das verfärbt nicht nur die Küstengewässer über ein Gebiet von 100 Kilometern, sondern auf diese Weise wird auch das beim Bleichprozeß entstehende hochgiftige Seveso-Gift Dioxin umstandslos ins Meer entsorgt.“

Mit 10 Prozent Arbeitslosigkeit gehört Tasmanien zu den ärmsten Regionen des fünften Kontinents. Kein Wunder, daß der Aufbau der Papierbreiindustrie in den 70er Jahren zunächst allgemein begrüßt wurde. Aber die Arbeitsplatzversprechungen erwiesen sich bald als Flop. Bei einer Steigerung der Rodungsarbeiten um 50 Prozent seit 1973 machte die Automatisierung der Forstindustrie seither jeden dritten Arbeitsplatz in diesem Wirtschaftszweig zunichte. Zudem fraßen - wie überall - die Großen die Kleinen.

Ernüchterung machte sich auf der Insel breit. Vor einem Vierteljahr wurde der Bevölkerung Tasmaniens - nicht mal eine halbe Million Menschen leben auf der Insel - endgültig klar, daß sie nicht mehr bereit ist, den Raubbau an der Natur länger hinzunehmen. Die Absicht, in Wesley Wale im Norden Tasmaniens die größte chemische Holzbreimühle der Welt zu errichten, brachte das Faß zum Überlaufen und die bis dahin regierenden „Liberals“ (so heißen in Australien die Konservativen, Red.) und ihren Premierminister Robin Gray zu Fall. Bei den Wahlen am 13.Mai errangen die auf der „grünen Insel“ schon traditionell starken Umweltschützer auf Anhieb fünf Sitze im Landesparlament und wählten zusammen mit den dreizehn Labour-Abgeordneten Michael Fields zum neuen Premierminister.

Das Abholzen ist nicht gestoppt

Die „Grünen“ hatten ihre Wahlkampagne mit der charismatischen Spitzenkandidatin Christine Milne - die tasmanische „Jeanne d‘ Arc“ - ganz auf die Slogans „Keine neue Papierbreimühle“ und „Schluß mit dem Kahlschlag“ konzentriert und damit auch etliche einst konservative Farmer auf ihre Seite gezogen. Bei den Koalitionsverhandlungen nach der Wahl stimmte Labour der Forderung nach Verzicht auf die Mühle zu, die nun vorerst nicht gebaut wird.

Das Abholzen der Wälder geht damit weiter. Ein neues, noch weitgehend unberührtes Waldareal in Nordtasmanien mit Namen „Jackys Marsh“ soll in Kürze den Kreissägen zum Opfer fallen. Nicht zuletzt, um dies zu verhindern, hoffen die Grünen aus Tasmanien, das ferne Europa, insbesondere aber die öko-sensible Bundesrepublik, als Resonanzboden ihres Protests nutzen zu können. „Wenn man etwas für die grüne Bewegung insgesamt machen will“, glaubt Tim Cadman, „dann ist Deutschland in Europa auf jeden Fall der beste Platz. Man hört dir zu und ist immer bereit, etwas für dich zu machen.“ Deshalb schätzt der australische Umweltschützer das auf den ersten Blick etwas seltsame Unterfangen vom Dienstag als gar nicht so aussichtslos ein. Da demonstrierten eine Handvoll Idealisten in Bonn für den Erhalt eines Stückchens Regenwald am anderen Ende der Welt. Ob das die Regierungen in Tasmanien und Canberra beeindruckt? Cadman glaubt daran: „Die australischen Medien werden diese Demo mit Aufmerksamkeit registieren, und der Labour-Premier Michael Fields wird in der tasmanischen Hauptstadt Hobart feststellen, daß die Welt sehr wohl mitkriegt, was auf unserer Insel geschieht.“