Ohr an Volkes Stimme

■ Die Politiker drohen bei der Ökosteuer-Debatte eine Chance zu verspielen

Das Beste an der gegenwärtigen Diskussion über Öko-Steuern und Umwelt-Abgaben ist, daß es sie gibt und sie sich anschickt, den Rest des Sommerlochs zu füllen. Das komplexe Thema hat gute Chancen, schon bald die Höhen der Vorstandsetagen der Wirtschaft und die Niederungen der Stammtische gleichermaßen zu erreichen. Am Ende könnte Produzenten wie Verbrauchern dämmern, daß es nicht mehr ausreicht, im Fernsehsessel die (all-)täglichen Katastrophenmeldungen entgegenzunehmen.

Seit Jahren beherrscht die Einsicht in die weltweite ökologische Krise hierzulande eine große Mehrheit der Bevölkerung. Es bleibt die banale Erkenntnis, daß ökologische Sensibilisierung allein die ökologische Krise offensichtlich nicht aufhält, sie nicht einmal abbremst. Ein Blick auf die Zulassungszahlen neuer Pkw oder die Produktionsziffern von Einweg-Getränkedosen dokumentiert das ebenso wie die Entwicklung der industriellen Giftemmissionen in Luft, Waser und Boden. Dennoch läßt schon der Gedanke an persönliche Verhaltensänderungen die Zahl der „Umweltschützer“ auf einen Bruchteil zusammenschnurren - wer wüßte das nicht von sich selbst.

Diese halbgare Stimmungslage der Nation - große Sorgen hier, wenig Bereitschaft zu Konsequenzen da - kennen auch die Politiker. Hier ausnahmsweise haben sie ihr Ohr ganz nah an Volkes Stimme. Es ist dieses gemeinsame Wissen, daß die Politiker-Diskussion über den ökologischen Umbau vergiftet, sie heuchlerisch und unehrlich macht. Denn eines verbindet sie (fast) alle. Sie gehen je nach politischer Couleur resignierend oder hoffnungsfroh, davon aus, daß die Ausgangslage statisch ist, daß kurzsichtiges Eigeninteresse bei der Mehrheit auch in Zukunft über die bessere Einsicht in ökologische Notwendigkeiten siegt.

Die einen - die Initiatoren der aktuellen Debatte von der SPD-Kommission „Fortschritt '90“, aber auch manche Grüne betrachten es als tödlich für ihre Wahlchancen, ihre im Kern vernünftigen Abgaben- und Steuervorschläge ohne einen Wust schönfärberischer Behauptungen zu präsentieren. Sie annoncieren den ökologischen Umbau der Industriegesellschaft und wollen doch angeblich Stein für Stein an seinem Platz lassen. Ängstlich spekulieren sie mit der Angst der Bevölkerung vor (Selbst-) Veränderung. Die anderen schüren sie. Vom CSU-Finanzminister Waigel abwärts ist die Union heftig damit beschäftigt, furchteinflößende Schlagworte zu kreieren, vom „ökologischen Totalumbau“, über die „Umbau -Drohung“ bis zur „Öko-Diktatur“. Angstformeln zementieren die mangelnde Bereitschaft zur Veränderung. Der Bundesumweltminister bedient das allgemeine Umweltbewußtsein. Er entdeckt sein Herz für den kleinen, von Öko-Zumutungen bedrohten Mann (!) und verkauft die bruchlose Fortschreibung der gescheiterten Umweltpolitik der Bundesregierung in die neunziger Jahre als neue Qualität.

Wir brauchen nicht noch mehr Umweltbewußtsein. Eine neue Qualität ist erst erreicht, wenn sich die Kluft zwischen allgemeinem Unbehagen über die Krise und konkreter Bereitschaft zu Verhaltensänderungen schließt. Dazu könnte die aktuelle Diskussion ein Auslöser sein - trotz der Politiker. Vorher und billiger ist der ökologische Umbau jedenfalls nicht zu haben.

Gerd Rosenkranz