US-Debakel in Afghanistan

Washington hat sich mit seiner Afghanistanpolitik verkalkuliert Hardliner-Kurs stößt in den eigenen Reihen und im Ausland auf Kritik  ■ D E B A T T E

Im November 1988, als die letzte Etappe des sowjetischen Truppenabzugs eingeleitet wurde, befragte ich verschiedene US-Offizielle in Kabul und Peshawar dazu, was unsere Regierung zu tun gedenke, falls der afghanische Widerstand nicht so bald den Sieg davontrage, wie sie es erwarteten. In ziemlich herablassendem Ton versicherte mir einer: „Die Kabuler haben sich kaum mit den Sowjets gehalten, es ist ausgeschlossen, daß sie ohne sie überleben.“ „Ich gebe Nadschib Zeit bis März oder April“, prognostizierte ein anderer selbstgefällig, „höchstens bis Juni oder Juli.“

Der Juli kam und ging, aber Nadschib und seine regierende Demokratische Volkspartei (PDPA) sind noch immer da. Tatsächlich scheint die PDPA, sechs Monate nachdem der letzte sowjetische Soldat Afghanistan verlassen hat, selbstbewußter und standfester denn je. Washingtons breiter Konsens, daß der Sturz der PDPA der beste Weg zur afghanischen Selbstbestimmung sei, beginnt zu bröckeln, und Washington hat gute Gründe seine Afghanistanpolitik zu überdenken. Die UdSSR und Afghanistan haben dem Widerstand immerhin einige substantielle Angebote gemacht. Nun ist es an, den USA, Pakistan und den Rebellen eine Antwort zu geben. Besonders die amerikanischen Strategen sollten darin ein Risiko erkennen, die Rebellen ohne Beteiligung an der Macht zurückzulassen, je länger der Kampf dauert. De facto zeigt die Entwicklung des letzten Jahres, daß die USA und der Widerstand bereits eine Chance verpaßt haben, sich die günstigste Position in einer Koalitionsregierung zu sichern.

Noch vor dem Abzugsultimatum im Februar machten nervöse sowjetische und afghanische Offizielle verzweifelt weitreichende Zugeständnisse an die Führer des Widerstands, die jenen Schlüsselpositionen zugespielt und die Rolle der PDPA heruntergespielt hätten. Den US-Vertretern schienen diese Konzessionen weder akzeptabel noch notwendig, vielmehr als ein weiteres Zeichen für den schwachen Stand der PDPA. Im Außenministerium zeigte man für eine Weile Bereitschaft auf eine Reduzierung des Waffennachschubs an die jeweilige Klientel einzugehen und eine politische Lösung zu unterstützen. Zunächst scheuten die Sowjets dieses Angebot, allmählich erwogen sie es jedoch ernsthafter. Lautstarke Vorbehalte gegen eine Reduzierung äußerten indes Kongreßabgeordnete, weil sie darin einen Ausverkauf des Widerstands an die afghanische Regierung sahen. Einige ultrakonservative Kongreßabgeordnete blieben schlechterdings fest entschlossen bei ihrem Bekenntnis, den Kommunismus in Südasien zurückschlagen zu wollen. Andere, darunter gewisse Hardliner, befürchteten, daß man mit einer Übereinkunft den Einfluß der Sowjets und die Position der PDPA sichere. In einem Interview erläuterte ein Offizieller seine Bedenken, daß die PDPA bei weitem besser als die Rebellen organisiert sei und ihnen schließlich die „Schau stehlen könnte“. Schließlich wurde das Außenministerium aufgrund legislativer Schritte gezwungen, von einer Verhandlungslösung Abstand zu nehmen. Da die gesamte US-Intelligenz einen raschen Sturz der afghanischen Regierung vorhersah, machte keiner Aufhebens, die Kongreßpolitik in Frage zu stellen.

Nun, da sich die Einschätzung als falsch erwiesen hat, werden Fragen zur US-Politik laut. Der Konsens zerfällt jetzt in drei Lager: Trotz der militärischen Mißerfolge unterstützen die Hardliner noch immer die militärische Offensive und glauben, daß die Mudschaheddin, gerüstet mit neuer Waffentechnologie sowie pakistanischem Training und pakistanischen Direktiven, den „faulen Kern“ der PDPA schon treffen werden. Eher moderate Kongreßabgeordnete und US -Repräsentanten, von denen es - wie auch in Pakistan - nicht sehr viele gibt, befürchten, daß die Mudschaheddin noch mehr verlieren könnten und neigen zu einer Verhandlungslösung. Andere Schlüsselkandidaten einschließlich Präsident Bush verzichten weiterhin auf eine Afghanistanpolitik der Vereinigten Staaten und hängen sich an die jeweils dominierende Fraktion.

Im Moment bestimen die Hardliner die US-Politik. Bis November wollen sie unter Beweis gestellt haben, daß die PDPA aus dem Sattel zu heben ist. Die neuen spanischen Mörser und Splitterbomben werden ebenso wie die Verteidigungsschläge der Kabuler Regierung weitere zahlreiche Opfer fordern. Auch die Zurückberufung des Afghanistanspezialisten der US-Botschaft in Islamabad, Edmund McWilliams, beweist den Einfluß der Hardliner. McWilliams, der als heißblütiger kalter Krieger und beherzter Unterstützer der Mudschaheddin gilt, brachte in Washington zum Ausdruck, daß sich die USA und Pakistan zu stark auf einen militärischen Sieg konzentrieren und nicht genug auf den Aufbau einer breiten Interimsregierung oder der Erkundung alternativer Wege zur Selbstbestimmung. Botschafter Oakley war jedoch anderer Meinung, und vergangenen Monat wurde McWilliams zurückbeordert.

Die Vereinigten Staaten und Pakistan geraten mit ihrer Afghanistanpolitik zunehmend ins Abseits. Iran hat seine Bereitschaft zum Einlenken erkennen lassen, China überdenkt seine Politik, und Großbritannien hat seine Differenzen deutlich gemacht. Von den internationalen Körperschaften, wie der UN und der Organisation der blockfreien Staaten, die sich bald in Belgrad treffen werden, ist Kritik an der militärischen Lösung für Afghanistan zu erwarten. Die Position der schwächeren, aber weiseren Fraktionen der amerikanischen und pakistanischen Regierung wird in der konstruktiven Kritik von diesen Seiten ihre Bestätiung finden. Insbesondere die Ansichten der westeuropäischen Regierungen haben in Washington Gewicht. Möglicherweise könnte das gleiche internationale Engangement, das eine Supermacht aus Afghanistan verdrängt hat, bei der anderen das gleiche bewirken.

Steven Galster ist am National Security Archive in Washington tätig, im Kommentar vertritt er jedoch seine persönliche Meinung.